Seit der Wahl Donald Trumps und der Brexit-Entscheidung existiert eine gewisse Routine der deutschen Medien: Leitartikler und andere Meinungsinhaber stellen fest, dass die Zeitläufte schmählich darin versagt hat, ihre Prognosen zu erfüllen. Am Mittwoch vergangener Woche lautete der Beschluss der Medienschaffenden noch, mitgeteilt in einer Einheitsformulierung von ARD, Stern, Süddeutsche bis BILD: Jamaika ist auf der Zielgeraden. BILD ragte zugegebenermaßen mit der Doppelmetapher heraus, der „Jamaika-Poker“ befinde sich auf der „Zielgeraden“.
Als der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sein Buch „Wir können nicht allen helfen. Ein Grüner über Integration und die Grenzen der Belastbarkeit“ vor der Bundespressekonferenz vorstellte, gab es im wesentlichen zwei Reaktionen.
Es gibt eine neue Farbe in der deutschen Medienlandschaft: Die Neue Zürcher Zeitung dehnt ihre Deutschlandberichterstattung deutlich aus. Der Journalist Marc Felix Serrao, ehemals Süddeutsche Zeitung und FAS, etablierte in diesem Jahr das Berliner Redaktionsbüro der Schweizer. NZZ-Chef Eric Gujer hatte schon vor einiger Zeit darüber gesprochen, dass er mit seinem Blatt auf das mittlerweile so gut wie leere Feld des liberal-konservativen Tageszeitungsmarkts im Nachbarland vorstoßen will.
Vom dezidiert linken Tagesanzeiger gibt es dazu eine besondere Werbung für die Konkurrenz.
In tiefer Sorge registriert der Tagesanzeiger nämlich, dass bei der NZZ ohnehin schon seit längerem Cora Stephan schreibt, „die Lieblingsfeuilletonistin der AfD“. Als Beleg dafür, dass die NZZ gefährlichsten Tendenzen in Deutschland Vorschub leistet, dient ihr zweitens die Tatsache, dass der Hamburger Medienanwalt Joachim Steinhöfel die Schweizer Zeitungen als „neues Westfernsehen“ in Deutschland lobte, dabei aber eher nicht den Tageanzeiger meinte. Steinhöfel nämlich, weiß das Blatt, unterhalte „beste Kontakte in die neurechte Szene“. Übrigens auch in die FDP-Szene – kürzlich interviewte er für seinen Blog Christian Lindner. Und auch in die Grünen-Szene: mit dem grünen Rechtspolitiker Konstantin von Notz verbindet ihn der Kampf gegen das illiberale „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ des scheidenden Justizministers Heiko Maas.
Dem Berliner NZZ-Korrespondenten Serrao bescheinigt der Tagesanzeiger-Autor, einen schädlichen „Eifer“, mit dem er gegen die „angebliche linke Meinungsdiktatur anschreibt“, die in Deutschland natürlich keine Diktatur ist, sondern ein Zustand, in dem etwa 80 Prozent der Printmedien genau so schreiben wie der Tagesspiegel. Was auch der Grund dafür ist, dass der keine Chance auf eine Deutschland-Ausdehnung hätte.