Bääm, die Zukunft steht im Kottischlamm: eine Grand Tour durch das neue Berlin
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Der Vorwurf, die Hauptstadt-Progressiven wollten ein Bullerbü, geht in die Irre. Ihr Ideal ist weder Dorf noch Metropole, sondern etwas ganz Neues: ein Protzgebiet des ästhetischen Elends. Und zwar als Modell fürs ganze Land
Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 40 min Lesezeit
In Berlin, der Hauptstadt der Symbole, entstehen manche Bauwerke von vornherein als Denk- und Mahnmal, auch wenn an der Tür etwas anderes steht.
Es kostete nach Angaben der grünen Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg fünf Jahre Planungszeit, mindestens eine Strategietagung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und 56000 Euro, um ein Toilettenhäuschen unter dem Ausruf „Bääm“ in die weiche Erde des Platzes am Kottbusser Tor zu setzen. Die erste Besonderheit der Immobilie besteht darin, dass es sich um einen ökologisch vorbildlichen Bau handeln soll, betont durch eine rechts und links aufmontierte Holzoptik. Es gibt drei überwiegend identische Türen mit unterschiedlichen Aufschriften: „Toilette“, „Missoir“ und „Pissoir“– es herrscht also nominelle Diversität bei faktischer Gleichheit, ungefähr so wie unter den drei Berliner Parteien des progressiven Lagers (Ricarda Lang).
Das Missoir befindet sich in der Mitte. Es handelt sich um eine abgedeckte Grube mit Haltegriffen. Das Ganze erinnert an finanziell weniger aufwendige traditionelle Konstruktionen in Russland. Ein Missoir-Hersteller beschreibt das Produkt als „Hockurinal für eine schnelle und kontaktfreie Nutzung“, das vor allem eine „Wertschätzung der weiblichen Gäste“ darstelle. Außerdem würde es Wasser und Kosten sparen, wenn auch nicht unbedingt Kosten bei der Errichtung. Die Fünfjahresplanung sah es offensichtlich nicht vor, die Fläche vor dem Dreitürenhaus zu pflastern oder irgendwie sonst zu befestigen, vermutlich, um Bodenversieglung zu vermeiden.
Wer sich unbedingt in eine der drei Boxen begeben will, muss über einen glitschigen Matschparcours schreiten. Rollstuhlfahrer können keine der Toiletten benutzen. Auch Ältere oder aus irgendwelchen Gründen nicht ganz trittsichere Personen – und Auslöser für Gleichgewichtsprobleme bietet der Platz galore – sollten von einem Besuch absehen. Ein Hinweisschild drinnen rechts empfiehlt ganz folgerichtig mehr oder weniger direkt das Wild- und Freipinkeln.
In dem frauenwertschätzenden Missoir sieht es mit Abstand am dreckigsten aus. Die Gäste wickeln hier vielfältige Geschäfte ab, die sie früher noch exklusiv in den Treppenabgängen zur U8 erledigen mussten.
Ganz hinten rechts im Missoirraum befindet sich beispielsweise ein Metalltiegelchen zur Gemeinschaftsnutzung, um Methamphetamin zu erhitzen oder Crack aufzukochen. Auch das fällt unter Nachhaltigkeit, es spart den Einsatz von Aluminiumfolie als Universalarbeitsplatte zum Wegwerfen. Für Nutzer des Etablissements – egal, zu welcher Sorte sie sich zählen und was sie hier vorhaben – gilt jedenfalls: If you can make it there, you’ll make it anywhere.
Der Neubau fügt sich nicht ganz in das Ensemble ein, das von einem anderen Gebäude beherrscht wird, nämlich dem „Neuen Kreuzberger Zentrum“, kurz NKZ, errichtet zwischen 1972 und 1974. Sein Architekt Johannes Uhl, der gern von „skizzenhaftem Bauen“ und von der „Zeichenhaftigkeit der Skizze“ sprach, ging davon aus, dass die Altbauten hinter dem Kottbusser Tor bald abgerissen werden würden, um Platz für eine Stadtautobahn zu schaffen. So erklärt sich auch die grob halbkreisförmige Anlage seines NKZ: Der Betonriegel sollte als eine Art bewohnbare Lärmschutzwand die Autobahngeräusche für den Rest des Platzes dämpfen. Uhl zog es vor, nicht in seinem bekanntesten Bauwerk zu leben. Die Autobahn kam nie, das NKZ alterte ungefähr zehnmal schneller als hundert Jahre ältere Bauten aus der Kaiserzeit, und bis zur Errichtung des Bääm-Toilettenhauses tat sich am Kottbusser Tor ansonsten nicht viel.
Aus dem NKZ spricht noch heute die Ruhe des Sozialingenieurs, der gar nicht verbergen wollte, dass er sich über die Bewohner – „Menschen, so nennt man sie doch?“ (Woody Allen) – nicht allzu viele Gedanken machte. In ihrer Grobschlächtigkeit hält die Betonwand problemlos auch die nächsten 50 Verschleißjahre aus. Falls sich das Neue Kreuzberger Zentrum irgendwann nicht mehr zur herkömmlichen Unterbringung von Kreuzbergern eignet, steht einer Umnutzung nichts im Weg, beispielsweise als Heim für mittellose Pensionäre nach der Abwicklung des Rundfunks Berlin-Brandenburg, als Waffendepot oder als Zuchtanlage für Proteinkäfer. Vermutlich lässt sich der Bau genauso schlecht sprengen wie die drei Berliner Flaktürme nach 1945.
Die Toilettenkonstruktion am Kotti verkörpert nicht den NKZ-Brutalismus, sondern mit ihrer Hutzlichkeit, der aufmontierten Holzoptik und überhaupt mit ihrem Wertschätzungsseim eher das Gegenstück, auf jeden Fall aber das Berlin des Jahres 2023. Sie strahlt eine gewisse Finnlukashaftigkeit aus, und zwar die eines Finn Lukas, der aus Memmingen stammt, in Berlin Critical Race Theory studiert und im elternfinanzierten Ikeaschränkchen der WG Crystal Meth versteckt. Darauf, dass die 56000-Euro-Investition am Ende der jetzt gerade anbrechenden neuen Legislaturperiode in Berlin noch existiert, sollte besser niemand wetten. Selbst robustere Toilettenhäuschen wie das um die Ecke in der Schlesischen Straße halten im rauen Berliner Klima nicht lange.
Manche Leser fragen sich vielleicht, warum sich der Autor so gründlich mit einer nun wirklich skizzenhaften Architektur befasst. Darauf gibt es eine einfache Antwort: Sie steht idealtypisch für ihre Zeit, genauso wie die Gründerzeithäuser am Bayerischen Platz in Berlin, die Yorckbrücken, das Kranzler am Kurfürstendamm oder die aus einem Guss hingeklotzten sozialen Brennpunkte wie das NKZ oder die Hochdecksiedlung an der Sonnenallee. Die einzelnen Bauepochen gab es natürlich nicht nur in Berlin. Aber die Stadt bietet wie keine andere den Vorteil, in einer Grand Tour von gut drei Stunden durch gut hundert Jahre Kulturgeschichte spazieren zu können, um dann erschöpft in der allergegenwärtigsten Gegenwart Platz zu nehmen, die so verdichtet auch nur in Berlin existiert, nämlich auf der Möblierung der Bettina-Jarasch-Piazza aka Friedrichstraße Mittelteil.
Als erstes sticht die stilistische Ähnlichkeit der Sitzkästen mit der Anmutung von abstoßendem Holzspielzeug und der Toilette am Kottbusser Tor ins Auge. Dazu kommt noch der Versuch, an eine schon etwas ältere Berliner Tradition anzuknüpfen, nämlich die, Sperrmüll auf die Straße zu stellen. In früheren Zeiten prägte der Staat Ordnungsvorstellungen und setzte sie bei den Bewohnern durch. In der modernen Hauptstadt funktioniert die Normprägung in exakt ungekehrter Richtung.
Mit Hässlichkeit lassen sich der Kottibau, die Friedrichstraßenverrümpelung, die sogenannten Kiezblocks und vieles andere, mit dem die Wohlmeinenden heute Berlin und morgen vielleicht auch Ihre Stadt umgestalten, nur sehr mangelhaft beschreiben. Was hier entsteht, verkörpert in ausgreifender Weise ein ganz bestimmtes Gesellschaftsbild, so authentisch wie die Gründerzeitbauten mit ihren Putten, Balkonen und Schleiflacktüren die Kaiserzeit. Die kam allerdings mit deutlich kürzeren Planungszeiten aus, auch mit weniger Geld, gemessen am Ergebnis. Diese preußische Effizienz liegt längst hinter uns. Sämtliche zeitgenössischen Umgestaltungsmaßnahmen für Berlin fallen zunächst einmal durch ihre verschwenderisch hohen Ausgaben auf. Die 56000 Euro für den Bedürfniscontainer am Kottbusser Tor bewegen sich in der Gesamtbetrachtung völlig im Rahmen. Allein im Jahr 2022 kostete die Enturbanisierung der Friedrichstraße 213 000 Euro, wobei schon 62 832 Euro in die „Gestaltungskonzeption und Begleitung der technischen Umsetzung der Aufbauten“ flossen. Für die Stadtmöbel gab die Jarasch-Behörde 56 300 Euro aus, für die Pflanzenkübel 36 000 Euro, die Kosten für die „verkehrliche Begleituntersuchung“ beliefen sich auf 22 365,61 Euro; für den kleinsten Posten – die Straßenreinigung im stillgelegten Abschnitt der Friedrichstraße inklusive der gelegentlichen Entfernung von Müll und Erbrochenem in und um die Sitzmöbel im Europalettenstil fielen im vergangenen Jahr 17 136 Euro an. Berliner Kiezblocks – Verkehrssperren aus Pollern und/oder bekrauteten Holzkästen, die in Berlin den Autoverkehr in den Nebenstraßen behindern sollen – kosten pro Exemplar und je nach Ausführung zwischen 300 000 und 400 000 Euro. Für eine Mischung aus wiedereingesetzter Panzersperre von 1945 und SM-Gerät unklarer Bestimmung auf einer Berliner Straße verlangt die Verwaltung vom Steuerzahler beispielsweise 8 300 Euro.
Die Rechnung für die Bereicherung der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg durch Findlinge, erdacht und beauftragt durch den grünen Baustadtrat Florian Schmidt, beläuft sich auf vergleichsweise bescheidene 2175 Euro, da die Brocken nicht erst eigens hergestellt werden mussten. Sie stammen aus der Weichsel-Eiszeit beziehungsweise aus einer Kiesgrube in Mecklenburg.
Schlechtes muss nicht billig sein. Den Berliner Umgestaltungsplanern gelingt unter diesem Motto etwas sehr Seltenes und eigentlich weltgeschichtlich Einmaliges, nämlich eine Art Protzentfaltung des ästhetischen Elends. Gebaute Hässlichkeit klingt danach, als hätte jemand bestimmte Ansprüche, würde sie aber verfehlen, aus Geldmangel, Ungeschick oder weshalb auch immer. Nichts davon trifft auf die Gestalter des neuen Typs zu. Sie setzen erhebliche Mittel zur Herstellung einer ganz ausdrücklich beabsichtigten Antischönheit ein. In Abwandlung des Amazonspruchs könnte es heißen: Wem der Container am Kottbusser Tor gefällt, dem gefällt auch die neue Friedrichstraße. Geht es so weiter – und das praktische Ergebnis der Berlinwahl spricht sehr dafür – dann könnte sich die Stadt zu einem Versailles der Grünen Khmer entwickeln.
Die Epiphanie der Formlosigkeit beschränkt sich nicht auf den öffentlichen Raum. Jede Architektur, siehe oben, zeigt nur nach außen, welche Vorstellungen in der tonangebenden Schicht herrschen. Unter die Bilder der auf Geheiß von Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger umgebauten Chefetage des Senders musste schon extra geschrieben werden, dass die Ausstattung mit Sachbearbeiterschreibtischen, bewässerter Pflanzenwand und Aktenschredder 658 112 Gebühreneuro gekostet hatte.
Als die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt zwei Personen in ihrem Büro empfing, um mit ihnen die Modalitäten eines Parlamentspoeten oder -poetin auszuklamüsern, twitterte sie ein Foto der Zusammenkunft, das ihr Büro aus einem größeren Blickwinkel zeigte.
Der Bundestag gehört nicht nur zu den größten, sondern mit einem jährlichen Etat von etwa einer Milliarde Euro auch zu den teuersten Parlamenten weltweit. Eine Vizepräsidentin bezieht gut 15000 Euro monatlich, außerdem stehen ihr nicht ganz bescheidene Repräsentationsmittel zur Verfügung. Trotzdem dokumentierte das Bild ein finanziell vermutlich immer noch kostspieliges Ramschinterieur aus Topfpflanze, klobigem Geschirr und unverkleideter Betondecke mit freiliegender Sprinkleranlage, das alles in allem noch erheblich schrabbeliger wirkt als Schlesingers Monrepos.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron musste sich vor ein paar Jahren indigniertes Murren im Volk anhören, als bekannt wurde, was das vom ihm für den Élysée bestellte neue Service aus der Porzellanmanufaktur von Sèvres kostete, nämlich 500 000 Euro (alle Porzellanteile im Palast stammen traditionell aus Sèvres). Dafür hält das Geschirr bei normaler Behandlung auch Jahrhunderte. Ein vergleichbares Gedeck aus Meißen wäre im Bundestag höchstwahrscheinlich nicht durchsetzbar, aber vielleicht ein Kompromiss.
Auf den Berliner Flohmärkten gibt es großartige Geschirrensembles aus gesellschaftlich rückständigen Zeiten, die weniger kosten als das Zehntel eines Friedrichstraßensitzkastens oder einer einzelnen Missoirhaltestange. Eine halbwegs angenehme Raumgestaltung scheitert also weder am Geld noch am Angebot, sondern daran, dass Katrin Göring-Eckardt keine Vorstellung von Formen und Proportionen besitzt und grundsätzlich auf keine Berater hört, die mehr wissen als sie selbst.
Apropos Élysée: Dort traf sich vor Kurzem die Bundesregierung mit den französischen Kollegen. Alle zusammen stellten sich, wie es für solche Anlässe üblich ist, zum Gruppenfoto auf. Wer zu welchem Kabinett gehörte, zeigte sich generell an den Anzügen und Schuhen. Allerdings hob sich Vizekanzler Robert Habeck mit seinen gestauchten Hosen und Stiefletten, einem Jackett mit zu langen Ärmeln, Heimwerkerpullover und krawattenlosem Hemd noch einmal deutlich von allen anderen ab.
Auch hier fehlt es garantiert nicht am Geld. Mit Ministersalär und Bundestagsdiäten bezieht er ungefähr 30 000 Euro brutto pro Monat. Vermutlich handelte es sich auch bei seinem blauen Anzug nicht um die allerbilligste Sorte. Mit der Kleidung möchte Robert Habeck natürlich etwas ausdrücken, so, wie auch das Bääm-Haus am Kottbusser Tor und die Friedrichstraßenkisten vor allem existieren, um eine Botschaft zu senden. Im Fall des grünen Ministers lautet sie: Hier steht der rastlose, ganz auf das Projekt konzentrierte Arbeiter der Transformation, der anders als die welschen Gecken keine Zeit für gepflegte Kleidung und eine Haupthaarwäsche findet. Kottihaus, Jaraschs Friedrichstraße, die Kiezblocks, Habecks Dienstkleidung und die Reden von Ricarda Lang wirken wie praktisch alles aus diesem Milieu so, als hätte ein und derselbe Designgenerator alles zusammen entworfen. Hier verschmilzt, was zusammengehört: Die Feindschaft gegen jede Spielart der Eleganz, gegen Form, gegen eine Verantwortung, die über die Versorgung des eigenen Milieus hinausreicht, gegen das, was man zumindest früher unter dem Begriff erwachsen verstand. Und speziell in Berlin spricht aus allem, was die Gesellschaftsumbaumeister dort tun, der Hass auf das Prinzip Stadt.
Darin folgen sie einer inneren Logik; Städte waren nun mal Brutstätten von Bürgertum und Liberalität. Auch Berlin. Hier können sich seine Feinde allerdings mehr als in jeder anderen Stadt auf vorbereitende Abbruch- und Umbaumaßnahmen ganz anderer Politikergenerationen stützen. Bei dem Neuen Kreuzberger Zentrum von Johannes Uhl und auch bei der Stalinallee von Hermann Henselmann im Osten handelte es sich um gebaute Gesellschaftsideen, aber sie setzten immerhin noch eine großstädtische Tradition fort. Die Progressiven der Gegenwart erklären sich zwar unentwegt für „urban“. In Wirklichkeit arbeiten sie daran, alles endgültig abzuwracken, was traditionell eine Stadt ausmacht. Es geschieht nicht zufällig, dass Jarasch und ihre Mitstreiter sich nicht eine kleinere Nebenstraße als Ziel ihrer Verhässlichungsoffensive aussuchen, sondern mit der Friedrichstraße eine zentrale Verkehrsachse. Auf der anderen Seite richtete sich die progressive Wut erst jahrelang gegen den Wiederaufbau des Stadtschlosses, das der Mitte wieder den alten Zusammenhang gab, auch gegen den Walter-Benjamin-Platz von Hans Kollhoff, den Wohlmeinende wegen eines im Boden eingelassenen Ezra-Pound-Zitats, aber eben nicht nur deswegen, sondern auch wegen seiner Kolonnaden und neoklassizistischen Elemente als „rechten Raum“ brandmarkten.
Keine Frage, die preußisch-berlinerische Baumeisterkunst der Kaiserzeit wollte nicht nur einfach Nutzfläche schaffen, sondern denen, die dort wohnten und vorbeiflanierten, etwas einbimsen. Nicht jede Überzeugung von damals möchte selbst der Reaktionär von heute noch unbesehen verteidigen.
Die moderne Berliner Stadttransformation zielt auf eine Erziehung in die andere Richtung. Sie legt es darauf an, etwas auszutreiben. Der von Bausenator Andreas Geisel vorgelegte Stadtentwicklungsplan definiert als Ideal den „15-Minuten-Kiez“, die „Stadt der kurzen Wege“, also eine pseudodörfliche Anlage, aus der sich der Bewohner möglichst nicht mehr wegbewegen soll. Die Durchfahrblockaden und das von Jarasch flächendeckend gewünschte Tempo 30 treiben den Aufwand für alle in die Höhe, die trotzdem einen Ausbruch versuchen. Denn auch die S- und U-Bahnen, auf die angeblich alle umsteigen sollen, enden in etlichen Fällen an der Haltestelle des Schienenersatzverkehrs.
Mit ihrer Umgestaltung schaffen die neuen Bauherren mit viel Geld öffentliche Plätze, die jeder ästhetisch und sonstwie Empfindliche nach Möglichkeit meidet. Die generelle Empfehlung lautet: Gehen Sie am besten gar nicht erst raus. Statt auf der zugestellten Friedrichstraße zu flanieren, kann man auch bei Amazon bestellen, statt essen zu gehen Lieferando-Nudeln kommen lassen. Und um sich chemische Substanzen zuzuführen, muss sich niemand ins Missoir am Kottbusser Tor begeben. Auch das erledigt man bequemer zuhause. An alle, die sich an dieser Entwicklung stören, ergeht neuerdings die Aufforderung, sich zu verziehen, damit sich die Diversität der Progressiven ungestört entfalten kann.
Die Formel ‚Bullerbü‘ für die von der progressiven Einheitspartei Berlins angepeilte Stadt findet sich zwar in vielen Texten. Aber sie trifft es nicht. In echten Dörfern findet im Verhältnis zu ihrer Größe deutlich mehr Wertschöpfung statt. Vergleiche mit Kalkutta oder Caracas gehen genauso in die Irre. Das, was nach dem Willen der drei Regierungsparteien bis ungefähr 2035 in Bääm entstehen soll, wäre nämlich entschieden weniger großstädtisch als die genannten Metropolen.
Das aus Sicht seiner Gestalter perfekte Berlin als Modell für ganz Deutschland liegt irgendwo dazwischen. Nicht richtig Dorf. Erst recht nicht Metropole. Nirgends auf der Welt gibt es ein ähnliches Zwischenreich aus matschigen Plätzen, Eiszeitfindlingen, privatem und staatlichem Sperrmüll auf der Straße, Verkehrsunterbindung und verstreuten Gründerzeitvierteln als Überbleibsel aus der Ära der alten weißen Männer. Mittendrin eine Regierungszentrale, in der man an globalen Rettungskonzepten arbeitet. Berlinbashing, finden viele, sei billig. Das ist eben der Unterschied zu progressiven Projekten, könnte man antworten. Der Autor dieses Textes schlägt aber überhaupt nicht auf Berlin ein. Er hängt mit seinen unsortierten Gefühlen sogar an vielen Ecken dieser Stadt, selbst an den alten kriegsgezeichneten Eisenträgern der Yorckbrücken, die immer noch mehr Würde ausstrahlen als jede Kreuzberger Ökoverweiloase aus Holzlatten am Tag ihrer Einweihung oder der grüne Vizekanzler in Paris.
Die Umgestaltungsprojekte wiederum eignen sich zur möglichst kontaktlosen Kenntnisnahme. Es sind zeichenhafte Skizzen. Wer wissen will, wie die Zukunft der Fortschrittlichen aussehen wird, erfährt es hier zuerst.
Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.
19 Kommentare
Original: Bääm, die Zukunft steht im Kottischlamm: eine Grand Tour durch das neue Berlin
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Die Redaktion
Alexander Peter
14. Februar, 2023Architektur ist immer auch ein Sinnbild der Geisteshaltung ihrer Schöpfer und gleichfalls Ausdruck der Vorstellungen der herrschenden Schicht.
Die Pyramiden, Stonehenge, eine gotische Kathedrale, ein Renaissanceschloss, ein Gründerzeithaus, eine Parkanlage von Fürst Pückler geben ebenso Auskunft über ihre Auftraggeber und Erbauer, deren ästhetische Vorstellungen, wie Fußgängerzonen, anonyme Wohnblocks für die Masse oder die Architektur des realen Sozialismus.
Was sagen demnach Findlinge oder Sperrholzmöbel auf der Straße über ihre Schöpfer aus? Sie führen es deutlich aus. Man hätte in diesem Zuge vielleicht noch auf die geplante massive Erweiterung des Kanzleramtes hinweisen können, die in ihrer Gigantomanie und Machtdemonstration des Parteienstaates sozusagen den Gegenpol zum Programm öffentlicher Armut darstellt.
Jedoch dürfen wir wohl davon ausgehen, dass diesen «Zeugnissen grünen Geistes» keine allzu lange Dauer beschert sein wird. «Nachhaltigkeit» in der Architektur geht anders.
Zur Illustration des offenbar entweder gewünschten oder zumindest für die Masse billigend in Kauf genommenen freiheitlichen, intellektuellen, kulturellen und ökonomischen Niedergangs taugen die genannten Beispiele aber allemal.
Bernd Zeller
14. Februar, 2023Kann Publico nicht einen Mann bei Focus einschleusen?
Daniel Hartmann
14. Februar, 2023Sie sind grandios: Alexander Wendt und Bernd Zeller – jeder auf seine Weise :-).
Gerald Gründler
16. Februar, 2023Unglaublich, wo nimmt der Mann bei dieser Lage seinen Witz her? Bewundernswert und überaus amüsant. Ich kann das leider nicht. Ich hasse. Und es wird jeden Tag schlimmer, der Hass und seine Anlässe.
Jörg Schulze
17. Februar, 2023Höchstens eine Frau.
Thomas Graminsky
14. Februar, 2023Aus all den aufgezeigten Gründen bin ich Emma Kohlers Empfehlung zuvor gekommen und habe als «Eingeborener» Berlin bereits 2018 verlassen. Das Gebaren der aktuellen Architekten des neuen Berlin nach der Wahl am Sonntag hätte mir jetzt den Rest gegeben.
Thomas
14. Februar, 2023Aus Progressiv mach Pogressiv
oder: Der Müll, die Stadt und der Tod
• Hier verschmilzt, was zusammengehört: Die Feindschaft gegen jede Spielart der Eleganz, gegen Form, gegen eine Verantwortung, die über die Versorgung des eigenen Milieus hinausreicht, gegen das, was man zumindest früher unter dem Begriff erwachsen verstand.
Ja.
Nach meinem Dafürhalten haben die Machthaber in Deutschland die Stadt Berlin längst zum Zweck von Planübungen umgestaltet, für die Ausbildung und die Einübung von Fertigkeiten in vielen Funktionen ihrer politischen Streitkräfte.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1140472.rot-rot-gruen-in-der-hauptstadt-kein-fairer-boxkampf.html
Fertigkeiten (wie beispielsweise Feindschaft), die sich in einem bestimmten Verhältnis allmählich steigernd, entwickeln.
• Und speziell in Berlin spricht aus allem, was die Gesellschaftsumbaumeister dort tun, der Hass auf das Prinzip Stadt.
Diesem logischen Schluss möchte ich in aller Demut leise widersprechen, da es sich nach meinem Dafürhalten nicht etwa um „Hass auf das Prinzip Stadt“ handelt, sondern, im Gegenteil, um eine spätpupertäre („… dem Begriff erwachsen verstand.“, siehe oben)
politische Gestaltungswut, die sich das (ob der schieren Anzahl der „Bewohner“ anonyme) Prinzip Stadt zunutze macht. Eine Gestaltungswut, die sich manchmal eben auch pogressiv austobt („If you can make it there, you’ll make it anywhere.“). Am obigen Beispiel wird das ja nach meinem Dafürhalten deutlich.
Die Mitarbeiter des Regimes nutzen dabei die Möglichkeiten der politischen Macht über die öffentliche Meinung. Das merken aber eben nur jene „Bewohner“, die sich gegen die Gängelung der Bewegung sträuben; weil sie dann ihre Ketten spüren. Also praktisch heute: „Die Rechten“. Das sind die Leute jenseits von «GrünDE».
Übrigens verkünden die so genannten „Grünen“ (aus allen publizistischen Rohren von Rang), es seien gute Ketten, weil gegen rechts. Diese Helden. Diese politischen Voll …helden.
Berlin ist eine Reise wert, im Guten
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Theater_Berlin#/media/Datei:Berlin,_Mitte,_Schumannstrasse_12-13A,_Deutsches_Theater_und_Kammerspiele_04.jpg
wie im Schlechten.
https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6rlitzer_Park#/media/Datei:G%C3%B6rlitzer_Bhf._Okt._89.jpg
Und wie sich aus den Wahlen kürzlich schließen lässt, lassen sich viele Berliner die sich anbahnenden Kalkuttas oder Bogotas in Berlin als künftiges Berliner Bullerbü verkaufen. Möglicherweise ist es ihnen ja auch egal, da sie sowieso zu Hause vor der Glotze bleiben, siehe oben (ohne Gehorsamslappen, mit Brieftasche, soweit gesund und zufrieden. So lange sie nicht zu Hause ausgeraubt werden). Nun, die Buntreklame macht eben vieles möglich, in diesen Zeiten. Auch in den Gated Communites einer Großstadt lebt man wohl noch einigermaßen sicher, wird erzählt. Abweichler sind eben „raus aus der Gesellschaft“. Zählen nicht mehr dazu.
Übrigens sind auch die Bronx („Bronck’s Land“) von New York nicht an einem Tag entstanden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bronx#Geschichte
https://de.wikipedia.org/wiki/Demografie_der_Bronx#Wirtschaftliche_Lage_und_Bildung
Ja, immer diese Sozialingenieure, …
Ich warte heute ja bereits auf die Werke staatlicher Statistik-Ingenieure (darauf sind Sozialingenieure ganz scharf, wenn so eine Statistik der politischen Bewegung nützt), auf Statistiken, die beispielsweise zusammenzählen,
• wie viele Leute an oder mit einer Impfung gestorben sind,
• wie viele Leute an oder mit einem Messer gestorben sind,
• wie viele Leute an oder mit einem Auto gestorben sind,
• oder wie viele Leute an oder mit einem Klima gestorben sind.
Kommt vielleicht noch. Vermutlich zuerst in Berlin. Bin schon gespannt.
Andreas Rochow
15. Februar, 2023Er hat «Kaiserzeit» gesagt! War das die Zeit, in der Schulneubauten wie kleine Schlösser aussahen und so «nachhaltig», dass die meisten noch heute stehen?Im linksgrünen Berlin haben Vandalen den öffentlichen Raum übernommen. Mich irritiert immer wieder die Kiezliebe vieler Berliner, weil ich die Ästhetik und Romantik von Zerstörung, Dreck und Verwahrlosung nicht nachempfinden kann. Wer sich mit vollgepfropften, stinkenden S-Bahnzügen und Hundeschei*e everywhere abfindet, hat sich den Fluchtreflex und das Verantwortungsgefühl erfolgreich abtrainiert. Das ist auf Dauer nicht gesund. Die doppelte (und dreifache?) Berlinwahl ist Symptom dieses Zerstörungswerkes mit Ansage. Und «Kaiser» geht natürlich gar nicht mehr.
Thomas
15. Februar, 2023Am Ende des politischen Austauschs
So etwas geht auf Dauer nicht gut. Das sehe auch ich so.
Zum Thema schrieb der Herr Wendt ja bereits Ende September 2021 „Berlin ist ein begehbares Modell für Deutschland: warum der Besuch sich lohnt, und was er kostet“.
https://www.publicomag.com/?s=Berlin+ist+ein+begehbares+Modell+f%C3%BCr+Deutschland
• Vierundzwanzig Stunden reichen auch völlig. Kürzer geht es auch. Berlin stellt, wie gesagt, ein Anschauungsmaterial für das ganze Land dar. Dafür ist es nicht zu teuer bezahlt. Es gibt nur einen Unterschied: Dem Land als Ganzem fehlen die südlichen Geberländer. Das ist ein Systemfehler, der sich leider nicht mehr reparieren lässt.
Der Kapitalismus verteilt den Reichtum eben ungleich, wohingegen der Sozialismus das Elend gleichmäßig verteilt. Demzufolge handelt es sich heute wohl mal wieder um so eine Art „Goldene Zwanziger“. Kapital-Sozialisten an der Macht.
• Falls sich das Neue Kreuzberger Zentrum irgendwann nicht mehr zur herkömmlichen Unterbringung von Kreuzbergern eignet, steht einer Umnutzung nichts im Weg, beispielsweise als Heim für mittellose Pensionäre nach der Abwicklung des Rundfunks Berlin-Brandenburg, als Waffendepot oder als Zuchtanlage für Proteinkäfer.
Naja. Das Elend wird ja nicht überall gleich verteilt. Es gehört zu den Königskünsten sozialistischer „Satire“, die eigenen Leute ordentlich zu unterfüttern und das als gesellschaftlichen Erfolg zu verkaufen: Beispielsweise hat sich der öffentlich-rechtliche Buntsender RBB nun von einem Mitglied seiner Führungsriege getrennt, dessen Abschied als Programmdirektor zwar offiziell erst in zwei Jahren erfolgt, der aber bis dahin freigestellt ist.
https://jungefreiheit.de/kultur/medien/2023/rbb-programmchef-abfindung/
Der Mann erhält sein Gehalt in Höhe von rund 18.000 Euro pro Monat weiter (Eine andere Stelle darf er natürlich annehmen). Das sind dann mehr als 400.000 Euro fürs Nichtstun (Beitragszahlergeld) vom RBB.
Als Krönung verkauft der RBB die Trennung als Erfolg, da dem Herrn vertraglich eigentlich noch ein üppiges Ruhegeld zugestanden hätte, auf das der bescheidene Mann nach Vertragsende aber großzügig verzichtet.
https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/12/berlin-brandenburg-rbb-programmdirektor-schulte-kellinghaus-abschied.html
Natürlich gönne ich jedermann seine Erfolge, aber das muss man sich erstmal vorstellen: Da kommt ein Mann nach nach seinen Lehrjahren in Bonn und Erfurt über ZDF, NDR und ARD im Jahre 2017 (!) zum Berlin-Brandenburger Sender, und erhält nun bis an sein Lebensende 9000 Euro RBB-Pension im Monat. Ein stattlicher Anspruch, nach sechs Jahren schweißtreibender Arbeit im Dienste der Bewegung. Hinzu kommt die gesetzliche Rente.
Die Selbstbedienungsverträge im öffentlich-rechtlichen RBB werden damit so langsam ruchbar. Und die neue Intendantin Katrin Vernau verkauft das prompt als Bescheidenheit und Erfolg des Senders: „Insofern verzichtet er erstmal auf etwas, worauf er Anspruch hat – und fordert nicht“
Na dann. Dankeschön, liebe demokratische Parteienlandschaft. Und Dankeschön, Seilschaft.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/rbb-programmdirektor-schulte-kellinghaus-plante-top-secret-posten-umbesetzung-a-2cdb4161-529e-49f4-a4f9-1ca0d5bb24ae
Im September 2021 kommentierte ich das Fiasko Berlin übrigens so:
„Leider lässt sich dieser Systemfehler offenbar auch durch Wahlen nicht mehr reparieren. Es ist wohl ein perfekter Schwingkreis, wie es scheint. Eine Art Klaviatur tut ihr Werk; und die Musik ist zum Speien.“. 🙂
Tja.
Die Provinz kommt schon lange aus dem Staunen nicht mehr heraus. An den SED-Seilschaften hat sich bis heute nur umständehalber etwas geändert. Und der Bund? Hat wenigstens der ein Auge auf die Linksextremisten im Lande, wenn er nicht gerade auf die „Rechten“ stiert?
Ach wo, meine ich. Faselt der zeitgenössische „Anstand“ im Bundestag heute von „demokratischen Parteien”, dann meint er damit die sozialdemokratischen Parteien. Daraus folgt, daß die CDU/CSU drankommt, wenn der selbsternannte „Anstand“ mit der AfD fertig ist. An den entsprechenden offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern fehlt es bei den öffentlich-rechtlichen Erziehungsanstalten offenbar nicht.
https://jungefreiheit.de/kultur/medien/2023/wdr-moderator-ruft-zu-hass-auf/
Der Neostasi hört und redet eben auch heute mit. Deshalb haben wir ja die grünen Ide(e)n des Merz: Angst, Angst. Und Berlin ist wirklich eine Reise wert. Da gibt es was zu sehen.
Lach.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas
W. Mueller
14. Februar, 2023Wieder (bzw. wie immer) ein Super-Artikel, kenntnisreich und humorvoll. Angesichts der Gedankentiefe und Formulierungskünste von Alexander Wendt wird mir die Dürftigkeit meiner eigenen gedanklichen und sprachlichen Existenz wieder einmal schmerzlich vor Augen geführt. Was mich allerdings nicht daran hindert, mich immer wieder (gerne) dieser Art von «Schmerz» auszusetzen. 😊
A. Iehsenhain
14. Februar, 2023Berlin sieht mancherorts aus wie eine Trümmerlandschaft-Installation, getreu dem Motto von Julia Schramm: „Bomber-Harris Flächenbrand – Deutschland wieder Ackerland!“ Stickstoff und fetteren Abtritt aus der Triple-Pinkelbude gibt es ja jetzt genug. Das Äußere erinnert mich an eine Mischung aus Bienenstock, Marktbude und Strandkorb; das Innere braucht sich hinter den schlimmsten Bundesstraßen- und Autobahntoiletten nicht zu verstecken, auch der Vorplatz nicht, der „Woodstock“- oder „ Wacken Open Air“-Flair ausstrahlt.
Und die Botschaft, die man „Müll I rubbish“ lesen könnte? ‚Müll Ich Müll‘? Als Signatur von den Erschaffern wäre es allemal geeignet. Anderswo in Deutschland sieht es natürlich oft nicht besser aus, Berlin sticht vielleicht wegen der größeren Dimensionen heraus. Den Idealplan, wie man ihn noch von großen alten Klosteranlagen oder Schlössern kennt, haben die Größenwahnsinnigen wahrscheinlich im Sinn, aber eben leider keine Spur von Geschmack oder räumlichem Vorstellungsvermögen. Daher sind Herrn Wendts Bezeichnungen wie „Protzentfaltung des ästhetischen Elends“ oder „Versailles der Grünen Khmer“ wieder einmal absolute Volltreffer!
Oskar Krempl
15. Februar, 2023Das von Alexander so vortrefflich und geistvoll beschriebene Elend fass ich kurz und prägnant zusammen. Die logische Konsequenz wenn man per Wählerwille das Unterste ganz nach oben kehrt, demnächst flächendeckend.
pantau
15. Februar, 2023Meine Güte was für kranke Zustände…bestehen diese Figuren denn nur noch aus Selbsthass, den sie bloß auf alles, was noch funktioniert, loslassen? Und wenn sie mal selber was machen sollen, kommt folgerichtig nur dysfunktionale Hässlichkeit bei rum, Pseudo-Tripelscheißhäuser auf Matschboden, aber im skandinavischen Saunadesign……mir war nicht klar, in welchem Stadium Berlin ist..
Majestyk
15. Februar, 2023Unsere Epoche wird ohnehin nichts hinterlassen. Außer 0en und 1en gibt es heute nicht mehr viel. Ob nun Musik, Literatur, Kunst, Film, Design oder Architektur. Was heute erschaffen wird sind bestenfalls Zitate. Selbst die Menschen wirken oft ziemlich verunstaltet.
Und was Berlin angeht muß ich meinem Vater im Nachhinein Abbitte leisten. Die Wachtürme standen wirklich auf der falschen Seite.
Werner Bläser
15. Februar, 2023Sorry, aber ich möchte etwas von Berlin abschweifen. Wenn ich diesen Artikel lese, kann ich nicht anders als an den guten alten Begriff «Dekadenz» und an das Ende einer Kultur zu denken – das ist aus fast jeder Zeile für mich herauszulesen. Der Fall Berlin scheint mir wie in einem Brennglas das abzubilden, was in Ansätzen auch in anderen Feldern und in anderen Regionen Deutschlands passiert.
Bismarck wird entsorgt, Preussen wird entsorgt, Teile der Literatur werden entsorgt (oder mit Warnhinweisen versehen; welches Theater spielt heute noch Shakespeares «Der Widerspenstigen Zähmung» oder den «Kaufmann von Venedig»?), die Idee der Geschlechter soll entsorgt werden, und einige perhorreszieren sogar den Begriff «Mutter» (als Ersatz soll dienen: «gebärende Person» – das erinnert an die agrarbürokratische Umschreibung einer Kuh als «raufutterverzehrende Grossvieheinheit»).
– Ich denke, es wäre sehr schwierig, irgendwo auf der Welt eine Kultur zu finden, die kein Wort für «Mutter» hat; der Wunsch, einen solches menschliches «Urkonzept» abzuschaffen, ist für mich ein kaum noch steigerbarer Gipfel an Perversion.
– Oswald Spengler hat im zweiten Band seines «Der Untergang des Abendlandes» auf die zunehmende Anzahl von abstrusen Sekten im altrömischen geistig-religiösen Leben im 4. und 5. Jahrhundert hingewiesen. Wenn man diese Ausführungen des bösen alten rechten weissen Mannes liest, kommt man sich vor, als wiederhole sich diese Geschichte.
Wenn der Wokismus in allen seinen Spielarten keine abstruse Sekte ist, was soll dann noch eine abstruse Sekte sein? Dagegen erscheinen ja selbst Rastafarians mit ihrer Verehrung des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie als Messias ganz alltäglich-vernünftig.
– Eigentlich, so kann man den Eindruck haben, soll die Zivilisation als solche abgeschafft werden. Pol Pot lässt grüssen. Ohnehin haben einige besonders gehätschelte Vorbilder der linken Wokies, wie Noam Chomsky, ein ganz besonderes Verhältnis zu diesem etwas rustikalen «Neuerer» (nachzuschlagen z.B. unter «Cambodian Genocide Denial»).
Während die Leugner des kambodschanischen Holocaust sich inzwischen allerdings mehrheitlich in ihre Löcher verkrochen haben, arbeiten andere, weniger radikale, aber ähnlich absurde Thesen verbreitende, auf einem anderen Gebiet:
Sie leugnen den Untergang des Römischen Reiches und faseln von einem Kontinuum über das 5. Jahrhundert hinaus. Dies scheint in der Geschichtswissenschaft zur Zeit sogar mehrheitsfähig zu sein.
Die politische Motivation dahinter ist mit Händen greifbar: die römische Kultur «starb» nicht durch die Einfälle von Barbaren, sondern wurde nur transformiert. Eigentlich waren die «Barbaren-Einfälle» gar keine kriegerischen Akte, sondern nur friedliche Immigration – das wird allen Ernstes von manchen Historikern vertreten.
Da der Kulturrelativismus im Gefolge von Ruth Benedict und Margaret Mead zu den geistigen Grundpfeilern des Wokismus gehört, darf es auch keinen Unterschied zwischen «Zivilisierten» und «Barbaren» geben. Folglich auch keinen Bruch.
Fakten, die dem entgegensprechen, wie der Niedergang der römischen Kunst, Architektur und Literatur (siehe u.a. Wiki-Artikel «Bücherverluste in der Spätantike»), und erst recht die massiven Gewalt- und Zerstörungsorgien der «Immigranten» werden einfach ignoriert (lesenswert dazu: B. Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005; wer weniger Zeit hat, kann sich auf Youtube auch die kurzen Clips von ‘Maiorianus’ ansehen, z.B. «Were the barbarian invaders of Rome really so peaceful…?»).
Die meisten der «Transformationstheoretiker» ignorieren nicht nur Fakten, sondern auch die pure Logik. Beispiel:
«The collapse of the Western Roman Empire in the 5th century had for a long time been seen as a sharp turning point in history… Recent scholarschip has successfully challenged the idea of a brutal fall… Post-Roman Europe shows signs of continuity with the Empire, whether it is in political organization, social stratification or culture, in association with German traits…» (Lucie Laumonier, «Changing Landscapes…», in: ‘Medievalists.net’, 2.7.20).
Wenige Zeilen später schreibt Laumonier dann, offenbar ohne zu merken, dass sie sich selbst widerspricht:
«… without a central state and the collection of taxes, maintenance of bathhouses, aqaeducts and amphitheaters was impossible… In the South of France, the aqaeduct of Nimes was already badly damaged in the 4th century… In the early 6th century, the aquaeduct was no longer functioning and the town’s Visigothic rulers did not repair it.»
Man begann, die alten Prachtbauwerke zum Zwecke der Gewinnung von Baumaterial niederzureissen.
– Zwar sind die altrömischen Stimmen zum Ende des Reichs widersprüchlich – viele Römer merkten angesichts des langen Niedergangs gar nicht, dass das Reich irgendwann «endete». Doch über den Zeitraum von mehr als einer Generation gesehen, ist das Ende einfach nicht zu übersehen (auch wenn man das sicher nicht, wir früher üblich, auf ein bestimmtes Datum und Ereignis legen kann).
Auch heute merken viele Zeitgenossen nicht, dass wir uns in einem Prozess des Niedergangs befinden, bestreiten dies sogar. Wahrscheinlich wird es keine Entsprechung des Jahres 476 AD und keinen neuen Odoaker geben, aber der Prozess scheint mir heute genau wie damals zwar schleichend, aber kaum zu ignorieren, wenn man denn hinzuschauen gewillt ist.
Die Römer verloren damals ihre Kultur, und das Hereinströmen von fremden Barbaren und ihre Bedeutung in der römischen Armee und Politik war sicher nicht der einzige, jedoch ein gewichtiger Grund für den Niedergang; andere waren die ständigen Bürgerkriege und Revolten von Usurpatoren, sowie die Entwertung des Geldes.
Zwei dieser Faktoren können wir heute beobachten: Unkontrollierbares Hereinströmen von Kulturfremden und Geldentwertung.
Bürgerkrieg ist derzeit in keinem westlichen Land zu beobachten, allerdings ist die extreme politische Spaltung, wie wir sie etwa in den USA, aber auch in anderen Ländern sehen, ein möglicher Vorbote einer gewaltsameren Entwicklung.
– To make a long story short: Die Parallelen zwischen dem Niedergang des alten (West-)Rom und dem heutigen Westen sind für mich kaum zu übersehen. Was immerhin tröstlich sein mag: Der Lauf der Geschichte hängt oft von Zufälligkeiten ab – man kann guten Gewissens spekulieren, dass bei nur relativ leichten Unterschieden in einzelnen Entwicklungen damals ein Ende nicht unbedingt notwendig hätte kommen müssen.
Das bedeutet, dass die sichtbare Entwicklung auch heute möglicherweise gestoppt werden könnte. Die grösste Hilfe für eine solche Wendung stellen die woken Kulturzertrümmerer selbst dar: Je absurder ihre Übertreibungen und Verrücktheiten, desto grösser die Chance, dass ihre Akzeptanz in der Mehrheit schwindet.
Und gottseidank sind sie nicht bewaffnet.
Oskar Krempl
17. Februar, 2023Sehr geehrter Herr Bläser,
vielen Dank für diesen hervorragenden historisch begründeten Exkurs. Allerdings teile ich den am Ende angeführten Optimismus nicht, denn sobald die «Woken» an den Schalthebeln der Macht angekommen sind, haben sie Zugriff auf das Gewaltmonopol des Staates und das werden sie benutzen.
Majestyk
19. Februar, 2023Ihr Beitrag geht davon aus, daß wir gerade den Niedergang des Imperiums erleben, ich würde sagen, wir sind kurz vor dem Punkt an dem die Republik scheiterte und sich zum Imperium wandelte. Aber das sollen spätere Generationen beurteilen.
Ihr Kommentar beinhaltet aber noch eine falsche Annahme. Wer nicht bewaffnet ist, das ist der friedfertige Bürger. Der Staat ist es schon und der von Volksfeinden regiert. Und jene haben der autochthonen Bevölkerung den Krieg erklärt. Weiß sein soll weg und zukünftig nur noch einer Elite vorbehalten sein. Der Rest kann weg oder muß enger zusammenrücken.
Maru
17. Februar, 2023Das passt doch alles perfekt zum herrschenden Zeitgeist.
Hieß es früher mal » Unser Dorf soll schöner werden» lautet es jetzt eben «Hässlichkeit ist Schönheit» oder «Geschmacklosigkeit ist Trumpf»- ganz im Sinne der Orwellschen Dystopie.
Wahrscheinlich sind diese Leute einfach Spätpubertierende, die es noch immer den Alten zeigen wollen. Dem Ästethikverständnis der Erwachsenen wollen sie «Wohnkultur» aus der Ära besetzter Häuser entgegensetzen.
Auch Habeck ähnelt irgendwie mehr einem, der auf einer eleganten Familienfeier als Punker aufläuft als dem Minister, den er (fürstlich bezahlt) darstellen soll.
Gottfried Linsengeyer
17. Februar, 2023«Viele Römer merkten angesichts des langen Niedergangs gar nicht, dass das Reich irgendwann endete.”
Danke, dass es hier einiges zu lernen gibt.
Als Nichtberliner aber frage ich, was es mit «Bääm» auf sich hat. Könnte ich das erklärt bekommen?