Seit einem Jahr regiert die Ampel-Koalition. Das nahmen die Parteispitzen zum Anlass, einen programmatischen Text in der FAZ zu veröffentlichen. Es geht darin um Kritik, Weichen und beschleunigte Pfade. Keine Bange: Die Bürger kommen in dem Aufsatz eigentlich gar nicht vor
Nicht nur Bücher, auch politische Texte haben ihre Schicksale. Dem programmatischen Beitrag von Saskia Esken, Lars Klingbeil, Ricarda Lang, Omid Nouripour und Christian Lindner, erschienen in der FAZ vom 6. Dezember 2022, merkt der Leser die Schwierigkeiten an, die Stichpunktlieferung der drei Parteispitzen irgendwie zu einem Ganzen zu verschrauben.
Seit Chinesen gegen die gescheiterte Zero-Covid-Politik auf die Straße gehen und die Regierung sogar zum Nachgeben zwingen, ergeht in Deutschland das Moralgebot: bloß nicht vergleichen. Doch, das sollte man. Sogar unbedingt. Es ist Zeit, in die Archive zu schauen
Am 29. Januar 2022 verfasste die Redakteurin der „Ostthüringer Zeitung“ (OTZ) Sylvia Eigenrauch einen Text über eine Demonstration gegen Corona-Maßnahmen, die in Gera stattfand. Nach Meinung des Chefredakteurs hätte sie das besser gelassen.
„Sofern die Gattung fähig ist zu überleben, wird sie ihre
Fortdauer vermutlich nicht irgendwelchen Außenseitern
verdanken, sondern ganz gewöhnlichen Leuten.“
Hans Magnus Enzensberger
„Verteidigung der Normalität“, Kursbuch 68
„Die wichtigste Kunst des Politikers besteht darin, neue Bezeichnungen
für alte Einrichtungen zu finden, deren alte Bezeichnungen in der
Öffentlichkeit anstößig geworden sind.“
Die Einführung des Bürgergelds und die Einschränkung des Bargelds hängen logisch miteinander zusammen. Viele werden sich mit einer individuell gestalteten 25-Stunden-Woche zu helfen wissen. Für die anderen brechen schwierige Zeiten an
Niemand hat die Absicht, das Bargeld abzuschaffen. Das erklären Politiker bei jedem Schritt, den sie unternehmen, um den Raum für das bare, also aus Bürgersicht echte Geld ein bisschen enger zu machen.
„Wenige Dinge haben mehr Schaden angerichtet als der Glaube von Einzelnen oder
Gruppen (oder Stämmen oder Staaten oder Nationen oder Kirchen), dass sie sich im
einzigen Besitz der Wahrheit befinden, besonders über die Lebensführung, darüber,
was man zu sein und zu tun hat, — und dass diejenigen, die davon abweichen, nicht
einfach nur einen Fehler begehen, sondern bösartig und wahnsinnig sind, und es
verdienen, unter Verfügungsgewalt gehalten oder unterdrückt zu werden.“
Isaiah Berlin
The New York Review of Books, 18. Oktober 2001
Musk gefährdet die Demokratie durch freie Rede, Kritik am woken Denken ist „strukturell antisemitisch“, echter Antisemitismus dagegen harmlos: Die Irrationalität der Wohlgesinnten erreicht eine neue Qualität. Sie zerstört die Kommunikation der Gesellschaft. Noch nie war es so wichtig, eins und eins zusammenzuzählen
Jemand in der Twitter-Firmenzentrale musste einen Plan gegen Jan Philipp A. geschmiedet haben. Denn obwohl in den USA und eigentlich auch in Deutschland praktisch niemand den deutschen Funktionär kennt, begab sich jemand in den Serverraum und koppelte ihn heimlich von einem anderen Grünen-Politiker ab, dem er bisher auf Twitter gefolgt war.
„Die moderne Welt beweist an jedem Punkt, dass es viel leichter ist,
Institutionen zu zerstören als sie zu erschaffen. Trotzdem scheinen nur
wenige Menschen diese Wahrheit zu verstehen.“
Vor fast genau fünf Jahren begann in Berlin ein Experiment, von dem sich der Veranstalter sagte, dass es, sollte es gut gehen, auf absehbare Zeit kein Ende haben würde.
Die Klassengrenzen verlaufen neuerdings wieder schärfer: Nicht jeder kann und soll sich den Wohlstand leisten, der noch vor einer Generation selbstverständlich war. Über Oben und Unten entscheidet die richtige Anschauung. Wem es daran mangelt, muss sich begnügen.
In England entstand ab dem späten 18. Jahrhundert in den besseren sittenstrengen Kreisen eine Theorie über die Armen und die Gründe der Armut, die bei den Oberen binnen kurzer Zeit begeisterte Anhänger fand. Sie erklärte das Elend im Souterrain der Gesellschaft nämlich nicht mit geringen Löhnen, mangelnder Bildung und schlechten Wohnverhältnissen, sondern mit der moralischen Minderwertigkeit der niederen Klassenangehörigen, vor allem mit deren Unverständnis für höhere Ziele.
„Vieles in der Sozialgeschichte der westlichen Welt in den vergangenen
drei Jahrzehnten hat damit zu tun, dass Dinge, die funktionierten, durch
Dinge ersetzt worden sind, die gut klingen.“
„In einer Situation völliger geistiger und sozialer Heimatlosigkeit ergibt eine
wohlabgewogene Einsicht in die gegenseitige Bedingtheit des Willkürlichen
und des Geplanten, des Zufälligen und des Notwendigen, durch die sich der
Lauf der Welt konstituiert, keinen Sinn mehr. Nur wo der gesunde
Menschenverstand seinen Sinn verloren hat, kann ihm die totalitäre
Propaganda ungestraft ins Gesicht schlagen.“
Hannah Arendt
„Elemente und Ursprünge der totalitären Herrschaft“
Man sollte sich nicht zu sehr über die ARD-Geschichte vom stromerzeugenden Fernseher aus Afrika amüsieren. Sie schadet weniger als Politiker, die an Stopfelektronen glauben. Auf naturwissenschaftlichem Gebiet herrscht mittlerweile ein Unbildungsdünkel, der in eine düstere Zukunft führt
Vor einigen Wochen machten die Zuschauer der ARD Bekanntschaft mit Maxwell Chikumbutso, vermittelt durch Jana Genth, Korrespondentin im Studio Johannesburg.
Monika Maron zeigt in ihrem Band „Essays und Briefe“, dass Distanz und Scharfsicht zusammengehören. Diese Kombination gibt es in der deutschen Literaturlandschaft nicht oft
„Wer innerhalb der Demokratie Erziehungsideale verficht, die gegen
Mündigkeit, also gegen die selbstständige bewußte Entscheidung jedes
einzelnen Menschen, gerichtet sind, der ist antidemokratisch, auch wenn er
seine Wunschvorstellungen im formalen Rahmen der Demokratie propagiert.“
Theodor W. Adorno
„Erziehung zur Mündigkeit“ (1971)
„Unser Zeitalter ist das Zeitalter der intellektuellen Organisation von
politischem Hass. Das wird eine der wichtigsten Dinge sein, die es in der
Moralgeschichte der Menschheit festzuhalten gilt.“
Julien Benda
„La trahison des clercs“ („Der Verrat der Intellektuellen“), 1927