Das Osterfest und die Angst vorm Eigenen
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Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 9 min Lesezeit
Zu den europäischen Urworten gehört das griechische oikos, als konkrete Bezeichnung für das eigene Haus, den Hausstand, also alle, die unter dem gleichen Dach lebten, aber auch als abstrakter Begriff: das Eigene.
Die Wendung Oikophobie verwenden die meisten im Sinn von Abneigung oder Hass auf das Eigene, das Hergebrachte, das Angestammte. Die etwas genauere Bedeutung lautet: Furcht vor dem Eigenen. Möglicherweise auch deshalb, weil viele im Westen (und nur dort gibt es überhaupt die Oikophobie als verbreiteten Zug in der Klasse der Sinnschöpfer) zwar wissen, dass sie ihre kulturelle Herkunft nicht gegen etwas anderes austauschen können, zu ihrem eigentlichen Traditionsfluss aber keinen Zugang finden. Es ist so, als würde jemand vor der verschlossenen Tür des im weitesten Sinn noch eigenen Hauses stehen und gleichzeitig begreifen, dass er nicht einfach in ein anderes ziehen kann.
Dass Frankfurts Stadtverwaltung die Fressgass zu Ramadan mit islamischen Symbolen schmückt, stellt an sich überhaupt kein Problem dar. Auch nicht der tauhid-Fingerzeig des Antonio Rüdiger, der im Islam schon lange vor der Formierung des IS zu den religiösen Gesten zählt. Erst zusammen mit der Leerstelle auf der christlichen Seite, jedenfalls der Leere in den Parteien, Medien und selbst der Amtskirche zeigt sich das schiefe, ängstliche und denunziationsfreudige Verhältnis zum Eigenen, das im öffentlichen und offiziellen Reden herrscht. Selbst bei dem von der ARD übertragenen Karfreitagsgottesdienst muss ein Element unbedingt Sichtweisen aufbrechen und neue Perspektiven behaupten, jedenfalls nach Ansicht von Leuten, an deren kulturellem Verständnis sich kaum noch etwas aufbrechen lässt.
Im Gottesdienst als Ganzem löst sich der Karfreitagskirchentanz zum Glück weitgehend auf. Aber ohne diese Zutat schien er offenbar nicht sendetauglich.
Vor der Verwendung christlicher Symbolik in den Ostergrüßen der Parteien scheint eine Scheu, ja regelrechte Furcht zu herrschen. Gute Wünsche zum Hasen- und Eierfest stellen offenbar schon das Alleräußerste dar.
Die Union erwähnt immerhin noch den Anlass der Ostereierfeiertage.
Und lange, lange suchte offenbar der Bundesgesundheitsminister nach einem Foto, das strikt jede religiöse Bezugnahme und selbst jede verweltlichte Auferstehungssymbolik vermeidet.
Dieser garantiert nebenwirkungsfreie Festtagsgruß weist weit über sich selbst hinaus, nur eben anders, als der Grüßer meint.
Spirituelle Hinwendung gibt es dagegen bei den Grünen in Nordrhein-Westfalen. Es geht also durchaus.
Eine Sonderstellung erobert sich der fränkische Ministerpräsident des überwiegend noch christlichen Bayern. Ikonografisch bewegt er sich hier schon sehr nah an der Figur des salvator mundi.
Im Spanischen gibt es übrigens eine hübsche Redensart zur Beschreibung von Narzissten: Sie wollen auf der Taufe das Baby sein. Zu Weihnachten bastelt Markus Söder möglicherweise auch eine entsprechende Krippenoptik.
Über die Fingergeste Rüdigers schrieb T-Online: „Der Finger-Fall des Antonio Rüdiger entlarvt nämlich, wie Deutschland es mit dem Islam und seinen muslimischen Bürgern hält. Das Verhältnis zwischen der christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft zum Islam ist im mildesten Fall von Unkenntnis, im schlechtesten von Angst und Ablehnung geprägt.“
Vermutlich fällt weder dem Schreiber noch den meisten Lesern auf, in welchem Maß das für die Autochthonen und die christliche Tradition gilt.
Wer in das eigene Haus nicht mehr hineinkommt, kann selbstverständlich behaupten, er wolle auch gar nicht hinein. Kulturell obdachlos bleibt er trotzdem.
Publico wünscht allen Lesern ein hoffnungsfrohes Osterfest.
6 Kommentare
Original: Das Osterfest und die Angst vorm Eigenen
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Pérégrinateur
31. März, 2024Synkretistische Drehung
Im edlen Kirchenschiff die Hierodulen
Erzappeln tiefen Sinn mit ihren Armen,
Verschaffen der Gemeinde Gott’s Erbarmen,
Indem sie eifrig sich im Mehle suhlen.
Die Kinder in den aufgeweckten Schulen
Erlernen unterdrückter Gruppen Carmen,
Die täglich leiden unmenschliche Harmen,
Und üben angeleitet frühes Buhlen.
Wohin man schaut, es wird heut alles besser,
Die Wort und Speisen milder, schärfer die Messer,
Erziehung dringt an vormals fernen Ort.
Gesenkte Blicke nicht mehr spähend schweifen,
Zwei-Meter-Männer springen fromm durch Reifen,
Gebannt ist jedes böse Wort wie Mord.
Manfred Müller
31. März, 2024Kurz, prägnant, treffend. Sie haben sich selbst übertroffen, sehr geehrter Herr Wendt und das will was heißen! Vielen Dank für diesen Text und gleichfalls frohe Ostern!
mfg M.M
Rainer Möller
1. April, 2024Die christliche Religion als das «Eigene» des Westens lässt sich nicht verteidigen. Das Christentum ist eine Allerwelts-Religion, die zwar aus dem Judentum entstanden ist, seine Schranken aber überwunden hat und nicht wieder in andere Schranken eingepfercht werden will.
Publico
1. April, 2024Wer ausspricht, dass das Christentum den Westen kulturell tief geprägt hat, pfercht das Christentum ganz gewiss nicht ein. Und wer diese Prägung abstreitet oder gleichgültig beiseite schiebt, trägt mit Sicherheit nichts zur Freiheit dieser Religion bei. Sie missverstehen den Begriff des Eigenen. Die Tatsache, dass das Christentum historisch in einer bestimmten Region entstanden ist, hat es übrigens in seiner Wirkung noch nie beschränkt.
Karsten Dörre
1. April, 2024Ich lese aus dem Kirchenkarfreitagstanz des evangelischen „Karfreitagsgottesdienst“ in der ARD den ambivalenten Eiertanz des modernen Christentums heraus. Alle Welt orientiert sich wieder auf religiöse Grundbezüge, mal mit mehr Diktatur, mal mit mehr Restriktion, aber nie mit Religionsfreiheit. Das Christentum steht vor der Entscheidung, dies auch wieder zur Grundlage erfolgreicher Religion zu machen oder leise unterzugehen.
Albert Schultheis
1. April, 2024Ich sehe darin einen Veitstanz, der eher eine Teufelsaustreibung zur Kur nahelegt!