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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Die woke Lehre frisst ihre Gründer

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Ethnologen haben viel zur Identitäts-Ideologie beigetragen. Mittlerweile gilt es aber als verdächtig, überhaupt andere Kulturen zu erforschen. Museumskuratoren wetteifern darum, ihre Häuser umzubenennen und am besten auszuräumen. Was in den USA begann, wird im Moralweltmeister-Land perfektioniert: die Selbstabschaffung

Von Redaktion / / politik-gesellschaft / 56 min Lesezeit

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Von Jürgen Schmid

Aufschlussreiche Neuigkeiten kommen aus den USA auf uns zu: Die amerikanischen Ethnologen haben getagt – und dabei deutlich gemacht, dass woke Wissenschaft am Ende ist. Nachdem der Wokeismus in diesem akademischen Milieu entstand und von dort in einer Art Laborunfall in die Gesellschaft diffundierte, sind das eigentlich gute Nachrichten. Peak Woke scheint erreicht. Die Revolution beginnt, ihre Kinder zu fressen.

Die Neue Zürcher Zeitung druckte jüngst den Feldforschungsbericht eines Schweizers aus den USA. David Signer heißt der Beobachter, der sich zum Stamm der US-amerikanischen Ethnologen begab, welche sich in Seattle versammelt hatten, um ihrem Gott zu huldigen – der Progressivität im Namen von Diversität und Identität. Selbstredend fanden auch inquisitorische Reinigungsrituale statt, die Ketzer in den eigenen Reihen markierten und dem Feuer der Verdammnis zuführten, wie Signer irritiert registriert.

Nun handelt es sich bei dem Feldforscher selbst um ein Stammesmitglied, in Zürich initiiert vom charismatischen Schamanenforscher Michael Oppitz. Signers Erzählung über den Niedergang seines Stammes beginnt mit der Frage, ob es mit der Political Correctness vereinbar sei, dass ein Berner Feldforschung über Abfallsammler in einer nigerianischen Stadt betreibt. Es ist die Frage nach der Sprecherposition, danach, wer wen repräsentiert und repräsentieren darf, ob das monologische Sprechen und Schreiben des Forschers über die Erforschten aufgebrochen werden kann (muss?) durch „partizipative Praktiken“ in Ausstellungen und Publikationen. Die Thematik ist nicht neu: Ventiliert wurde das bereits in der sogenannten Writing Culture-Debatte, die als „Krise der Repräsentation“ in die Geschichte der Ethnologie einging. Das Gründungsmanifest trugen James Clifford und George Marcus unter dem Titel “Writing Culture: The Poetics and Politics of Ethnography” im Jahr 1986 vor.

Jedem, der seine Forschungsergebnisse präsentiert, sollte klar sein, wie sehr sein „monologisches Sprechen“ über die Erforschten einer „Akteursperspektive“ bedarf: Der Forscher sollte nicht seine Ansichten ins Zentrum stellen, sondern jene des „Anderen“. Es war und bleibt ein wichtiger, bedenkenswerter, sinnvoller Ansatz; aber der Zeitgeist hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet – wie bei allem. (Selbst der Gender-Irrsinn hatte mal sinnvoll angefangen.) Nachdem die Writing Culture-Debatte noch überlegte, wie das Monologisieren aufgebrochen werden kann, soll nun gar niemand mehr über etwas sprechen dürfen, was ihn nicht persönlich betrifft. Auch außerhalb der Ethnologie treibt dieser Purismus absurde Blüten, etwa, wenn das Gedicht einer Schwarzen bei Joe Bidens Inauguration nur von einer Schwarzen, am besten genau so jung wie die Gedichtaufsagerin, übersetzt werden darf. Das ist die Ernte dessen, was sie gesät haben. Und nun schlägt die Ernte den Saatausbringern, könnte man salopp sagen, eins über die Rübe. „So beklagten sich auf der Konferenz Teilnehmer [also: amerikanische Ethnologen] darüber, dass sie sich rechtfertigen müssten, wenn sie im ‚globalen Süden’ Forschung betrieben“. Geliefert wie bestellt. Wir sehen das Endprodukt einer postmodernen Individualisierung, die immer mehr pervertiert in eine Atomisierung der Gesellschaft. Am Ende dieser Entwicklung spricht jeder nur noch für sich selbst; es kann und darf überhaupt keine Repräsentation mehr geben.

Wie kam die Ethnologie in die prekäre Situation, um die Frage zu kreisen, „wie ein Deutscher jemals Verhältnisse in Afrika oder Südamerika verstehen könne“? Es begann mit einer „Erfindung“ des deutsch-amerikanischen Ethnologen Franz Boas und seiner Schule. Ihre Denkfigur des „Kulturrelativismus“ behauptete, man könne eine Kultur nur aus sich selbst heraus verstehen, was Universalaussagen verbiete. Trotz wohlbegründeter Einsprüche – etwa Hans Peter Duerrs Beharren auf transkulturellen Universalien wie dem Schamgefühl – wurde der Kulturrelativismus im ethnologischen Denken dominant, diffundierte aus den Universitäten in Politik und „Zivilgesellschaft“ und formte sich zu einer Waffe der Progressiven. Für die links-ideologisch gekaperte Bundeszentrale für politische Bildung bildet die Idee des Kulturrelativismus („ein wichtiger Bestandteil des Multikulturalismus“) folgerichtig den gewünschten „Gegenbegriff“ zum Universalismus, welcher „eine allgemeingültige Ethik“ postuliert. Wer aber dekretiert, „dass Kulturen nicht verglichen oder aus dem Blickwinkel einer anderen Kultur bewertet werden können“, muss zwangsläufig dort enden, wo die Betrachtung der Welt an einer Wand aus Tabus zerschellt.

Der Schweizer Beobachter Signer resümiert seine Feldforschung beim Stamm der US-amerikanischen Ethnologen ernüchtert: „Es gebe eine Tendenz zur Introspektion“, zum Suhlen in der eigenen Befindlichkeit – ein narzisstischer Kult, der Wissenschaft und Journalismus unterwandert hat. Es sei „vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die einstmalige ‚Völkerkunde’ selbst zerlegt und auflöst“. Warum das so ist? Weil „jedes Reden über das ‚Andere’ suspekt wird“ (korrekter formuliert: suspekt gemacht wird ausgerechnet von denen, deren Beruf es ist, uns dieses „Andere“ nahezubringen). Etwas ist von den Füßen auf den Kopf gestellt worden: „Horizonterweiterung“ sei einst „Ziel der Ethnologie“ gewesen; heute gelte eine solche Sicht auf die Welt als „postkolonial“. Will heißen: als Schuldigwerden an der Welt. Zum Verzweifeln, findet Ethnologe Signer: „Im Namen der Rücksichtnahme werden die Fenster geschlossen, so dass sich alle in ihrer kleinen, vertrauten Spiegelwelt einkapseln können.“

Die Tagung in Seattle führt also geradewegs zum Problem aller Probleme für das Fachgebiet: Wenn jeder nur noch über sich selbst sprechen darf, ergibt die gesamte Ethnologie – also die Erforschung des Anderen – keinen Sinn mehr. Und eigentlich auch generell die Neugier auf das Andere.

Sozialanthropologen im Weltmuseum – Verunsicherung als Inhaltsersatz

Wie man jeden festen Standpunkt verliert, wenn alles in Frage gestellt wird, kann am Beispiel der Ethnologie mustergültig studiert werden. Das Nachbarfach, welches lange Zeit Volkskunde hieß und sich neuerdings mitunter „Europäische Ethnologie“ nennt, hat seit der marxistisch motivierten „Kritik des Kanons“ in einem vielsagend „Abschied vom Volksleben“ betitelten Symposion im Jahr 1970 eine bewusste „Unterwanderung der Kultur“ betrieben. All dies atmet destruktiven Charakter. Man verabschiedete sich von fundierten und strukturierten Wissensbeständen, ohne in das Vakuum etwas substantiell Eigenes einfügen zu können – seit 1968 eine Tendenz in allen Geisteswissenschaften bis hin zur Theologie. Der Münchner Alttestamentler Jörg Jeremias beklagt eine „Dekonstruktion von Hypothesen“, womit ein Verlust der „Erzählung“ einhergehe, ohne dass die Dekonstrukteure Alternativen anzubieten hätten. Der Würzburger Wolfgang Brückner bemerkt dazu treffend: „Die Ablehnung jeglichen Kanons und die Verfluchung [sic!] der konkreten Dinge haben die Freisetzung des flottierenden Geistes für alles und zugleich nichts bewirkt“. Es genüge „halt nicht, bloß zu wissen, was man nicht mehr mag“.

Manifest wird die Verunsicherung schon im Namen. Die Geschichte deutscher Ethnologie seit der Jahrtausendwende muss zuvorderst erzählt werden als eine nicht endenwollende Umbenennungsfarce. Als sich 2017 die deutschen Ethnologen versammelten, taten sie das letztmals unter dem Namen „Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde“. In Berlin wurde die „Völkerkunde“ zu Grabe getragen – die Versammlung gebar ein Wortungeheuer namens „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA)“. Geschichte war damit eine Fachdisziplin, die 1772 aus August Ludwig von Schlözers „Universal-Historie“ geboren wurde, worin der Göttinger Gelehrte „Summarien der Weltgeschichte nach den Hauptvoelkern und Voelkerklassen“ darlegte. Das „Handout“ für die „Abstimmung zur Umbenennung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V.“ am 6. Oktober 2017 liest sich als ein verstörendes Dokument der Auflösung.

Die Befürworter einer Umbenennung führten gegen den Begriff „Völkerkunde“ ins Feld: „Verknüpfungen zwischen völkerkundlicher Theoriebildung & Forschung mit rassenideologischem und völkisch-nationalistischem Gedankengut des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“ (weshalb der Begriff für alle Zeiten als kontaminiert gilt); dass „aktuell“ durch „Erstarken nationalistischer und völkischer Ideologien in Deutschland & Europa“ der „‚Volks-/Völker’-Begriff erneut unhaltbar“ gemacht werde; „stark negative Assoziationen mit dem Begriff in der Öffentlichkeit“ (wer diese Gefühle wohl geweckt hat?); das „Negativ-Potenzial für öffentliche Positionierung von Fachvertreterinnen (z.B. Lächerlichmachen bei öffentlichen Medienauftritten als ‚Völkerkundlerin’)“.

Völlig nachvollziehbar wird immerhin darauf verwiesen, dass „Völkerkunde“ „heute keine Entsprechung mehr an universitären Instituten“ habe – und deshalb eine Dachgesellschaft dieses Namens keinen Sinn mehr mache, wenn es kein Haus gäbe, das es zu beschirmen gelte. Nach dieser Logik hätte die Wahl auf „Ethnologie“ fallen müssen, der landläufigen Selbstbezeichnung ehemaliger Völkerkunde-Lehrstühle. Mit der Entscheidung für den neuen Namen „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie“ tritt nun die paradoxe Situation ein, dass sich die Völkerkunde umbenannte, weil sie mit diesem Namen keine Anbindung an die akademische Wirklichkeit mehr hatte – und nun nach der soundsovielten Umbenennung verbal scheinbar nichts mehr zu tun hat mit sämtlichen akademischen Fachinstituten landauf, landab.

Als Ausblick muss mitgeteilt werden, was die Gegner der neuen Namensgebung anführten: Dass „Sozialanthropologie als Teilgebiet physischer Anthropologie [ihre] Blütezeit in der Nazizeit mit Rasseforschung“ hatte, und damit eigentlich tabu wäre. Und dass „’Anthropologie/Anthropology’ bspw. an afrikanischen Universitäten stark mit Kolonialzeit assoziiert“ würde – und auch aus diesem Grund nicht in Betracht gezogen werden dürfe. Wer sich selbst in immer engere Tabuzonen einsperrt, dem fehlt am Schluss die Luft zum Atmen, was bekanntermaßen negative Auswirkungen auf die Hirntätigkeit hat.

2021 hat sich auch die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde (dgv) einen neuen Namen gegeben: Deutsche Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft (dgekw). Was dieser „Wirrwarr“ angerichtet hat, offenbart Moritz Eges hilflos-selbstironische Reflexion seines Berufswegs durch das Dickicht der Fachbezeichnungen unter dem kindischen Titel „Ich habe nichts gegen Sozial- und Kulturanthropologinnen – einige meiner besten Freundinnen sind Sozial- und Kulturanthropologinnen“ auf fast tragikomische Weise: „Studiert habe ich Europäische Ethnologie, an der HU Berlin. […] Das Studienfach habe ich gewählt, weil ich – eher zufällig – wusste, dass sich hinter diesem Namen das verbirgt, was in Tübingen Empirische Kulturwissenschaft heißt […]. Mein Doktorvater […] ist habilitierter Kultursoziologe […]. Dann habe ich am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde gearbeitet – und angesichts des V-Wortes [sic!] einigen Spott Berliner KommilitonInnen über mich ergehen lassen müssen. Durch den Wechsel nach Göttingen wurde ich 2015 offiziell zum Kulturanthropologen, was ich bis dahin noch nicht war, ohne dafür aber das Fach wechseln zu müssen. […] Ethnologe nenne ich mich in schwachen Momenten, wenn nicht das Risiko besteht, dass sich jemand ethnisiert und exotisiert vorkommt […]. In einer interdisziplinären DFG-Forschergruppe, an der ich beteiligt bin, erklärt die Kollegin aus der Ethnologie in englischsprachigen Situationen gern, sie selbst sei social anthropologist und wir (Ex-VolkskundlerInnen) seien cultural anthropologists“.

Wie mancher Soziologe stolz darauf ist, eine „Verunsicherungswissenschaft“ zu betreiben, so verunsichern sich woke Wissenschaftler in einer schier endlosen Spirale selbst, was am Beispiel der Völkerkundemuseen öffentlich sichtbar wird. Im deutschsprachigen Raum haben sich seit der Jahrtausendwende (fast) alle einschlägigen Institutionen einen anderen Namen gesucht. Die Palette ist so bunt wie die darin ausgestellten Objekte, die Verwirrung für den interessierten Laien groß. Viele neu firmierende Museen lassen sich alleine auf Grund ihres renovierten Namens gar nicht mehr in einer konkreten Stadt verorten:

München: Museum Fünf Kontinente (bis 2014: Museum für Völkerkunde, seit der Gründung 1862 bis 1917: Königlich Ethnographische Sammlung)

Hamburg: Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) (bis 2018: Museum für Völkerkunde Hamburg, gegründet 1867)

Bremen: Übersee-Museum (seit 1951; gegründet 1872/75)

Berlin: Ethnologisches Museum (bis 2000: Museum für Völkerkunde, gegründet 1886; bald: Humboldt-Forum)

Stuttgart: Linden-Museum – Staatliches Museum für Völkerkunde (gegründet 1889)

Frankfurt am Main: Weltkulturen Museum (bis 2001: Museum für Völkerkunde; gegründet 1904)

Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt (gegründet 1906)

Wien: Weltmuseum (bis 2013: Museum für Völkerkunde, gegründet 1928)

Acht Völkerkundemuseen – acht verschiedene Namen. Mit babylonischer Sprachverwirrung ins Abseits. Doch die Namensfarce ist nicht einmal das Verheerendste am Selbstauflösungsprozess eines Fachs.

Ausverkauf in Deutschlands Museen

„’Lernen aus Kolonialgeschichte’: Benin-Bronzen zurückgegeben“. Wortgleich berichteten die vielfältigen Qualitätsmedien Zeit, SZ, n-tv, Merkur e tutti quanti, als wären sie keine journalistisch arbeitenden Redaktionen, sondern nur noch Copy-Shops zur Vervielfältigung regierungsamtlicher Verlautbarungen.

„Mit einem international beachteten Schritt sind 20 der kostbaren Benin-Bronzen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja zurückgegeben worden. Die in Kolonialzeiten geraubten Kunststücke […], gehörten lange Zeit zu den Beständen von fünf deutschen Museen.“ So, als ob Deutschland Kolonialmacht gewesen wäre in dem Gebiet, in dem „geraubt“ wurde. Und als ob deutsche Soldaten den Raub begangen hätten.

Merkwürdigerweise scheint sich niemand Offizielles in Deutschland zu fragen: Wo in Nigeria werden die Bronzen eigentlich ausgestellt? Was hat der Staat Nigeria mit dem Königreich Benin gemein? Auch, dass die zurückgebende Außenministerin Annalena Baerbock ernsthaft meinte, mit der Rückgabe würde Deutschland einen Teil seiner „dunklen Kolonialgeschichte“ aufarbeiten – so, als wären Benin und/oder Nigeria je deutsche Kolonie gewesen – zeigt, wie gering ihr Interesse an Geschichte, an diesem Land und an den Kunstgegenständen eigentlich ist. Alles, was Grüne anfassen, scheint für sie nur Verfügungsmasse für ihre Ideologie zu sein. Siegfried Lenz bringt es in seinem Roman „Heimatmuseum“ auf den Punkt: Der sozialdemokratische Redakteur einer Lokalzeitung antwortet auf die Frage, wie sich sein Bericht über ein Ereignis mit den „Tatsachen“ vertragen würde: „Tatsachen? Die sind doch nur das Ersatzteillager für unsere Politik.“

Die „Rückgabe“ der Benin-Bronzen kurz vor Weihnachten 2022 bietet zusammen mit der „Provenienzforschung“ eine Spielwiese zum Zwecke der Selbstdemütigung. In den Museen sehen grüne Politikerinnen wie Claudia Roth als kulturabbauende Kulturstaatsministerin und Annalena Baerbock als feministische Außenministerin bestens bestückte Ersatzteillager für ihre Weltbefriedungsphantasien.

„Die Rückgabe zeige die ‚Bereitschaft, das eigene Handeln kritisch zu bewerten’.“
„Eigenes Handeln“? So, wie es im Text montiert wurde, bezieht sich das auf den Raub. Und den hatte Deutschland eben nicht begangen. Unten, viel weiter unten, bis wohin kaum mehr jemand liest, steht dann, wie es wirklich war: Die strittigen Objekte „stammen größtenteils aus britischen Plünderungen im Jahr 1897“.

Im selben Einheits-Chor kann die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Petra Olschowski unwidersprochen und von journalistischen Nachfragen unbehelligt sagen: „Die heutige Rückgabe […] ist nur ein Anfang“. Der SZ-Kommentator übernimmt diese Formulierung wörtlich in seinen Kommentar: „Die Benin-Bronzen können nur der Anfang sein“.

Als ob deutsches Zeichensetzen auf internationalem Parkett nicht gerade bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar eine veritable Bauchlandung hingelegt hätte, bezeichnet Jörg Häntzschel in einer Art pawlowschem Reflex „die Rückgabe der Kunstwerke an Nigeria“ als „ein wichtiges Zeichen“. Aber es kann nie genug Zeichen geben: „Doch damit kann Deutschland noch nicht zufrieden sein.“ Natürlich nicht: Alles muss raus. Wenn die Rückgabewut so weitergeht, brauchen sich unsere Völkerkundemuseen wenigstens bald nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie nun korrekt heißen sollen: Weltmuseum wie in Wien? (Wer Welt sagt, will betrügen.) Denn wenn alles zur Zufriedenheit „zurückgegeben“ ist, gibt es sie nicht mehr. Eine merkwürdige Spezies ist zu besichtigen: Nicht nur Ethnologen, die ihr eigenes Fach ad absurdum führen, sondern auch Museumskuratoren, die an ihrer Selbstabschaffung arbeiten. So wie Hermann Parzinger in Berlin: Statt die beginnende Auflösung seiner Museen zu verhindern, statt mit Rücktritt zu drohen, macht sich der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zähneknirschend zum Anwalt der Zerstörung des Museumsauftrags „Kulturgüter zu bewahren und zu beschützen“ – und vollzieht mit zitronensaurer Miene das, was ihm von der Politik vorgeschrieben worden war. Stattdessen hätte er fragen müssen: Dient es dem Schutz von Kulturgütern, wenn sie in ein Land verbracht werden, das von nachweislich auf die Zerstörung nicht-islamischer Kunstgegenstände und Denkmäler spezialisierten islamistischen Terroristen bedroht und zum Teil schon beherrscht wird?

Erstaunlich auch, welche Erkenntnis Rückgabe-Ministerin Petra Olschowski in Afrika ereilt hat, wenn sie dort eine ihr in der eigenen Heimat unbekannte Dimension entdeckt: „Es geht um das kulturelle Gedächtnis der Menschen vor Ort, die ihre eigene Geschichte mit den Objekten, Bronzen und Skulpturen zurückbekommen“. Und das deutsche kulturelle Gedächtnis – wer sorgt sich darum? Die baden-württembergische Kultusministerin jedenfalls nicht. Die hat anderswo in der Welt Wichtigeres zu tun.

Keine Sorgen muss sich jedenfalls Annalena Baerbock um ihr Image in der deutschen Qualitätspresse machen. Dem Stern gelang sogar das Kunststück, die Rückgabe-Reise der Außenministerin zu einer Homestory ganz eigener Art zu frisieren: „’Gekommen, um einen Fehler zu korrigieren’: Wie Annalena Baerbock die Königsmutter nach Hause begleitet“. Subtext: Baerbock kümmert sich, zeigt sich zugewandt, mütterlich.

Hinter dieser Rührstory soll offensichtlich eine andere Rückgabe-Motivation versteckt werden, eine mit scharfkantigen geopolitischen und ökonomischen Interessen: Mit der Rückgabe „kann Deutschland im Werben um Afrika punkten“, lesen wir an anderer Stelle. Ganz andere Töne plötzlich.

Von „afrikanischen ‚Swing States’“ ist da die Rede, die „bei internationalen Abstimmungen umworben sind sowohl von westlichen Demokratien als auch autoritären Regimen“. Warum also die Rückgabe jetzt? Wegen des kulturellen Gedächtnisses, das seinen Ort nur in Nigeria finden kann? Zur deutschen Gewissenserleichterung? Oder doch, wie der Stern schreibt: „Damit können Deutschland und der Westen punkten im neuen Kalten Krieg“?

Welche Interessen verbergen sich hinter dem objektiv-akademisch klingenden Namen „Provenienzforschung“ – Kind und Mutter des Rückgabewahns zugleich? In Berlin initiierten pflichtbewusste Staatsdienerinnen 2018 das „Humboldt Lab Tanzania“, um „Objekte aus kolonialen Kriegen im Ethnologischen Museum Berlin“ „Deutsch-Tansanischen Perspektiven“ zu unterwerfen: Man setzte sich dabei „ausdrücklich mit Objekten auseinander, die einem gewaltsamen Erwerbskontext aus Kriegszusammenhängen entstammen.“ Warum? Will man um jeden Preis den Eindruck erwecken, es gäbe keine anderen Objekte als solche, „an denen Blut klebt“? So jedenfalls hatte es die französische Ethnologin Bénédicte Savoy als Sprachregelung und Forschungsauftrag vorgegeben, als sie das Humboldt Forum aus Protest gegen zu wenig Political Correctness verließ, um nun ihrem Präsidenten Macron zu dienen – mit dem martialischen Kriegsruf: „Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“. Das wirkt nicht, als würde man nicht erschrocken sagen: „Oh je, da haftet wirklich ein Makel an diesem oder jenem Objekt in unserem Besitz. Wir sollten überlegen, wie wir damit umgehen.“ Sondern als würde man danach gieren, möglichst viele Objekte „mit Blut daran“ zu finden. Diese Selektion jedenfalls bietet linken Presseorganen wie dem Tagesspiegel die Möglichkeit, ethnologische Objekte als „Berlins verfluchte Schätze“ zu exorzieren.

Afrika in Stuttgart – Selbstknebelung unterm Brennglas

Die politisch korrekte Verrenkung ist nicht nur in Berlin zuhause. „Ein Diorama aus den sechziger Jahren, das ein Bild von Wilden vor Basthütten zeigt, wird mit klarer pädagogischer Botschaft versehen. ‚Denk daran, das ist nicht Afrika’, steht mahnend dabei.“ Pädagogik mit dem Holzhammer in einer Ausstellung anno 2019, die Anlass gibt, darüber nachzudenken, in welcher Sackgasse die museale Präsentation außereuropäischer Kulturen inzwischen angekommen ist. „Bedauerlich, dass diese kluge Ausstellung ausschließlich auf die aktuellen Debatten zum Kolonialismus reagiert und so stark in diesem Diskurs verfangen ist“, schreibt Adrienne Braun über die neue Afrika-Präsentation im Stuttgarter Linden-Museum.

Korrektheitsanspruch, in den Rang von unfehlbaren Dogmen erhobene Moralgebote und ein völlig überzogener Dekonstruktionswahn haben Museumskuratoren in eine nahezu ausweglose Situation manövriert, in der sie nicht mehr klar denken können – und letztlich guten Gewissens nichts mehr auswählen, gestalten, schreiben und präsentieren, ohne sich sofort selbst zu relativieren oder jede Aussage gleich wieder halb oder ganz zurückzunehmen.

Mit der Sprache fängt es an: Wer moralisch korrekt formulieren will, wird in letzter Konsequenz überhaupt nicht mehr sprechen können. Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum wurde in Ausstellungstexten der Begriff „Neger“ durch „N-Wort“ ersetzt – auch in historischen Quellen. Irgendwann ist eine derartige Korrektheit am Ende des Sagbaren angekommen – und jede Kommunikation muss verstummen.

„Die Objekte selbst treten in den Hintergrund. Die Lamellophone, Instrumente, die mit den Fingern gezupft werden, hängen stumm hinter Glas (…) Nichts verrät, wie sie genutzt wurde[n] oder kling[en].“ Beim ständigen Versuch, „alles richtig zu machen“, gerät Nebensächliches wie „das Objekt“ und die Vermittlung seiner Geschichte aus dem Blick. Museumsarbeit aber müsste stets den Fokus darauf richten, den Dingen und den Menschen, die sie hergestellt und benutzt haben, gerecht zu werden, anstatt nur noch zu theoretisieren und zu politisieren. Der Bochumer Ethnologe Dieter Haller wirft seinen deutschen Standesgenossen vor, „alles Mögliche und mit Vorliebe Texte [zu] untersuchen – am allerwenigsten aber das Humane am Menschen.“ Statt dahin zu gehen, „wo es brodelt; da, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt“, dorthin, wo der Platz der Ethnologie wäre, „gefällt man sich darin, ohne ethnologische Basis zu Bhabheln, zu Agamben und zu Butlern, das ist ja auch viel angenehmer als sich an den Herd mit einer Familie zu setzen und mit ihnen über ein Jahr lang Kohlsuppe zu löffeln.“

Fehlende Bodenhaftung, dafür zu viel „Introspektion“ – das wird auch der Stuttgarter Afrika-Ausstellung zum Verhängnis, wo die Museumsobjekte nicht ihre eigene Geschichte erzählen dürfen, „sondern die der Europäer, die um Wiedergutmachung ringen.“ Der eine eurozentrische Blick wird durch einen anderen ebenso eurozentrischen ersetzt. „Der Fokus der neuen Abteilung liegt auf den eigenen Aktivitäten, sei es in der Provenienzforschung oder in Arbeitsgruppen zum Thema Rückgabe.“ Beim Blick in den Spiegel sieht man immer nur sich selbst. Keinesfalls aber „den Anderen“.

In der neuen Stuttgarter Afrika-Abteilung wurde auch mit „Partizipation“ experimentiert: Die italienische Kuratorin hat mit einem Kameruner, der in Stuttgart lebt, in Yaoundé ein Motorrad gekauft und in der Ausstellung geparkt. Wenn diese Banalität „Partizipation“ ist – wozu braucht es dann theoriegesättigte Disputationen zu diesem Thema? Und wenn „Partizipation“ konsequent durchgeführt wird, bastelt sich jeder sein eigenes Museum, womit sich die Museumskuratoren, die solches fordern, selbst abgeschafft hätten.

Einen „Sammelwahn“ diagnostiziert schließlich die TAZ mit erhobenem Zeigefinger. Dabei müsste ein Museumskurator, der nicht sammelt, abgemahnt und letztlich entlassen werden – wegen Verweigerung seines Dienstauftrags. Ein Museum, das nicht sammelt, ist kein Museum.

Sammlern früherer Tage wird pauschal vorgeworfen, sie hätten sich „für die Menschen nicht interessiert“. Haben sich nicht Missionare intensiv mit den Menschen vor Ort beschäftigt, mit ihrer Sprache etwa? Wie viele Grammatiken und Wörterbücher afrikanischer Sprachen gäbe es gar nicht ohne den Forschereifer von Missionaren? Wie viel afrikanische Geschichte wäre ohne sie verloren gegangen?

Was wäre, wenn… Deutschlands Museen politisch korrekt wären?

Museen seien ein „Instrument der Einverleibung anderer Kulturen“, dekretieren Felwine Sarr und Bénédicte Savoy in ihrem Restitutionsbericht für den französischen Präsidenten Macron. Ein merkwürdiger Vorwurf – denn ein Museum, dass sich keine Dinge „einverleibt“, wäre nicht existent. Und die Anklage des Wilderns in „fremden Kulturen“? Ein Archäologe wird niemals einen persönlichen Bezug zur ausgestellten Kultur aufweisen – muss er also die Geister von Kelten und Römern zurückbeordern, damit diese als einzig über ihre Kultur Verfügungsberechtigten Ausstellungen kuratieren? Der akademisch geschulte Direktor eines Freilichtmuseums „eignet“ sich die Kultur vergangener Bauerngenerationen an, ohne selbst Teil dieser Kultur zu sein. Was wäre die Alternative? Ausstellungen über die deutsche Kolonie Togo nur noch kuratiert von Togoern? Aber von welchen Togoern? Wer wählt die aus? Präsident Steinmeier?

Denkt man den Rückgabe-Furor von seinem logischen Ende her, sähe die Museumslandschaft in einer deutschen Stadt, Beispiel München, bald so aus: Völkerkundemuseum, umbenannt in Museum Fünf Kontinente – leer. Ägyptologische Staatssammlung – leer. Antikensammlung – leer. Glyptothek – leer. Nur: Wohin mit den Objekten? Die meisten Vasen der Antikensammlungen stammen aus Vulci, aus etruskischen Gräbern, die ein Verwandter Napoleons im Auftrag des Vatikan „ausgraben“, eher: plündern durfte. Wer also ist der rechtmäßige Besitzer? Der Staat Italien, der zum Zeitpunkt der Grabung noch gar nicht existierte? Der Kirchenstaat? Oder doch Griechenland, weil die Vasen von dort die Vasen nach Etrurien exportiert wurden?

Weitgehend ungeschoren käme das Bayerische Nationalmuseum davon, wobei die Krippenabteilung ihre neapolitanischen Krippen an Italien abtreten müsste. Viel schlimmer erginge es dem Wiener Volkskundemuseum, einem Kind der K&K-Monarchie: Alle Bestände, die nicht aus dem heutigen Staatsgebiet Österreichs stammen, müssten „zurück“, galizisches Sammelgut etwa in die Ukraine oder Objekte aus Böhmen in die Tschechische Republik.

Im Gegensatz zu Berlin hat München das Glück, kein Vorderasiatisches Museum zu besitzen, das wäre dann auch – leer. (Bagdad und Damaskus sind ja gute Orte für die sichere Aufbewahrung von Kulturgütern.) Die Archäologische Staatssammlung dürfte ihre bayerischen Funde behalten, muss sich aber von ihrer Mittelmeerabteilung trennen. Auch hier träfe es Berlin härter, verwahrt doch das Museum für Vor- und Frühgeschichte Schliemanns Sammlung trojanischer Altertümer – vom Ausgräber dem Museum „zur ewigen Aufbewahrung“ überlassen. Zudem bewirbt man dort stolz „Chipperfields neuen Südkuppelraum, in dem zwei kolossale Götterstatuen des 2. Jahrhunderts n. Chr. aus dem ägyptischen Lykonpolis die Besucher erwarten“.

In Anlehnung an den Song der Band Geier Sturzflug könnte man Berlinern und Touristen sagen: „Besuchen Sie die Nofretete, solange sie dort noch steht“. Wenn es nach der Berliner Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung Saraya Gomis (Linke) geht, soll nämlich nicht nur die weltberühmte Büste aus der Hauptstadt verschwinden, sondern auch der Pergamonaltar und vieles mehr.

Denn: „All die Kulturgüter aus anderen Weltregionen gehören nicht uns, sie sind unrechtmäßig hier“. Was dann wohl auch für niederländische, italienische und französische Bilder in der Gemäldegalerie gelten müsste. In Deutschland nur deutsches und germanisches Kulturgut: Wer hätte vor zehn Jahren geahnt, dass diese Forderung einmal von linken Erwachten kommen würde? Nur gesäuberte Museen sind nach dieser Lehre gute Museen. Und nur Ethnologen, die aus Vorsicht gleich zuhause bleiben und am besten nur ihre eigenen Befindlichkeiten erforschen, gute Wissenschaftler.

Identitätspolitik ist intellektueller Suizid – betrieben von einem akademischen Milieu, das zu schwach ist, um sich gegen die neuen finsteren Zeiten zu wehren.

Jürgen Schmid ist Historiker und freier Autor. Er lebt in München.

20 Kommentare
  • Oskar Krempl
    22. Februar, 2023

    Eloquent und genau in großem Umfang beschrieben, was letztendlich nichts anderes als ein weiterer Aspekt der Tragödie «Deutschland schafft sich ab» ist. Lange wird es nicht mehr dauern bis das Werk vollendet ist.

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    • Gerald Gründler
      24. Februar, 2023

      Die Banausen haben die Macht übernommen, das Ergebnis ist natürlich Kulturverlust. Der Gewinn an «Vielfalt» mit den durch dieselben Banausen offen gehaltenen Grenzen lässt sich sehr gut u.a. an der Kriminalstatistik, grassierendem Antisemitismus, wirtschaftlichem und infrastrukturellen Niedergang und dem internationalen Amüsement über deutsche Sonderwege ins Abseits der skurrilen Sonderlinge gut verifizieren.

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  • Dr. Wolf Manuel Schröter
    22. Februar, 2023

    Gut, dass Sie das aufspießen!
    Aber: Man wird nichts ändern können. Nicht nur hierzulande, aber besonders im Super-Moral-Staat «Bundesrepublik Deutschland» sind völlig Unwissende, Irr-, Wahn- und Blödsinnige unbelehrbar und böswillig am Werk, das, was deutsche Wissenschaft der Welt bewahrt hat, sinnfrei zu zerstreuen. Unkenntnis, als wenn auch nicht entschuldbaren, Zustand kann ich keiner dieser Personen, die hierzulande «Kulturpolitik» veranstalten, zubilligen; es ist dumm-böswillig, was da getan wird. Das Beispiel der Benin-Bronzen ist das Paradestück. Es gibt genau dokumentierte Geschichte; wenn man sie aber erst gar nicht wissen will und sich die Welt selbst so zurecht bastelt, wie man sie sich illusionär glauben machen will, dann kann man dem nur durch erbitterten Widerstand wenigstens etwas entgegen setzen. Ob es etwas nützt? Nicht bei dieser kulturvergessenen Bande (nicht nur in der Politik): Ich bin da zutiefst pessimistisch. Bei Protesten an entsprechenden Stellen hält man es nicht für nötig, zu reagieren. Man rennt gegen Gummiwände. Die Chuzpe dieser Personen ist nicht übertreffbar. Oder die Angst vor materiellen Konsequenzen, wenn man nicht tut, was seitens der Böswilligen und Illusionäre verlangt wird.

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    • Werner Bläser
      23. Februar, 2023

      Bei der Nofretete ist es ja dasselbe. Die wurde ja nicht aus Ägypten geklaut, sondern ganz legal ausgeführt. Per Fund-Teilung. Aber mittlerweile sehe ich die möglichen Rückgaben mit anderen Augen an. Sehen Sie es doch mal so: Das Land Ägypten ist weit davon entfernt, dem woken Wahnsinn zu verfallen. Die schätzen ihre Vergangenheit, ihre Tradition, ihre Kunst. Vielleicht wäre es gar nicht das Schlechteste, wenn viele Kunstschätze wieder zurück zu ihren Ursprüngen wandern würden. Wenn wir diese kulturvergessenen Idioten hier in Deutschland immer wieder wählen, verdienen wir die Schätze gar nicht.

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      • Dino
        27. Februar, 2023

        so habe ich es nie gesehen, aber danke für Ihren Gedanken: «Wenn wir diese kulturvergessenen Idioten hier in Deutschland immer wieder wählen, verdienen wir die Schätze gar nicht.»

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  • Roland Drewinski
    22. Februar, 2023

    Amen. Danke, Herr Schmidt (oder warum es sich lohnt, Dinge zuende zu denken)

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  • Thomas
    22. Februar, 2023

    Identitätskunst

    Aktionskunst, Altkunst, Ausdruckskunst, Baukunst, Bildhauerkunst, Buchkunst, Digitalkunst, Erzählkunst, Filmkunst, Gegenwartskunst, Graffiti-Kunst, Hindukunst, Kinokunst, Lackkunst, Laienkunst, Lichtkunst, Malkunst, Metallkunst, Tonkunst, Zeichenkunst, oder Aufführungskunst, Beschaffungskunst, Erwerbskunst, Fahrkunst, Fechtkunst, Heilkunst, Ingenieurskunst, Jagdkunst, Kampfkunst, Kochkunst, Kriegskunst, Lebenskunst, Liebeskunst, Reitkunst, Schauspielkunst, Schreibkunst, Spielkunst, Sprachkunst, Sprechkunst, Staatskunst, Steuermannskunst, Überredungskunst, Verstellungskunst, Vorlesekunst, Wasserkunst, Webkunst, Wortkunst, …

    Identitätspolitik ist intellektueller Suizid – betrieben von einem akademischen Milieu, das zu schwach ist, um sich gegen die neuen finsteren Zeiten zu wehren.

    Natürlich.
    Natürlich wehrt es sich nicht gegen die neuen finsteren Zeiten, denn schließlich lebt das akademische Prekariat davon. Wovon denn sonst. Letztendlich und im Grunde ist natürlich auch die Unterscheidung von Raub-, Plünder- oder Beutekunst künstlicher Natur.

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  • Werner Bläser
    23. Februar, 2023

    Woke Peak in der Ethnologie? Ich kann das nur unterstreichen (als ehemaliger Nebenfach-Ethnologe). Der Irrsinn fing in der amerikanischen Ethnologie an – dort wird er auch offenbar beendet.
    – Zunächst: Kulturrelativismus ist eigentlich zweideutig. Einige seiner Anhänger meinen, man könne Kulturen nur aus sich selbst heraus beurteilen, andere gehen weiter und postulieren, dass es keinen archimedischen Punkt gäbe, keine Meta-Ebene, von der aus man verschiedene Kulturen – etwa moralisch – beurteilen könne.
    Das beinhaltet gleich mehrfache logische Schwierigkeiten.

    1. Kulturrelativismus ist ein rein westliches Phänomen. Anderen Kulturen ist er – weitgehend – fremd. Wenn wir also Kulturrelativismus postulieren, versuchen wir damit, anderen unsere westliche Sicht der Dinge aufzustülpen, obwohl wir vorgeblich das Gegenteil wollen.
    2. Der Kulturrelativismus übersieht oder unterschätzt kulturelle Universalien. Viele Dinge gibt es in fast (!) allen Kulturen.
    3. Der Kulturrelativismus übersieht, dass man zwar keine wissenschaftliche Meta-Ebene basteln kann, von der man fremde Kulturen aus beurteilen kann, dass dies aber nicht unbedingt zwingend notwendig ist. Man kann andere Kulturen auch analysieren unter dem Vorbehalt, dass man eine bestimmte kulturelle Perspektive einnimmt. Auch wenn wissenschaftliche Objektivität so nicht herzustellen ist, schliesst das doch durchaus lohnende Erkenntnisgewinne nicht aus. Heisst: man muss sich seiner Erkenntnisgrenzen bewusst sein.
    4. Der Kulturrelativismus in seiner woken Form geht irgendwo an seinen eigenen Absurditäten zugrunde. Axiom: je relativer, desto absurder. Denn wenn alle Kulturen gleichwertig sind und verschiedenste Sitten und Bräuche bestimmter Kulturen nicht zu kritisieren sind, dann führt das zum Schluss, dass – zum Beispiel – Kannibalismus in einer Kultur und die Perhorreszierung von Kannibalismus in einer anderen gleiche «Gültigkeit» haben und gleichen Respekt verdienen. Was offenkundig dem Bestreben des Menschen nach Logik zuwiderläuft.
    5. Der Kulturrelativismus übersieht, dass er – zu Ende gedacht – nicht nur auf der gleichen Zeitebene gelten kann, sondern auch auf verschiedenen Zeitebenen. So, wie wir z.B. jetzt existierende fremde Kulturen wertschätzen müssten, müssten wir dann eigentlich auch unsere früheren Kulturen wertschätzen – etwa die des Nazismus in Deutschland in der Vergangenheit. Es gibt keine kohärente logische Basis, das eine zu fordern, das andere aber abzulehnen. Eine (auch) moralische Stellungnahme erscheint daher offensichtlich alternativlos.
      – Zu den USA: Seit Beginn meines Ruhestands (habe ja jetzt Zeit) befasse ich mich wieder vermehrt mit amerikanischer Ethnologie und habe eine bemerkenswerte Entwicklung gesehen. Während die Kulturanthropologen und – allgemein – Beobachter früher doch eher die westlich-weisse Perspektive einnahmen, änderte sich dies etwa ab den 60iger Jahren. Es lässt sich für Fachfremde sogar an populären Büchern und Filmen nachvollziehen: In alten Western waren die Indianer grundsätzlich die bösen Wilden, die Weissen die Guten, während sich dies irgendwann umkehrte und die Weissen die Bösen wurden, während die Indianer entweder unschuldige Opfer oder wohlmeinende Natur-Pfleger («die ersten Grünen») waren. Beides ist gleich lächerlich.
      Inzwischen hat sich der Wind wieder gedreht und nach meinem Eindruck haben rational-vernünftige Perspektiven mehrheitlich die Oberhand gewonnen. Der Grund – so vermute ich – war wohl, dass die Woken einfach «überdreht» haben. Das gipfelte in regelrechten Manipulations- und Lügen-Exzessen ihrerseits.
      – Ein besonders dreistes Beispiel ist der Fall des (ehemaligen) Ethnologieprofessors und Indianer-Aktivisten Ward Churchill, der mit der Story auf sich aufmerksam machte, dass die US-Armee im 19. Jahrhundert planvoll mit Krankheitskeimen verseuchte Decken an Indianer verteilt hätte, um Epidemien unter ihnen hervorzurufen (bitte nicht verwechseln mit einem ähnlichen Plan lange vorher unter der britischen Herrschaft in Amerika, als der brit. Kommandant Sir Jeffrey Amherst möglicherweise [!] Ähnliches ins Werk setzte).
      Churchills Story jedenfalls war eine reine Erfindung, und er verlor seinen Professorenposten (siehe Thomas Brown, «Did the US Army distribute small pox blankets to Indians? Fabrication and Falsification in Ward Churchill’s Genocide Rhetoric», Ann Arbor, 2006).
      – Dieses Ereignis scheint einen erheblichen «Hallo-Wach-Effekt» auf viele gehabt zu haben und sie stellten die woken Geschichtsrevisionisten stärker in Frage.
      Schon vorher hatte es starken Widerspruch gegeben. Robert Edgerton beschrieb (in seinem sehr lesenswerten Buch «Sick Societies – challenging the myth of primitive harmony», Univ. of California, 1992) kulturelle Eigenheiten, die den «wertfreien» Standpunkt der Kulturrelativisten ad absurdum führen müssen.
      Wenn man gründlich in der Literatur gräbt, findet man durchaus noch ältere, ähnliche Publikationen. Etwa den Aufsatz von C. Wissler in den ‘Proceedings of the American Philosophical Society’, 2/1940, «The torture of captives by the Indians of Eastern North America», auf ‘JStore’, – Vorsicht, nur zu lesen, wenn man einen starken Magen hat!).
      – Vor allen Dingen haben sich die Historiker (ein anderes Nebenfach von mir) nicht unterkriegen lassen. Sie bestanden darauf, dass es Unsinn ist, dass nur die amerikanische Regierung Verträge mit den Indianern gebrochen hätte – die Indianer hielten sich auch nicht immer daran. Sie entdeckten sogar in den ‘Relations des Jésuites’ (einer herausragenden ethnologischen und historischen Quelle der französischen Jesuiten in Kanada, teils auch ins Englische übersetzt), dass auch Indianer schon frühzeitig Büffel nur wegen ihrer Zungen gejagt haben und den Rest auf den Plains verfaulen liessen.
      Mit zunehmender Hilfe der Archäologen deckten sie vor allen Dingen den Unfug der Revisionisten auf, dass erst die Weissen die gewaltsame imperialistische Landnahme in Nordamerika eingeführt hätten.
      – Dieser Punkt verdient eine ausführlichere Bemerkung. Es ist einfach so, dass es Kämpfe um Land (Jagdgebiete) und um Handelsflüsse schon VOR der europäischen Besiedlung gegeben hat. Archäologische Funde beweisen eine intensive Kampftätigkeit zwischen Stämmen lange vor der Landnahme der ersten Weissen. Und auch nach der Erst-Besiedlung war es KEINESWEGS so, dass die Konfliktlinie ausschliesslich zwischen Weissen und Indianern verlief.
      Beispiel:
      Schon die ‘Pequod-Kriege’ von 1637 (bitte in der ENGLISCHEN Wikipedia nachschauen, die deutsche erzählt, wie meist, nur gekürzten Stuss) zeigen auf, dass es ähnlich zuging wie in der spanischen Reconquista: die Konfliktlinien verliefen dort nicht klar zwischen Christen und Moslems, sondern es wurden gemischte Bündnisse geschlossen. Dasselbe gilt für Nordamerika. Indianer waren – obwohl zivilisatorisch auf Steinzeit-Niveau – politisch ebenso gewieft wie Neu-Engländer: Bei den Kämpfen um Bieberjagdgründe und den «Wampumhandel» waren die Stämme untereinander mindestens ebenso verfeindet wie gegenüber den Weissen. So verbündeten sich etwa die Narragansett mit den Weissen gegen die Pequods.
      – Weiter im Westen migrierten die ursprünglich ackerbautreibenden Sioux – allerdings unter weissem Druck – nach Westen und bedrängten dort – u.a. – die östlichen Shoshones und vor allem die Crow (Upsaroka).
      – Die Comanchen, ursprünglich eine Untergruppe der Shoshones, migrierten – hier ohne weissen Druck – nach dem Erwerb von Pferden im frühen 18. Jhdt. nach Süden und verdrängen dort in blutigen Kämpfen andere Stämme von den Texas-Ebenen, vor allem die Lipan-Apachen, aber auch andere.
      – Schon vorher hatte die Irokesen-Liga einige Stämme nördlich und westlich von ihnen an den Rand der Auslöschung gebracht, z.B. die Erie, nach denen der Erie-See benannt ist.
      Es ist durchaus zu überlegen, ob man hier nicht wenigstens teilweise von Völkermord sprechen kann. Wohlgemerkt, Völkermord unter Indianern!
      – Die Crow, Tonkawa, und später die Pawnee, fühlten sich von ihren indianischen (!) Nachbarn so in die Enge und an den Rand der Vernichtung gedrängt, dass sie sich mit den Weissen verbündeten (letztes Massaker der Sioux an den Pawnee noch in den 1870iger Jahren, check «Massacre Canyon 1873»).
      – Ohne die Hilfe dieser Indianer als Scouts und Mitkämpfer hätten es die Texas-Rangers in Texas und die US-Armee weiter nördlich NIEMALS geschafft, die «Indianerkriege» zu gewinnen.
      Ein Arikara-Dorf fühlte sich noch Mitte des 19.Jahrhunderts so von den Sioux bedrängt, dass sie sogar die US-Armee um Waffenhilfe bat.
      – Die Apachen fühlten sich noch früher von den Comanchen in ähnlicher Weise dermassen bedroht, dass sie die Spanier um die Errichtung eines ‘Presidio’ und einer Mission bei San Sabà baten, um vor den «Zuwanderern» aus dem Norden beschützt zu werden (funktionierte nicht, da die Comanchen das Presidio 1758 überfielen und zerstörten).
      Gleiches ist von den Tonkawa zu berichten, die von den anderen Plains-Stämmen wegen ihres Kannibalismus verachtet wurden, aber wertvolle Scouts für die Texas-Rangers
      abgaben. Ranger-Captain John Salmon «Rip» Ford («RIP» für «rest in peace!» – seine Feinde hatten die Eigenschaft, nicht lange zu leben) sagte damals, es sei ihm egal, wenn die Tonkawas Comanchen verspeisten, so lange sie dies nicht mit Rangers täten. Fords Memoiren sind im Internet Archive lesbar.
      – Die Behandlung weiblicher Gefangener durch Indianer ist ein eigenes Kapitel. Während für die östlichen Waldland-Indianer galt, dass sie Frauen (und Kinder) durchaus auch zu Tode folterten, waren Vergewaltigungen dort absolut tabu. Gleiches galt nicht für die westlichen Prärie-Stämme. Gruppenvergewaltigungen von gefangenen Frauen waren dort die Regel. Eine Gefangene berichtet, dass es in der Stammesgruppe, in der sie gefangen gehalten wurde, so gut wie kein männliches Mitglied gab, das sie nicht vergewaltigte (für eine Erst-Info siehe ‘Texas State Historical Association’, «German Sisters»).
      – Der texanische Historiker Thomas Fehrenbach und S.C. Gwynne («Empire of the summer moon – Quanah Parker and the rise and fall of the Comanches, 2010) bieten nützliche Informationen dazu.
      – Man muss natürlich immer in Erinnerung behalten, dass etwa die Grausamkeiten der Indianer zum Teil (!) durch ähnliches Verhalten der Weissen provoziert worden waren – die Massaker der Cheyennes und Arapahoes an Weissen in Kansas und Nebraska in den 1860iger Jahren waren teils als Rache für das unsägliche Sand Hills Massaker einer friedlichen Cheyenne-Gruppe unter Colonel John Chivington gedacht.
      Dass aber dabei selbst ein Fötus aus dem Bauch der lebenden Mutter geschnitten und an einen Baum genagelt wurde, in einem anderen Fall ein Baby in einen glühenden Ofen geworfen wurde, dürfte das wohlwollende Verständnis auch eines hartgesottenen Kulturrelativisten erschüttern.
      – Inzwischen hat sich dementsprechend der Schwerpunkt der Veröffentlichungen wenigstens zur nordamerikanischen Indianerfrage wieder etwas zugunsten der anderen, früheren Richtung verschoben, wenn auch nicht vollständig. Jedenfalls ist die Vorherrschaft der woken Ideologen hier ganz klar gebrochen worden, wenn man die Mehrzahl der Publikationen betrachtet.
      Das Gewicht der Fakten war einfach zu erdrückend.
      – Natürlich hat das für Deutschland keinerlei Bedeutung. Deutsche sind bekanntlich faktenresistent.

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    • Oskar Krempl
      23. Februar, 2023

      Sehr geehrter Herr Bläser,

      ihren wiederum sehr ausführlich und gut belegten Ausführungen stimme ich zu 100% zu. Die Legende von den edlen Indianern, die in stetem Einklang mit der Natur lebten ist eben nichts als eine Legende.
      Allerdings gebe ich zu bedenken, daß die Untaten der einen Seite keinerlei Freibrief für die Untaten der anderen Seite sein können. Ferner ist es auch eine Tatsache, daß die U.S.A. mehr oder minder keinen Vertrag mit den Indianern eingehalten haben und manchmal auch keinerlei Bereitschaft bestand ihn einhalten zu wollen. Man hat sie aus wirtschaftlichen Gründen vertrieben und in lebensfeindliche Reservate verbannt und als man dann dort später wertvolle Rohstoffe gefunden hatte, versuchte man sie neuerlich daraus zu vertreiben.
      In diesen Reservaten gab es auch mannigfaltigen Missbrauch der dortigen weißen Verwaltungsbehörde (Stichwort Korruption). Dies war auch Teil des damaligen vorherrschenden Rassismus.
      Natürlich gibt es auch heute eine gewisse Paranoia bei manchen lebenden Indianern, wie ich anlässlich einer Greyhound-Busreise vor Jahrzehnten aus erster Hand erleben durfte.
      Aber eine verdrehte Wahrnehmung beschränkt sich natürlich nicht nur auf manche Indianer.

      Die menschliche Geschichte ist leider nun mal auch eine überaus häßliche Geschichte, voll von Mord, Raub, Vergewaltigung, Ausrottung, etc. Dies sollte für sämtliche lebende Menschen der Grund sein es in Zukunft besser zu machen, denn die Vergangenheit kann nicht ungeschehen gemacht werden und die Zukunft ist glücklicherweise per se unbestimmt und wird durch das Handeln in der Gegenwart bestimmt.

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      • Werner Bläser
        24. Februar, 2023

        Ist völlig richtig, was Sie sagen. Ich wollte hier auch keineswegs die weisse Seite «reinwaschen», sondern nur in Erinnerung rufen, was die andere Seite so angerichtet hat. Die weissen Untaten sind ja heute, denke ich doch, hinreichend bekannt, und es wäre ja absurd, sie abzustreiten. Es war ein Krieg bis aufs Messer zwischen Parteien, deren Kulturunterschiede es jeweils weitgehend verunmöglichte, Verständnis für die andere Seite aufzubringen. Es gibt hier keine rein «gute» und keine rein «böse» Partei in diesem Konflikt – alle haben sich schuldig gemacht.
        Das Schlimme ist, finde ich, dass man zunehmend nicht mehr willens ist, Grautöne zuzulassen. Es muss einer der Böse und einer der Gute sein – das hat mich schon früher bei meinen Studenten extrem gestört. Die haben sich bei wirklich jedem (!) behandelten Konflikt gleich mal auf die Seite von einer Partei geschlagen – ohne sich erst einmal gründliche Informationen verschafft zu haben.

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        • Dino
          27. Februar, 2023

          welches Fach haben Sie denn wo unterrichtet? Und wie erfolgreich waren Sie darin, die Gut-Böse-Denkweisen der Studenten hinterfragen zu lassen?

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  • Majestyk
    23. Februar, 2023

    Nennt sich Kulturrevolution, die Idee ist nicht neu. Festigt die Herrschaft, so werden Imperien gemacht. Republiken und eine aufgeklärte bzw. selbstbestimmte Bevölkerung stören da nur.

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  • Jochen Schmidt
    23. Februar, 2023

    «Claudia Roth als kulturabbauende Kulturstaatsministerin», «Copy-Shops zur Vervielfältigung regierungsamtlicher Verlautbarungen», «Aber es kann nie genug Zeichen geben» 😉

    Sehr interessanter Artikel! Was ich nicht so gelungen finde: dass im Text immer wieder Sach-Kriterien zu Anwendung gebraucht werden. Man möchte zunächst erwidern: ja, welche Kriterien denn sonst, wenn nicht SACH-Kriterien? Schon recht, aber man müsste doch ergründen, wie es zu solchen Auswüchsen wie oben beschrieben kommen kann.

    Und hier müsste man als Rahmen-Bedingungen herausarbeiten, dass in bestimmten Bereichen (Universität, Kultur und Gedöns) der berufliche Nutzen (Gehalt, sozialer Status, Karriere-Aussichten) sich nicht mehr nach hand- und bissfesten Ergebnissen bemisst: dass das Gehalt eben auch dann überwiesen wird, wenn das Museum ohne Besucher bleibt, dass die Berufung eben auch dann erfolgt, wenn der Habilitand Nonsense-Seminare anbietet und bloß noch Nabelschau beschreibt. Schlimmer noch: dass sich beruflicher Erfolg weitgehend bemisst nach Kriterien, die nicht nur sachfremd, sondern destruktiv sind, die letztlich sogar zur Abschaffung von Museen und zur Schließung von Fachbereichen führen.

    Was wir hier beobachten, ist eine Art kultureller Potlatsch – nicht als großzügige Schenkung(en), sondern als sich steigernde Zerstörung immer mehr der eigenen Güter zugunsten einer fragwürdigen Tugend («anti-kolonial», «kultur-sensibel» usw.) Dass Menschen so etwas fertigbringen, liegt an den speziellen Anreizen in bestimmten Bereichen (Universität, Kultur und Gedöns) – aber wie können sich solche Anreize etablieren und auf Dauer stellen (also nicht nach der letzten Ausstellungs-Blamage über Bord geworfen werden)? Allgemein: nach welcher Systematik funktioniert dieser Wahnsinn?

    Ich würde mir wünschen, dass es immer wieder Artikel gibt, in denen versucht wird, dieses Phänomen zu ergründen und aufzuklären. Und derartige Einsichten wird man eben nicht erlangen, indem man immer bloß SACH-Kriterien an die genannten Auswüchse anlegt und diese Auswüchse entsprechend kritisiert (vielleicht sogar ad absurdum führt).

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  • H. Koller
    23. Februar, 2023

    Vor allem die Berliner Museen sollte man ganz schnell leer räumen, den afrikanischen Ländern ihre Kunstschätze zurückgeben und dann die leer geräumten Museen zu Heimen für afrikanische Klimaflüchtlinge umwidmen («Wir haben Platz»). Die afrikanischen Länder hätten dann ihre Raubkunst zurück und wir bekämen im Gegenzug ihre Goldstücke geschenkt. Eine klassische Win-Win-Situation also. Kultur braucht sowieso keiner mehr im besten Deutschland, das es je gab.

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  • A. Iehsenhain
    24. Februar, 2023

    „In Deutschland nur deutsches und germanisches Kulturgut: Wer hätte vor zehn Jahren geahnt, dass diese Forderung einmal von linken Erwachten kommen würde?“
    Einen brillanten Artikel mit einem brillanten Resümee abgeschlossen, Herr Schmid! Die „linken Erwachten“ werden dem sicher nicht zustimmen, wenngleich sie dazu aber wohl von Natur aus auch gar nicht fähig sind, denn Vampire sehen nun mal ihr Spiegelbild nicht. Die woke Sprachhygiene erinnert mich mittlerweile an jenen mundlosen Konsolkopf, dem ich einmal irgendwo in fixem oder bewegtem Bild ansichtig wurde und welcher dem Zierrat einer Kapelle (entweder in Frankreich, Portugal oder Spanien) angehörte, womöglich einem Bau der Templer. Wenn ich mich recht entsinne, wurde er damals als Warnung vor Geheimnisverrat interpretiert; zwischenzeitlich war er aber vielleicht auch schon Prophezeiung für den zeitweisen Siegeszug des Mund-Nasen-Schutzes und nunmehr die finale Empfehlung, lieber gleich ganz zu schweigen, bevor man der Todsünde des falschen Vokabulars verfällt. Gibt es eigentlich schon Pläne für eine angepasste, politisch korrekte Gebärdensprache? Sollte das eine Option für die Philodystopisten sein, freuen sich Orthopäden und Osteopathen sicher über volle Auftragsbücher. Die zurückgegebenen Bronzen indes sind wahrscheinlich schon eingeschmolzen und zu Schwertern für den Religionskrieg umgewandelt worden.
    „Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“ – Wehe, wenn dieser Ruf aus der Savoye der Finsternis in deutschen katholischen Kirchen Einzug hält: Alarm, z. B. in Walldürn oder Weingarten! Hier müsste dann allerdings noch geklärt werden, ob das Heilige Blut nun nach Golgotha zurückkehrt oder in den Weltraum geschossen wird.

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  • lhac05
    3. März, 2023

    «Alles, was Grüne anfassen, scheint für sie nur Verfügungsmasse für ihre Ideologie zu sein.» –
    eine treffende Feststellung!

    Die Formulierung «Geliefert wie bestellt» müsste man dagegen schon fast in Anführungszeichen setzen, um sie als Zitat zu kennzeichnen, oder?

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  • Philipp
    5. März, 2023

    „Selbst der Gender-Irrsinn hatte mal sinnvoll angefangen.“ – Ich würde mir eine nähere Erklärung dieser steilen These wünschen. Ohne nähere Erläuterung ist der Satz unverdaulich.

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    • Jürgen Schmid
      7. März, 2023

      Lieber Philipp,

      in der Tat kann die Sie irritierende Bemerkung, die ich in Klammern leichthändig eingeworfen habe, sauer aufstoßen, wenn man nur die heutige Endstufe Gaga betrachtet.

      Angefangen hat es aber mit der Unterscheidung von biologischem Geschlecht (im Englischen: sex) und sozialem (also anerzogenem, manche meinen: konstruiertem) Geschlecht (englisch: gender). Die Kategorie Gender sollte vergegenwärtigen, dass einige Konventionen im Rollenverhalten bei Frauen und Männern nicht naturgegeben sind, sondern auch antrainiert sein können. „Der Mann“ „hat“ technisches Geschick, „die Frau“ Einfühlungsvermögen – kein Wunder, wenn Buben mit Baukästen werkeln, während Mädchen Puppen verhätscheln (salopp gesagt). Und nein: Der Umstand, dass weit mehr als 99 Prozent aller Menschen biologisch männlich oder weiblich sind (und sich meist auch so fühlen), ist nicht antrainiert. Er ist naturgegeben.

      Als in den Kulturwissenschaften die beschriebene Gender-Definition aufkam und ven­­tiliert wurde, hatte jedenfalls ich für meinen Teil kein Problem, sie nachzuvollziehen. (Das – und nur das – meinte ich mit meiner Bemerkung „sinnvoll angefangen“). Bald aber glaubten vor allem radikalfeministische Soziologinnen unter dem Schlagwort „doing gender“ eine These aufzustellen zu müssen, die schnell zur Doktrin erstarrte und die Vorstellung vom gegebenen biologischen Geschlecht immer mehr in den Hintergrund drängte: Man stellte sich nun vor, Geschlechtsrollen würden nur darin bestehen, dass sie im Alltag eingeübt und durch diese Einübung („doing“) verfestigt, reproduziert, ja recht eigentlich letztlich erst entstehen würden (sprich: durch geschlechtsspezifisches Alltagshandeln wird man zu Mann oder Frau). Dann kam in der immer mehr ins Grüne mutierenden Aktivismuswissenschaft (normalerweise ein Widerspruch in sich, aber der Wokismus macht’s möglich) die Forderung auf, man müsse die Leute dazu bringen, bewusst gegen ihre Geschlechterrollen anzuleben („undoing gender“), um „überkommene Strukturen“ aufzubrechen – ein Teilprojekt linker Sozialingenieure auf ihrem Weg zum angestrebten „neuen Menschen“. Von da an ging es auf der nach unten offenen Rutschbahn immer schneller und steiler bergab.

      Als „Gender-Irrsinn“ würde ich schließlich die Annahme mancher erwachter „Wissenschaftler“ bezeichnen, einem Neugeborenen würde sein Geschlecht vom Arzt „zugeschrieben“ (wobei dem Arzt das Recht zu dieser „Zuschreibung“ abgesprochen wird) oder das Mainzer DFG-Forschungs­projekt „Wie entstehen Väter und Mütter?“, das (u.a.) die „geschlechtliche (Ent)diffe­renzierung pränataler Elternschaft“ propagiert hat, womit auch „Singles, lesbischen Paaren und schwangeren (schwulen bzw. transsexuellen) Männern“ ein Recht auf (biologische?) Mutterschaft zugesprochen wird („schwangere Männer“: Monty Pythons goes University) – um zwei besonders absurde Beispiele zu nennen.

      Oder das „Regenbogenportal“, das 2019 von der damaligen Bundesfamilienministerin Giffey ins Internet gezaubert wurde, um „den Menschen da draußen“ (Merkel) zu helfen, „sexuelle Vielfalt an[zu]erkennen und [zu] unterstützen“, beispielsweise „in der Schule“. Eine zentrale Idee dieses Portals dürfte jeden erfreut haben, der seine Muttersprache so sehr haßt, dass er das Wort „Mama“, mit dem wir alle zu sprechen begonnen haben, für nicht mehr zeitgemäß hält: Lehrer sollten nach dem Willen der Regenbogenmacher „auf geschlechtsneutrale Formulierungen achten“. Also: „Nicht mehr ‚Mutter’ und ‚Vater’ schreiben, sondern nur noch ‚Elternteil 1’ und ‚Elternteil 2’.“ So werde vermieden, „dass sich gleichgeschlechtliche Elternpaare diskriminiert fühlen“.

      Oder – ein allerletztes Beispiel des grassierenden Wahnsinns im Gender-Bereich: „Kira Walkenhorst, 27, Beachvolleyball-Olympiasiegerin, ist Mutter von Drillingen geworden.“ Solches tat eine große süddeutsche Tageszeitung ihren Lesern kund – eine „Nachricht“, die bemerkenswert ist. Denn was will sie uns sagen? Dass Frau W. Drillinge geboren hat – was sonst? Nein – sondern: „Ihre Frau Maria Kleefisch, 34, ebenfalls Beach­volleyballerin, brachte ein Mädchen und zwei Jungen zur Welt.“ Der Leser ist verwirrt und holt sich Rat bei Wikipedia – Stichwort Mutter: Im sozialen Sinne sei Mutter, so erfährt er dort, wer einem Kind Mutterliebe entgegenbringt. Herr im Himmel, kann das auch ein Krokodil sein, wenn es nur dem kleinen Hosenscheißer Liebe schenkt – was ja nicht auszuschließen ist? Nein, wird man belehrt, ein „Mensch“ muss es schon sein – eine Frau nicht zwingend. Warum sollte auch einem Mann Mutterschaft verwehrt sein? Und weiter im Text: Da „soziale Mutterschaft“ nicht zwingend an biologische Mutterschaft gebunden sei, könne ein Kind auch mehrere Mütter haben (wie viele, sagt das Lexikon nicht – 2, 5, 10?). Oder eine Großmutter als Mutter. Großmutter? War das nicht mal die Mutter der Mutter eines Kindes (oder die Mutter des Vaters)? Wobei der ja nun auch Mutter sein kann. Usw. Usf. Ein anderes, ideologisch verbohrtes Wörterbuch hält dagegen noch an einer längst veralteten Auffassung fest: Mutter ist dort eine Frau, welche Kinder geboren hat. – „Kira Walkenhorst ist Mutter geworden“ (ohne schwanger gewesen zu sein) – das ist keine Nachricht, sondern ein politisches Statement. Ein Statement, das ideologisch begründet ist statt logisch oder biologisch. Denn jedes Kind hat eine Mutter. Eine. Und diese Mutter ist eine Frau. Jene Frau, die das Kind geboren hat. Alle anderen Definitions­wünsche sind durchschaubar: Da möchte irgendwer irgend­etwas implementieren in Sprache und damit Gesellschaft, was es nicht gibt.

      In den Irrgarten solcher Gedankenwelten wird kein vernünftiger Mensch mitgehen – geschweige denn in die Indoktrinationslabore queerer Ideologen, die bereits Kleinkindern einreden wollen, sie könnten sich ihr Geschlecht „frei aussuchen“.

      In der Hoffnung, Sie und vielleicht auch einige andere Leser können mit diesen zusätzlichen Informationen meine zunächst irritierende Bemerkung etwas besser verdauen grüßt Jürgen Schmid

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  • Majestyk
    8. März, 2023

    @Jürgen Schmid

    «Angefangen hat es aber mit der Unterscheidung von biologischem Geschlecht (im Englischen: sex) und sozialem (also anerzogenem, manche meinen: konstruiertem) Geschlecht (englisch: gender).»

    Und genau dieser Anfang ist schon Schwachsinn. Geschlecht wird nicht konstruiert, genauso wenig wie Rasse. Kann jeder unverbildete Mensch beobachten, wenn er Kindern beim spielen zuschaut. Da ist es schon so, daß Mädchen ihre Eigenschaften auf eine Puppe übertragen, während Jungs eben in die Rolle von Batman oder wem auch immer schlüpfen. Genau deswegen sind ja diese Umerziehungsmedien so perfide.
    Die grundsätzliche Veranlagung erwirbt man mit Geburt. Das Gegenteil ist der Fall, diese ganzen Erziehungswissenschaften müßten eigentlich Umerziehungswissenschaften heißen. Genau das ist auch ihre Funktion. Den Jungs wird schon seit 50 Jahren das Mannsein abtrainiert. Deswegen kann man deutsche Männer auch Kartoffeln nennen oder deren Frauen antanzen. Kein echter Mann würde dies zulassen. Das ist das Resultat der Dressur von Männern, die sich nun brav zum pinkeln hinsetzen und sich ihres Mannseins schämen sollen, sind ja toxisch, während Frauen genüßlich jedem Hedonismus frönen. Oberschichtenfrauen wohlgemerkt, von denen und für diese wurde der Feminsmus ja erfunden.

    Wenn Frauen heute anders partizipieren können ist dies das Ergebnis des verhaßten «Mansplaining».
    Deswegen können Frauen heute LKW fahren, die sich einfacher fahren lassen, wo Elektonik hilft den Weg zu finden und wo man dank neuer Verlademöglichkeiten keine Muskelkraft mehr braucht.

    Waren Sie mal in einem Baugebiet, dann schauen Sie sich mal an, wer dort malocht. Und dann fahren Sie mal in ein Freilichtmuseum wo es auch viele weibliche Handwerker gibt, wo aber eben keinerlei Leistungsdruck herrscht.

    Allein schon der Zugang zur Arbeit ist bei den Geschlechtern verschieden. Deswegen wollen Frauen zwar sehr gerne Medizin studieren, dann aber lieber doch nicht so viel Zeit mit dem Beruf verbringen. Eigentlich krankt fast alles was heute schief läuft an diesem Primat der Gleichberechtigung. Wo real gearbeitet wird, da finden die Männer, die dann auch die realen Nettosteuern erwirtschaften um diesen ganzen bürokratischen Überbau mit all den Nonsensberufen zu finanzieren. Frauen werden Gleichstellungsbeauftragte, Männer bauen Häuser. Frauen bekommen auch Führungspostionen bei der Feuerwehr, geben auch gerne Interviews vor der Kamera, wenn es brennt kommen mit dem Löschzug aber Männer. Der Müll wird ohnehin nur von Männern abgeholt und in der Ukrainer kämpfen gerade wieder Männer, was dann auch wieder gesellschaftlich akzeptiert wird und dreimal darf man raten, wen die bald wieder eingeführte Wehrpflicht treffen wird.

    Und Kulturwissenschaften sind ja wohl schon vom Begriff her ein schlechter Witz.
    Einer solchen Vorlesung durfte ich in Lüneburg mal beiwohnen. Das ist Gehrinwäsche pur.
    Wenn Sie kein Problem damit haben Kulturwissenschaften, was auch immer das sein soll nachvollziehen zu können, würde ich vielleicht mal hinterfragen, ob bei Ihnen der Feminismus nicht vielleicht schon Spuren hinterlassen hat. Weniger Theorien lesen, dafür mal den Alltag und die reale Welt beobachten, dann erkennt ein jeder, all diese linken Ideen basieren auf einer konstruierten Weltsicht.

    Nicht Geschlechter sind konstruiert oder ethnische Merkmale, sondern die Ideologien die solchen Unsinn behaupten, angefangen beim Murks von Marx. Einmal lesen, verstehen und dann ab in die Mülltonne.

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    • Jürgen Schmid
      11. März, 2023

      Lieber Majestyk,

      wie mir scheint, macht es keinen Sinn, würden wir beide uns in der Gender-Frage in die Haare kriegen – ich meine, wird sind uns weitestgehend einig; bei des Pudels Kern ohnehin. Bei der vermeintlichen Uneinigkeit bitte ich zu beachten, dass ich nicht geschrieben habe, Geschlecht werde konstruiert, wie Sie, Majestik, in ihrem Wider­spruch „Geschlecht wird nicht konstruiert“, suggerieren, sondern „manche meinen: konstruiert“, womit ich – was auch aus dem ganzen Kontext meiner Stellungnahme klar hervorgeht – mich selbst nicht zu diesen Manchen zähle. (Hätte ich das behauptet, was Sie kritisieren, würde ich selbst dies als „Schwachsinn“ bezeichnen – in diesem Forum vielleicht mit einem etwas salonfähigeren Wort allerdings.) Wir sollten versuchen, so genau, so kontextbezogen und so sinnentnehmend zu lesen wie möglich. Ich ver­suche meinerseits, so exakt und präzise zu formulieren wie möglich.

      Überhaupt erscheint es ziemlich widersinnig, jemanden, der geschrieben hat: „Der Umstand, dass weit mehr als 99 Prozent aller Menschen biologisch männlich oder weiblich sind (und sich meist auch so fühlen), ist nicht antrainiert. Er ist naturgegeben.“ in eine Ecke mit denen zu rücken, die Geschlechter als diskursives Konstrukt auffassen wollen und ihnen jede Biologie (d.h. Natur) absprechen. Wie deutlich muss man denn formulieren, um nicht falsch gelesen zu werden? Aber, lieber Majestyk, die Tatsache, dass ich nachvollziehen konnte (und bis heute kann, unbeschadet meiner harschen Kritik am Fortgang der Gender-These hin zu einer indiskutablen doktrinär ideologischen sektiererischen und gefährlichen Religion unter dem falschen Denkmantel der Wissenschaftlichkeit – hoffentlich genügt nun dem kritischsten Kritiker die Deutlichkeit meiner Positionierung), „dass einige Konventionen im Rollenverhalten bei Frauen und Männern nicht naturgegeben sind, sondern auch* antrainiert sein können“, möchte ich doch aufrecht erhalten dürfen.

      • Ich hatte das wichtige einschränkende Wörtchen „auch“ eigentlich gefettet, diese Hervorhebung ist der Übertragung in den Kommentarbereich zum Opfer gefallen; nichtsdestotrotz ist die Einschränkung vorhanden und hätte eigentlich vor Falsch­lesungen wie der Vorgenommen bewahren sollen.

      Mein Vorschlag zur Güte an Philipp und Majestyk:

      „Hjernevask“ (deutsch: Gehirnwäsche) von Harald Eia aus dem Jahr 2009:

      http://www.youtube.com/watch?v=B1U_sXZtIMU

      Mit dieser filmischen Recherche entlarvte in Norwegen ausgerechnet ein Fernseh-Clown die Gender-Religion als Humbug – aufklärerischer Journalismus auf einem Niveau, wie ihn die Deutsche Deppokratische Republik (Alexander Wendt), die ich Partizipativa Republica Hysterica Gender*mania nenne, lange nicht mehr gesehen hat, zumindest nicht in jenem Spektrum, das sich selbst euphemistisch als „Qualitätspresse“ bezeichnet. (Vielleicht – so ver­mutet ein Kommentator auf YouTube – kann sich Norwegen noch ein Quäntchen Vernunft leisten, weil das Land nicht Mitglied der EU ist.) Deutsche Medien haben seinerzeit diese bahnbrechende Dokumentation, nach deren Ausstrah­lung ein Erregungssturm durch Norwegen brauste, als dessen Folge die staatliche Förderung der Genderforschung beendet war, weitgehend ignoriert. Nicht viel mehr als ein kurzes Inter­view mit Harald Eia in der FAZ konnte dem deutschen Publikum zugemutet werden.

      http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/harald-eia-gegen-den-gender-mainstream-das-wurde-haesslicher-als-ich-gedacht-habe-11899907.html

      Können wir uns auf Eia’s Standpunkt einigen? Sein Film dokumentiert eine wissen­schaftliche Position, die Sie, lieber Majestyk, so zusammenfassen: „Die grundsätz­liche Veranlagung erwirbt man mit Geburt“.

      Warum also streiten? Ihre Philippika gegen das Abtrainieren des Mannseins mit den entsprechenden Folgen kann ich nur unterschreiben. Für Ihre These, Feminismus mitsamt Emanzipation sei ein Oberschichtenphänomen, würde ich sogar ein unterstützendes Beispiel anführen: Ja, dem Feminismus geht es weniger darum, Quoten für Altenpflegerinnen zu fordern als Quoten für Vorstandsposten in DAX-Unternehmen. Sie selbst nennen das Beispiel der ausschließlich männlichen Müllfahrer – warum, so fragt man sich angesichts aktueller Schlagzeilen wie „Personalmangel: Deutsche Müllabfuhr gerät ins Stocken“ (Berliner Zeitung), wonach Berufskraftfahrer fehlen, weshalb „in der Abfall­branche erste Entsorgungstouren ausfallen“, gibt es keine Quote bei der Müllabfuhr? Wenn – wiederum laut Berliner Zeitung – „rund 20.000 Entsorgungsfahrzeuge“ auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, besetzt „mit einem Fahrer und einem sogenannten Lader – letzterer holt die Mülltonnen und leert sie aus“, warum dann nicht diese Personalnot dadurch beheben, dass überkommene Geschlechternormen aufgebrochen und dem nicht nur sprachlich ausschließlich männlichen „Müllfahrer“ und seinem „Lader“ mehr Vielfalt zugesellt wird? Es wäre höchste Zeit für Gender-Gerech­tigkeit im Müllgewerbe. Analog zu „Girls’ Days“ wie „Auto – das un­bekannte Wesen?“, mit denen – finanziert von staatlichen Programmen des Gleich­behandlungsgesetzes – für das Be­rufsbild KFZ-Mechatronikerin geworben wird, könnte ein „Zukunftstag“ „Müll – eine spannende Sache“ den schönen Beruf der Müllfahrerin ins Bewusstsein junger Frauen rücken. Damit wäre endlich auch auf diesem Feld die „Überrepräsentation von Männern“ und die „Ungleichverteilung der Geschlechter­gruppen auf Berufe“ aufgehoben. (Einverstanden, Majestyk?)

      Ihr merkwürdig überschäumender ad hominem-Vorwurf, bei mir hätte „der Feminismus vielleicht schon Spuren hinterlassen“, richtet sich selbst. Vielleicht darf ich dem aus der Luft (jedenfalls nicht aus meinen Einlassungen) gegriffenen Anwurf, ich würde „Theorien“ einer „konstruierten Weltsicht“ das Wort reden, damit begegnen, dass ich hier auf Publico das exakte Gegenteil zu Protokoll gegeben habe:

      https://www.publicomag.com/2021/02/die-abschaffung-der-wirklichkeit-und-die-fallhoehe-aus-der-21-etage/

      Abschließend: Auch habe ich nicht, wie von Ihnen unterstellt, geschrieben, ich könne „Kulturwissenschaften“ im Ganzen „nachvollziehen“ (das kann wahrscheinlich niemand). Ich habe dargelegt, eine bestimmte Gender-Definition aus den Anfängen dieser Denkrichtung nachvollziehen zu können, aus welcher Formulierung der geneigte Leser ja schon entnehmen kann (könnte?), dass ich nicht vollumfänglich mit der Prämisse einverstanden bin, denn wenn ich das wäre, hätte ich folgerichtig geschrieben, ich würde sie „verstehen“. Wiederum gilt: Bitte das kritisieren, was der Autor geschrieben hat – und nicht etwas, was man dem Autor gerne unterstellen würde.

      Es würde mich freuen, wenn wir uns auf den Kern dessen, was wir beide wirklich meinen, einigen könnten.

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Original: Die woke Lehre frisst ihre Gründer

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