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Nicht von dieser Welt
Vor fünf Jahren trat Benedikt XVI zurück. Der Theologe David Berger erlebte den Geistlichen, als der noch in Rom die Glaubenskongregation leitete. Für Publico schreibt Berger, was von dem deutschen Papst bleiben wird. Und warum sein Nachfolger nicht an ihn heranreicht
Von David Berger / / politik-gesellschaft / 11 min Lesezeit
Er sei «zur Gewissheit gelangt», dass seine «Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben» heißt es in der Rede, mit der Papst Benedikt vor fünf Jahren im Februar 2013 seinen Rücktritt ankündigte.
Dieser Satz deutete für die meisten auf eine angegriffene Gesundheit des Papstes hin, war aber dennoch so allgemein gehalten, dass er für Spekulationen genügend Raum ließ. Die entzündeten sich vor allem an dem Vatikanischen Forschungsbericht zu dem Vatileaks-Skandal, der dem Papst wenige Tage vor seinem Rücktritt zum ersten Mal vorlag. Obwohl streng geheim, wussten italienische Zeitungen zu berichten, dass diese Papiere ein hohes Maß an «Korruption, Kriminalität und Unzucht» im Vatikan aufgedeckt hätten. Der Papst sei so schockiert gewesen, dass er daraufhin den einsamen Entschluss zu einer der ungewöhnlichsten Papsthandlungen der Kirchengeschichte fasste.
«Unzucht» bedeutet im Theologenjargon nichts anders als Homosexualität. Und tatsächlich kursiert auch in deutschen Journalistenkreisen ein mit dem Titel «Cordata omosessuale in Vaticano» (Homosexuelle Netzwerke im Vatikan) überschriebenes, angeblich aus dem Vatileaks-Komplex stammendes Schriftstück, das solche Netzwerke bis in den engsten Umkreis des Papstes festzustellen glaubte. So kam schnell die Vermutung auf, vor allem diese Enthüllung hätte den Rücktrittsentschluss provoziert.
Kritiker wenden zu Recht ein, dass Benedikt die meiste Zeit seines Lebens im Vatikan gelebt hatte, und ihm so die hohe Dichte an homosexuellen Prälaten längst bekannt gewesen war. Warum sollte ihn daher ein solches Schriftstück zu einem derart weitreichenden Entschluss bewegen?
Das, was sich in dem Bericht zu Kriminalität und Korruption fand, bezog sich vor allem auf den seit Jahrzehnten vor sich hinbrodelnden, immer neu aufflammenden Skandal um die Vatikanbank. Neue Nahrungen erhielten diese Spekulationen im vergangenen Jahr, als sich katholische Prominente der USA an den neu gewählten Präsidenten Donald Trump mit einer Petition wandten: Er möge doch untersuchen lassen, inwiefern die internationale Finanzelite in Verbindung mit Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und Barack Obama, über einen Boykott der Vatikanbank Benedikt zum Rücktritt brachten und eine Wahl des modernistischen Kardinal Bergolios zum Papst forcierten. Aber auch hier müssen sich die Verschwörungstheoretiker fragen lassen, warum die Finanzelite ausgerechnet einen solch harten Kritiker des Kapitalismus auf dem Papstthron hätte sehen wollten.
Was aber noch wichtiger erscheint: So recht wollen all diese Spekulationen nicht zu der durch und durch aufrechten Persönlichkeit Benedikts passen. Für ihn war die Kirche der fortlebende, mystische Leib Christi, der sein wichtigstes Lebenszeichen vor allem im katholischen Kult, dem feierlichen Vollzug des Gottesdienstes fand. Wer einmal eine feierliche Pontifikalmesse mit ihm erleben durfte, wird das nie vergessen. Von einem Augenblick zum anderen war man entrückt in die Welt des Heiligen: Weihrauch, Brokatgewänder, die lateinische Sprache, die feierlichen, etwas wehmütig klingenden gregorianischen Choräle. Alles vollzogen nach einem über die Jahrtausende gewachsenen Zeremoniell. Gegenwelt war vermutlich auch das Programm, das Benedikt antrieb. Er hatte verstanden, was der große Romancier Gilbert Keith Chesterton mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor schrieb: «Die katholische Kirche ist die einzige Sache, die den Menschen vor der erniedrigenden Sklaverei bewahrt, ein Kind seiner Zeit zu sein.»
Eine Gegenwelt, die niemals einfach Refugium eines schwächlichen Eskapismus ist, sondern Stachel im Fleisch der Welt, des Säkularen, ja Widergöttlichen. Und deshalb unvermeidlich Anstoß erregt. Dies wird noch deutlicher, wenn man Benedikt mit seinem Nachfolger Franziskus vergleicht. Letzterer ist in dieser Sache das schroffe Gegenbild zu Benedikt. Franziskus erscheint kaum als der Vertreter der Welt des Heiligen, vielmehr als einer von vielen Protagonisten einer angesagten, nach links gerutschten politischen Agenda.
Vielleicht in keinem anderen Bereich zeigte sich dies so deutlich wie in den Stellungnahmen Benedikts zum Islam. In seiner berühmten Regensburger Rede distanzierte er sich von der Ausbreitung des Glaubens durch weltliche Mittel, insbesondere Gewalt. Und kritisierte in diesem Zusammenhang den Islam hart: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“ – zitierte er einen byzantinischen Kaiser. Er provozierte damit einen weltweite Aufschrei, der bei seinem Nachfolger selbst dann ausblieb, als er Schläge der Eltern für ihre Kinder schönredete.
Benedikt war in seiner Äußerung zum Islam und zu anderen Themen nicht daran interessiert, ob etwas heute Applaus erhält, und morgen die Zustimmung schon wieder obsolet sein kann.
Je totalitärer der Zeitgeist auftritt, desto anstrengender wird es, Stachel im Fleisch zu sein. Irgendwann kommt dann der Augenblick, an dem einem nur noch der Rückzug aus dem weltlichen Geschäft bleibt, wenn man jene maßvolle Heiterkeit bewahren will, die vom Blick auf das Ewige bestimmt ist und mit der sich Benedikt in diesen Tagen auf seinen leiblichen Tod vorbereitet.