Bericht aus der Hauptstadt: Friedrich Wilhelm, Außerirdische – und dazwischen Ricarda Lang
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Um die Schrift an der Kuppel des Berliner Schlosses tobt ein Kulturkampf. Natürlich geht es nicht nur um Bibelverse. Sondern darum, dass den Wohlmeinenden partout keine Gegenbotschaft einfällt. Obwohl sie ganz dringend eine bräuchten
Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 37 min Lesezeit
Um die Kuppel des wiederaufgebauten Berliner Schlosses zieht sich eine Inschrift, die sich von unten nicht entziffern lässt. Egal aus welcher Perspektive, von den goldenen Buchstaben auf blauem Grund lassen sich immer nur wenige erkennen, und nirgends die vollständigen beiden Sätze.
Wer wissen will, was dort oben steht, muss nachschlagen: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
Den programmatischen Text, der aus zwei Bibelzitaten besteht, suchte der tief religiöse und preußische König Friedrich Wilhelm IV im Jahr 1854 aus. Zusammen mit dem Kuppelkreuz stand das Schriftband für seine Überzeugung, dass sich seine Position als Herrscher direkt von Gott ableitet. Mit diesem Argument lehnte er bekanntlich eine Verfassung ab; das „Stück Papier“, wie er sich ausdrückte, mache aus einem Herrscher nur noch eine Fiktion.
Als direkte Aufforderung zum Beugen des Knies wird heute kaum noch jemand den Sinnspruch verstehen. Auch die preußische Verfassungsfrage, die das Königreich lange beschäftigte, kann heute als beigelegt gelten.
Merkwürdigerweise entfalten diese zwei von einem preußischen König ausgesuchten Widmungssätze, die wie gesagt sowieso kein Schlossbesucher vom Vorplatz aus lesen kann, im Jahr 2022 eine beachtliche Wirkung. Das blau-goldene Schriftband beschäftigt eine große Allianz von Kulturfunktionären, Journalisten und Amtsträgern wie die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die meint, dass sie die Sätze nicht unkommentiert und eigentlich überhaupt nicht dort oben stehen lassen sollte. Ihr sei es „schleierhaft, wie man so eine Kuppelinschrift machen kann“, erklärte Roth in einem Tagesspiegel-Interview Anfang 2022: „Und dann setzt man auch noch ein Kreuz obendrauf als Beleg der großen Weltoffenheit. Also, da will ich ran.“
Die einfache Antwort auf Roths Beschwerde würde lauten: Die Inschrift steht auf der Kuppel des wiederaufgebauten Schlosses, weil sie schon an dem originalen Schloss stand, das 1950 auf Befehl Walter Ulbrichts gesprengt wurde, und weil der Bundestag vor längerer Zeit mit Zweidrittelmehrheit den historischen Wiederaufbau zumindest der Fassade beschlossen hatte. Das Kreuz wiederum sitzt ebenfalls aus historischen Gründen auf der Kuppel, erstens, weil sich direkt darunter die Schlosskapelle befand, außerdem, weil es zum preußischen Herrschergedanken gehörte, dass eben nicht die Krone oder der Adler den höchsten Punkt des Herrschersitzes markieren sollten, sondern ein universelles Symbol, das noch über den monarchischen Zeichen steht. Ganz nebenbei, das Christentum ist mit Sicherheit offener für die Welt, als Claudia Roth es je war.
Eine einfache Antwort auf die Kulturstaatsministerin genügt aber deshalb nicht, weil es sich erstens nicht um ein exklusives Leiden Roths handelt. Und auch nicht allein um einen antireligiösen Reflex, angereichert mit intellektuellen Versatzstücken aus der abgehängten Provinz Berlin Mitte. Der Generaldirektor des Humboldt Forums Hartmut Dorgerloh hält seine Arbeit unter Kreuz und Kuppelspruch für so unzumutbar, dass er sich zusammen mit anderen Mitarbeitern der Einrichtung dafür ausspricht, eine zusätzliche Symbolik an dem Gebäude anbringen zu lassen, die „vielleicht auch neue Antworten“ ergeben und Ideen sprießen lassen soll, „wie wir mit etwas umgehen, was bis heute nicht befriedigt und nicht befriedet“.
Für den Bereich des Gegenzaubers könnte er immerhin die reiche Sammlung von Kultgegenständen aus tribalistischen Kulturen im Humboldt Forum befragen. Gewissermaßen als erste Notmaßnahme und antiwilhelminischen Schutzwall brachten die Leiter der einzelnen Bereiche des Humboldt Forums auf der Dachterrasse des Schlosses eine Tafel mit dem Text an, der ausdrückt, dass sie von dem Text oben an der Kuppel nichts und von Religion kaum etwas verstehen: „Alle Institutionen im Humboldt Forum“, heißt es dort, „distanzieren sich ausdrücklich von dem Allgemeingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums.“
Ohne einen Allgemeingültigkeitsanspruch kommt nun einmal keine Offenbarungsreligion aus. Auch sprechen die Sätze oben an der Kuppel nicht von einem weltlichen Herrschaftsanspruch, sondern von der gegenweltlichen Botschaft des Religionsgründers. Dass sich Kulturfunktionäre vom Kern des Christentums distanzieren, strahlt die gleiche intellektuelle Brillanz aus, als würden sie sich kollektiv gegen die Sixtinische Kapelle oder die Bachkantaten erklären. Und zwar ausdrücklich. Aber möglicherweise greift der Autor hier den Dingen nur vor. Für diesen Fall bittet er ausdrücklich um Vergebung.
Der Abwehrallianz um Roth, Dorgerloh et al. muss irgendwann aufgegangen sein, dass es nicht genügt, Nein zu Friedrich Wilhelm IV zu sagen, zumal im Jahr 2022, in dem Vertreter des Kulturbereichs nicht mehr mit Gedanken kommunizieren, sondern mit Zeichen. Für diese Zeichensetzung soll nun ein sogenanntes Spruchband auf das Schloss gehievt werden, über das, wie der Name schon sagt, künftig Sprüche mittels LED-Lämpchen laufen, die dem analogen Spruchband des Königs und dem Kuppelkreuz „eine dauerhafte, positive und zeitgemäße Aussage entgegensetzen“. So jedenfalls wünschen es sich die Köpfe der Initiative „Leuchtturm Berlin“.
Und damit entfaltet sich für die Progressisten im Schloss einschließlich der Leuchtturmwärter ein Problem, das sie in seinen Dimensionen möglicherweise noch gar nicht überblicken. Es reicht nämlich weit über das Schloss und sogar über Berlin hinaus. Denn bis jetzt fällt den Wohlgesinnten, die das Juste Milieu so perfekt verkörpern, eben diese dauerhafte, positive und zeitgemäße Aussage nicht ein. Es müsste ja ein Bekenntnis sein, irgendein Credo, das ganz unabhängig von dem damaligen preußischen König zusammenfasst, was der progressive, weltoffene und erwachte Teil der Gesellschaft für gut, wahr und schön hält, woran er selbst glaubt, und wofür er sich notfalls in den Kampf stürzen würde.
Der Ort dafür ist für diese Verkündung schon ganz passend gewählt, nämlich das Schloss in der Hauptstadt, an dessen Traufhöhe sich früher ringsum alle Bauten zu orientieren hatten. Die beteiligten Kulturpolitiker und -funktionäre, Feuilletonredakteure und Aktivisten können wir aus praktischen Gründen zu einer einzigen Idealfigur zusammenfassen, die an einem sonnigen Frühlingstag auf die Dachterrasse des Schlosses tritt, um vor der Öffentlichkeit von Flensburg bis Garmisch eine Grundsatzerklärung darüber abzugeben, was sie eigentlich will – und die in diesem Moment merkt, dass ihr das Redemanuskript fehlt. Ihr fällt auch partout nichts auf die Schnelle ein. Manche Leute träumen so etwas.
Nun verhält es sich nicht so, dass gar nichts über das bunte Spruchband des Berliner Leuchtturms am Schloss laufen wird. Vorgesehen sind Texte, auf die alle zurückkommen, wenn sie keinen eigenen haben: Auszüge aus dem Grundgesetz und aus der Menschenrechtserklärung. Wobei der Verfassungswortlaut sorgfältig kuratiert werden muss, denn sein erster Teil besteht bekanntlich aus den Grundrechten, die Abwehrrechte gegenüber dem Staat darstellen. Schon dieser Gedanke gilt in vielen Berlin Mitte-Büros heute als subversiv. Ein Bundestagsabgeordneter der SPD meinte vor kurzem in der Impfungsaufdrängungsdebatte, wer körperliche Unversehrtheit beanspruche, zeige ein vulgäres Freiheitsverständnis.
Artikel 20 nennt außerdem das Volk als Referenzpunkt des ganzen Normengebäudes. Da schlagen die Warnglöckchen gleich reihenweise an.
Die allgemeinen Menschenrechte wiederum besitzen keine universelle und genaugenommen noch nicht einmal eine berlinweite Gültigkeit. In manchen Vierteln der Hauptstadt kann die Vulgärfreiheit, sich den Partner und das Lebensmodell selbst aussuchen zu wollen, tödlich enden, und eine Sozialsenatorin muss dann wieder lang und breit erklären, dass es sich um ein Problem namens Mann ohne weitere kulturelle Spezifika handelt. Aus diesen und weiteren Gründen eignen sich beide Texte nicht so recht als dauerhafte, positive Aussage, hinter der sich die Spruchbandinitiatoren und Friedrich-Wilhelm-Kritiker bedenkenlos versammeln könnten.
Das tonangebende Milieu steht in dem Moment, in dem es eine positive Aussage über die eigene Gesellschaftsvorstellung präsentieren soll, tonlos da. Und darin liegt natürlich auch eine Botschaft, nur eben keine, die sich für ein LED-Spruchband eignet. Diese Botschaft lautet: In der erwachten, erleuchteten Gesellschaft der planierten Vergangenheit und der technokratisch kontrollierten Gegenwart bleibt das intellektuelle Zentrum leer. Sie besitzt kein Credo, keinen intellektuellen Überschuss, keine Begründung in sich selbst. Sie kann weder sich selbst noch anderen erklären, warum sie überhaupt existiert. Es liegt ein dialektischer Witz darin, dass ein Gesellschaftsmodell, in dem Gruppenidentität als höchstes der Gefühle gilt, vor allem eins nicht besitzt: Identität. In seiner Mitte sitzt ein schwarzes Loch, das nach und nach Vergangenheit und Gegenwart einsaugt, Denkmäler, die gestürzt, Straßennamen, die ausgewechselt, literarische Texte, die auf problematische Stellen gefilzt werden müssen, eine Alltagssprache, die zugunsten eines technokratischen, mit unaussprechbaren Sonderzeichen übersäten Soziolekts verschwinden soll. Wie es der Natur dieser Objekte entspricht, nehmen sie an Gewicht zu, je mehr sie in ihr Inneres ziehen. Aber sie können naturgemäß nichts aus sich hervorbringen.
Da jedes Denksystem eine Bezeichnung braucht, selbst dann, wenn es keinen Kern besitzt (und eigentlich gerade dann), schlägt der Autor hier eine vor: Absentismus.
Die klügeren unter den Ideologen der leeren Mitte wussten schon, warum das Schloss am besten gar nicht wiedererstehen sollte. In der FAZ schrieb Niklas Maak: „Reparierte man hier eine zerstörte Stadt und machte sie wieder lebenswert, indem man den alten Stadtgrundriss, die traditionellen Stadträume wiederauferstehen ließ? Oder möbliert hier eine Generation alter weißer Männer die Stadt nach ihrem Geschmack und verbaut dem vielfältigen jungen Berlin seine Freiräume?“
Dumme Frage, natürlich letzteres. Wobei es Maak wie Dorgerloh und den anderen geht: Er kann nicht die Frage beantworten, womit das junge vielfältige Berlin die Wiese an der Schlossbrücke stattdessen hätte möblieren sollen. Mit einem zweiten Potsdamer Platz? Noch einem Ableger der Volksbühne? Am besten wäre natürlich ein Freiraum gewesen, also die leere Fläche. Mit ihrem Gespür lagen die Gegner von Schloss und alten weißen Männern goldrichtig: Nichts hätte ihre Gesellschaftsvorstellung besser zum Ausdruck gebracht als eine Brache im Zentrum Berlins, ein zweites Tempelhofer Feld im Kleinen. Das entspräche so ziemlich genau dem alten Fremdenführerscherz: Sie sehen, dass Sie nichts sehen.
Die gesamte Schlossaufbauhistorie war eine Geschichte gescheiterter Abwehrkämpfe der eigentlich aufsteigenden Absentisten gegen die eigentlich auf der Verliererstraße marschierenden Rekonstruktivisten, und das auch noch in Berlin, Hauptstadt der Absentistenbewegung. Erst ging es den Freiräumern darum, das ganze Schloss zu verhindern, dann wenigsten das Kreuz, dann wenigstens den Bibelspruch. Ganz zum Schluss, also jetzt, müssen die Distanzierungstafel und das Spruchband als letztes Aufgebot ran.
Die Wohlmeinenden können sich damit trösten, dass der Bundestag heute keine Schlossrekonstruktion mehr beschließen würde. Womit sie zweifellos richtig liegen.
Wenn es überhaupt so etwas wie ein allerdings sehr schwaches Eigenmerkmal der globaloffenen, diversen und erwachten Gesellschaft gibt, dann ihre Verlegenheit vor dem Hergebrachten. Alles, was aus der Vergangenheit spricht, stößt die Wohlmeinenden immer wieder darauf, dass sie zwar kulturell und politisch herrschen, aber nichts zu sagen haben. Wo immer es geht, muss das Hergebrachte deshalb fortgeschafft werden, so wie kürzlich das Domspitzenpaar aus dem offiziellen Stadtlogo von Köln. Oder der traditionelle Kulturkanon an angelsächsischen Universitäten. Mittlerweile auch die Religion selbst. In ihrem Osterinterview erklärte die Präses der Evangelischen Kirche Anna-Nicole Heinrich im Deutschlandfunk ihren Plan, Gläubige, die scharenweise fliehen, vielleicht doch noch mit einer Art Schnuppermitgliedschaft aufzuhalten: „Und auf der anderen Seite müssen wir uns auch neu Gedanken machen, wie erlauben wir Leuten teilzuhaben, die sich nicht so fest binden wollen […] wir sind ja in einer Gesellschaft, da ist feste Bindung nicht mehr so richtig en vogue.“
Idealerweise sollen Begriffe für das Traditionelle überhaupt verschwinden. Vor einiger Zeit veranstaltete das Berliner Maxim-Gorki-Theater in seinem Herbstsalon eine „diskursive Intervention“ unter dem Titel „De-Heimatize Belonging“, der ausdrücken sollte, dass der neuen absentistischen Welt nur angehören kann, wer anderswo erfolgreich entheimatet wurde. Finanziert wurde die Veranstaltung von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Was eine Gesellschaft ist und nach dem Willen ihrer führenden Klasse sein will, vermittelt sich nicht nur durch Sprache, sondern auch durch Repräsentationsästhetik. Bei dem Berliner Stadtschloss handelt es sich ohne Frage um einen Repräsentationsbau der preußischen Monarchie. Er stammt aus einer tiefen Vergangenheit, kann aber auch heute noch viel erzählen, weil er über einen reichen ästhetischen Überschuss verfügt. Nur zehn Fahrradminuten davon soll ein neuzeitlicher Berliner Repräsentationsbau entstehen, die Erweiterung des Kanzleramts, noch beschlossen unter Angela Merkel.
Das Gebäude könnte seinem Entwurf nach auch als AOK-Verwaltungszentrale in Gladbach stehen, es besitzt keinerlei Ortsbezug, keine Besonderheiten, keinen Überschuss, nichts, woran sich der Betrachter zehn Sekunden später noch erinnern würde. Kurzum, es handelt sich um eine Art architekturgewordene Merkel- oder Scholz-Rede. An Geldmangel kann es nicht liegen. Der Bau soll laut Planung 630 Millionen Euro kosten. Er repräsentiert also die Ära der gewesenen Kanzlerin und auch ihres Nachfolgers genauso angemessen wie das Schloss die Zeit der preußischen Kurfürsten und Könige. Es ist nicht ganz leicht, für mehr als eine halbe Milliarde gewissermaßen ein Loch hochkant ans Spreeufer zu stellen. Aber das Architektenkollektiv hat diese Aufgabe wunschgemäß gemeistert.
Als sich vor einigen Wochen die stellvertretende Parlamentspräsidentin Katrin Göring-Eckardt in ihrem Büro zusammen mit zwei Autoren ablichten ließ, um mit ihnen die Pläne für einen noch zu bestallenden Parlamentspoeten zu besprechen, fiel etlichen Betrachtern die enorme Hässlichkeit ihres Arbeitszimmers auf: ein mit klobigem Geschirr vollgeramschter Tisch, eine unverkleidete Decke mit Sprinklern, eine schiefe Zimmerpflanze, im Hintergrund drei in gleichem Abstand gehängte Kritzelzeichnungen.
Auch hier scheidet finanzielle Knappheit als Grund aus. Der Betrieb des Bundestages – eines der größten Parlamente der westlichen Welt – kostet pro Jahr gut eine Milliarde Euro. Eine Vizeparlamentspräsidentin kann aus dem Vollen schöpfen, sie könnte sich aus dem Kunstfonds Werke von der Renaissance bis zur Gegenwart für das Büro bestellen, außerdem noch einen Sachverständigen egal welchen Geschlechts, der oder die ihr zeigt, wie man Bilder vernünftig rahmt und hängt, und wie sich ein Raum im Handumdrehen entrümpeln und vermutlich sogar mit kleinerem Budget als vorher vernünftig einrichten lässt. Das Bemerkenswerte an dem Zimmerpalmen-Saftflaschen-Ambiente ist, dass ihre Nutzerin nicht zu wissen scheint, wie ein nichthäßlicher Raum überhaupt aussehen könnte.
Friedrich Wilhelm IV, den viele Historiker heute als reaktionären und beschränken Frömmler zeichnen, holte schon als Kronprinz neben Alexander von Humboldt auch Karl Friedrich Schinkel in seine Abendgesellschaften. Der Monarch bereiste Italien und die Rheinprovinzen, er zeichnete, entwarf einige Denkmäler, nicht übermäßig originell, aber auch nicht ganz schlecht. Sein Kronprinzenpalais Charlottenhof, das Schinkel für ihn schuf (keine völlige Neuerfindung, sondern eine klassizistische Überarbeitung eines Landhauses), gehört zu den besten klassizistischen Bauten rund um Berlin.
Sicherlich zählt er nicht zu den Klügsten auf dem preußischen Thron; an Friedrich II. reicht sowieso kein anderer aus dem Haus Hohenzollern heran. Aber Friedrich Wilhelm IV war mit Sicherheit gebildeter, weltgewandter und auch besser angezogen als jeder Politiker in Berlin heute.
Diesen Mangel, die Leerstelle, den ästhetischen Unterdruck muss Göring-Eckardt gespürt haben, denn ihr Versuch, eine Parlamentspoetin oder -poeten zu installieren, entspringt dem vagen Gefühl, dass eine Gesellschaft – auch diese erwachte und diverse – nicht völlig ohne Sinn und Begründung auskommt. Rein formell würde eine Parlamentspoesieperson vermutlich auf angestammte dichterische Formen zurückgreifen und für die Zukunft einen Sammelband hinterlassen. Ästhetisch wäre der Dichter oder die Dichterin in dieser Umgebung und bei dieser Auswahlkommission natürlich nichts anderes als eine Art sprechende Topfpflanze, die sich irgendwie in den Gesamtramsch dieses Bundestages einfügen würde. Aber die Ahnung der Politikerin, dass sich eine Gesellschaft aus einem völlig leergeräumten Zentrum heraus auf Dauer nicht zusammenhalten kann, sollte man anerkennen.
Dem einen oder anderen im Berliner Betrieb fällt also der Mangel an Sinn, Schönheit und tieferer Begründung auf, der wiederum zu einem weiteren springenden Punkt führt, gerade in diesen Tagen, in denen weiter östlich ein Land um seine Existenz kämpft: Eine Gesellschaft ohne Zentrum und ohne Überlieferung will niemand verteidigen. Wenn es wirklich einmal darum gehen sollte, die eigene Haut, skin in the game, zu Markte zu tragen, dann tut das niemand für ein LED-beleuchtetes Spruchband, über das Textversatzstücke aus der allgemeinen Menschenrechtserklärung huschen. Anders als die Absentisten meinen, fühlen sich auch überhaupt nur wenige durch die Bezeichnung ‘Mensch‘ ausreichend angesprochen. Und in der ganzen Welt ist kaum jemand zuhause. Eigentlich niemand. Viele von denen, die jetzt aus zerbombten ukrainischen Städten in den Westen kommen, wissen, wie es ist, tatsächlich entheimatet zu werden.
Jedenfalls handelt es sich nicht um eine diskursive Intervention.
Die Ethnologen des Humboldt Forums können erklären, was es mit dem Cargo-Kult auf sich hat. Im Zweiten Weltkrieg nutzte die US-Armee mehrere kleine Pazifikinseln als Nachschubbasen; um die Eingeborenen als Helfer zu gewinnen, verteilten die Soldaten großzügig Schokolade, Dosenfleisch und andere Zivilisationsgüter. Nach Kriegsende verschwanden die Flugpisten und damit die Wohltaten. Die Inselbewohner begannen, Rollbahnen, Tower, Radargeräte und Flugzeuge so gut sie konnten aus Bambus nachzubauen, und zwar in Originalgröße, um damit die Flugzeuge und die guten Gaben wieder zu sich zurückzulocken. Man lache nicht zu früh und vor allem nicht an der falschen Stelle. Wenn der Bundespräsident meint, den Zusammenhalt der Gesellschaft dadurch zu fördern, dass er in jeder Rede mehrmals das Wort ‘Zusammenhalt‘ einbauen lässt, bewegt er sich ungefähr auf der gleichen Ebene wie die Insulaner, genauso wie eine Vizeparlamentspräsidentin, die mit der Bestallung eines staatlichen Poeten hofft, wieder etwas in das gesellschaftliche Zentrum zu holen, das über den Tag und die Plenarwoche reicht und irgendwie in die Geschichte eingehen kann. Ein gewisser Witz lässt sich durchaus darin entdecken, dass Steinmeier mit seiner Beschwörungsformel und Göring-Eckardt mit ihrem Poeten unbewusst an Rituale der von ihnen verachteten feudalen Herrscher anknüpfen, und in ihrem magischen Denken an archaische Gesellschaften, denen wir schöne und anregende Objekte verdanken.
Etlichen jüngeren Repräsentanten wird es dagegen in Ihrem leeren Zentrum noch nicht einmal mulmig. Ihnen fehlt dort nichts. Im Gegenteil, sie wissen, dass sie überhaupt nur in diesem Vakuum mangels Widerstand so flott vorankommen. Einige Steuerzahler regten sich neulich auf, weil die Grünen-Vorsitzende und Abgeordnete Ricarda Lang ein Filmchen bei TikTok einstellte, das sie zeigt, wie sie auf dem Gang des Abgeordnetengebäudes ihre neuen Kleider vorführt.
@langricarda Die Aufregung aufs Wochenende und die Wahl des neuen Parteivorstands steigt. Welches Outfit wird es wohl? #grüne #politiktok #foryou #fyp ♬ Do It To It – ACRAZE
In einem anderen Video führt sie eine Art Zappeltanz auf.
Manche fragten, ob so etwas zu den Aufgaben einer Politikerin gehört. Nur: Was sollte sie denn stattdessen tun? Reden?
Dann doch lieber Modenschau.
Lang hat bewiesen, was sie beweisen wollte: nämlich, dass man es auch als bildungsfernes Frettchen an die Staats- und Parteienspitze schaffen kann. Damit ist ihr Projekt abgeschlossen. Karrieren wie ihre gelingen nur in einer Gesellschaft, deren Zentrum leergeräumt ist, deren Sinnzusammenhang verschwunden ist, und die deshalb buchstäblich nicht weiß, welche Widmungssprüche sie auf ihre eigenen Bauten schreiben sollte. Um Goya leicht abzuwandeln: Der Mangel an Ästhetik bringt Gespenster hervor.
In einer absentistischen Gesellschaft funktionieren noch die technischen Abläufe; die Energieversorgung, die Herstellung von Waren, der Bargeldumlauf, der Verkehr. Auch die Technik beruht auf dem Überlieferungszusammenhang, den sich allerdings auch die größten Kritiker des Hergebrachten bisher nicht zu zerschneiden wagen. Irgendwie müssen ja die Mittel für einen Kanzleramtsneubau, den Bundestagsbetrieb, die monatlichen 10 012,89 Euro Grunddiät einer Ricarda Lang, die Fördermittel, eine Konferenz zur Entheimatung und vieles andere finanziert werden. Einen Zusammenbruch bestimmter Grundfunktionen hatte Preußen in seiner Geschichte und später auch Deutschland nach Kriegen öfter erlebt. Es gelang auch deshalb, die Schäden wieder zu beseitigen, weil die Zeitgenossen sich noch an etwas anderem festhalten konnten, an einem Sinn, einer Überwölbung, an dem, was Hans-Georg Gadamer Überlieferungszusammenhang nannte. Im Katastrophenfall lässt sich ein kollabiertes Stromnetz leichter wieder flicken als eine endgültig gesprengte Überlieferung. Vor allem können die Mitglieder des tonangebenden Milieus diese Aufgabe nicht an Techniker delegieren.
Sollten Außerirdische in dieser Gegend landen, würden sie zwangsläufig zu einer überlegenen Spezies gehören, denn sonst hätten sie ihre Reise gar nicht unternehmen können. Sie wüssten also über wirtschaftliche Daten und auch das Entstehungsjahr von Gebäuden sofort Bescheid. Ihnen fiele auf, dass der Wohlstand in ihrem Landungsgebiet zwar über Jahrzehnte und Jahrhunderte immer weiter gestiegen war, namentlich die Staatseinnahmen, gleichzeitig aber die Ästhetik öffentlicher Gebäude von einem bestimmten Zeitpunkt an rapide abnimmt und irgendwann fast ganz verschwindet. Sie würden in Berlin vielleicht auf den Schlüterhof des Stadtschlosses zeigen und die Repräsentanten fragen: „Könnt ihr das erklären?“
Sie würden antworten: „Uns ist schleierhaft, wie das überhaupt wieder aufgebaut werden konnte. Aber wir tun schon, was möglich ist. Wir distanzieren uns davon.“
Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.
27 Kommentare
Original: Bericht aus der Hauptstadt: Friedrich Wilhelm, Außerirdische – und dazwischen Ricarda Lang
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Die Redaktion
Dr. Thomas Veigel
21. April, 2022Ein Gegenvorschlag:
Mann könnte auf alle inkriminierten Inschriften, ob für Straßenzüge oder auf Gebäuden, eine Schutzschicht auftragen, die auch auf Dauer so leicht zu entfernen ist, dass sie das darunter Liegende nicht beschädigt.
Darauf könnte man dann eine Zeitgeistschicht vorbereiten, die ähnlich einem Wechselrahmen erlaubt, den jeweiligen Konsens abzubilden. Dazu geeignet wäre vielleicht eine Grundfläche, die sich besonders gut zur Sichtbarmachung von Lichtspielen eignet.
Dies hätte den Vorteil, dass irgendwann das Original freigelegt werden kann; spätestens durch Archäologen zukünftiger Generationen.
Vereinsamte Staaten
21. April, 2022Lieber Herr Wendt,
danke für diesen meisterlichen, fast hätte ich geschrieben «göttlichen» Text!
–
Wie würde ich den für die Betreff-Zeile einer Mail auf wenige Worte kondensieren, habe ich mich gefragt,
für die Empfehlung Ihres Artikels im Freundeskreis?
«Was ist die wesentliche Aussage des Nihilismus?» – «Nichts!»
«Und was steckt im Vakuum des N ich ts?» – «Das Fehlen eines Ich.»
Something along these lines.
PUH
21. April, 2022Einfach nur … wunderbar.
ToNo
22. April, 2022Dem schließe ich mich voll und ganz an!
B. Wunderer
24. April, 2022Ich sitze hier mit offenem Mund und staune über die schier unfassbare Exzellenz des Autors, über ein Feuerwerk brillanter Gedanken und Formulierungen. Wie hat Alexander Wendt nur dieses hohe geistige Niveau erklimmen können? Etwa in unserem deutschen Schul- und Hochschulsystem oder auf der Journalistenschule? Kann ich mir beides nicht vorstellen. Nebenbei bemerkt schätze ich auch seinen nie versiegenden Humor. Kostproben:
«Ästhetisch wäre der Dichter in dieser Umgebung und bei dieser Auswahlkommission natürlich nichts anderes als eine Art sprechende Topfpflanze, die sich irgendwie in den Gesamtramsch dieses Bundestages einfügen würde.»
Oder: «Dass sich Kulturfunktionäre vom Kern des Christentums distanzieren, strahlt die gleiche intellektuelle Brillanz aus, als würden sie sich kollektiv gegen die Sixtinische Kapelle oder die Bachkantaten erklären.»
Ich wünsche dem Artikel eine weite Verbreitung.
Manfred Müller
21. April, 2022Vielen Dank für diesen Text!
Wenn man die rot grüne Elite um Lang und Kühnert noch lange so weitermachen lässt funktionieren auch Energieversorgung und Kanzleramtsanbau nicht mehr! Die Energiewende ist ja schon eingeleitet, Sonne und Wind sollen den Strom liefern und russisches Gas ersetzen und wenn das nicht reicht müssen alle Pullover tragen…. Und gegessen wird was urban gardening eben so abwirft. …Die Traumtänzer sind eben nicht sinnentleert sondern was sie im Sinn haben ist hirnlos, lebensfremd, wirklichkeitsfremd. Im Zentrum ihres Denkens stehen Gendersternchen und Rassismus Suche und Klimwwahn und alle möglichen Ideen, geboren aus reiner Langeweile. Das zentrale Problem dieser Menschen ist, dass sie nie mit ernsthaften Problemen konfrontiert wurden und sich dehalb gar nicht vorstellen können, dass es ernsthafte Probleme geben könnte.
Albert Schultheis
21. April, 2022Sorgen Sie sich nicht, werter Herr Wendt, das LED-Spruchband des Stadtschlosses wird schon sehr bald einen Identität stiftenden Sinnspruch erhalten, der das geistige und transzendente Vakuum unserer Herrschaftsclique unwideruflich ersetzt, er lautet: Allahu Akbar!
Johanna
21. April, 2022Als ich einige Jahre nach der Wiedervereinigung in meine alte Kinderheimat zurück fuhr, bereiste ich unter anderem die Gegend zwischen Schaalsee und Ostsee. In den Dörfern hatte sich noch wenig verändert. Immer wieder bedrückte mich der Anblick von Plattenbauten, die, auch wenn ein frischer Anstrich sie zierte, eine hoffnungslose Tristesse verströmten. Die kleinen Kirchen dagegen, so schief und baufällig sie oft waren, hatten trotz aller äußeren Verwahrlosung eine ihnen zutiefst innewohnende Schönheit bewahrt. Welche Symbolik, die keiner Worte bedarf!
Alexander Peter
21. April, 2022Sehr bissig und sehr schön.
Aber die «technischen Abläufe» werden ja gerade sukzessive mit zunehmendem Tempo (ohne Limit) «abgewickelt».
Sobald dies «erledigt» ist und das Geld des Steuerzahlers «alle» ist (auch daran arbeiten die Zauberlehrlinge bereits) «isch over».
Die intellektuellen und kulturellen Artefakte aus «Wokistan» dürften überschaubar sein und werden sicherlich auch nicht von jenen Kräften, die «den Laden übernehmen» werden, archiviert.
Für das Kanzleramt wird sich schon eine Verwendung finden lassen.
Albert Dambeck
21. April, 2022Wenn ein Gemeinwesen seine Meta – Ebene aufgibt, wird es nicht mehr lange eines sein.
Frank Danton
21. April, 2022In Berlin ist so ziemlich alles Anti-Ästhetik. Der Dialekt, die Menschen, die Politik, die Ideologie, die Geschichte, das geistige Klima, die Universitäten, das Provinzielle, die Kulturszene, alles in dieser Stadt wiederspricht dem Wahren, Guten und Schöne. Um dem Schloss und seinen Insignien seine Würde zu berauben muß man einzigst die Namen der Bürgermeister der Stadt weithin sichtbar dort anbringen. Momper, Diepgen, Müller. Drei Namen die dafür stehen das jeder Christ, jeder Intellektueller und jeder Kaiser zum Heimatlosen wird.
Joseph
22. April, 2022Merkwürdiger Kommentar. So etwas Flaches hätte ich in diesem Forum nicht erwartet.
Icke
23. April, 2022«Einzigst»artiger Kommentar: Acht Zeilen, sieben Rechtschreibfehler!
Elisabeth Köster
21. April, 2022Eine sehr treffende Analyse! Danke!
A. Iehsenhain
21. April, 2022„In der erwachten, erleuchteten Gesellschaft der planierten Vergangenheit und der technokratisch kontrollierten Gegenwart bleibt das intellektuelle Zentrum leer.“
Für mich ein Kandidat für „Alte und Weise“, wobei genannter Satz wieder einmal nur einen kleinen Teil eines weiteren, feinen Schriftwerks von Meister Alexander Wendt streift.
„Wenn es überhaupt so etwas wie ein allerdings sehr schwaches Eigenmerkmal der globaloffenen, diversen und erwachten Gesellschaft gibt, dann ihre Verlegenheit vor dem Hergebrachten. Alles, was aus der Vergangenheit spricht, stößt die Wohlmeinenden immer wieder darauf, dass sie zwar kulturell und politisch herrschen, aber nichts zu sagen haben.“
Zweiter Kandidat für „Alte und Weise“.
Die Entsprechung zum Osterinterview von Frau Heinrich habe ich schon vor Jahren beim Osterlamm-Bäcker meines Vertrauens erlebt: Während in alter Zeit die Lämmer das Kreuz im Banner trugen, stand später auf selbigem nur noch: „Frohe Ostern“. Die Formulierung „Es ist nicht ganz leicht, für mehr als eine halbe Milliarde gewissermaßen ein Loch hochkant ans Spreeufer zu stellen“ ist für mich dagegen ein Kandidat fürs Reich der Götter. Bei Kathrin Göring-Eckardts Büro haben Sie vielleicht lediglich vergessen, zu erwähnen, dass das Obst aus der Schale genauso aus Plastik ist wie die Leute drum herum. Aber nicht dramatisch – die berechtigte Feststellung „Das Bemerkenswerte an dem Zimmerpalmen-Saftflaschen-Ambiente ist, dass ihre Nutzerin nicht zu wissen scheint, wie ein nichthäßlicher Raum überhaupt aussehen könnte“, entschädigt dafür umso mehr. Göring-Eckardt (schade, dass die Schreibweise des zweiten Nachnamens nicht auf „Eckart“ endet, sonst wäre jegliche Form von nazistischer Toponomastik-Phobie bei den Kunterbunten als Hypochondrie überführt) scheint aber im Vergleich zu ihrer aktuellen Parteichefin erträglicher, selbst wenn der allgemeine Artenschutzgedanke der Grünen sich derzeit auf den hässlichsten Schmetterling der Welt in gefühlter Endlos-Metamorphose beschränkt. Und ob jetzt bei TikTok oder Twitter – der gnädige Vogel erscheint nicht, wahrscheinlich, weil er vorher von einer Windkraftanlage zur Strecke gebracht wurde…
Libkon
21. April, 2022So, so, die junge Generation und die «Aufgewachten» identifizieren sich nicht mit dem neuen Schloss und deren Spruch aus dem Damals, welches ggf. Allgemeingültigkeit haben könnte. Ersatzweise schlage ich vor: «Hier stehe ich (Tor?) und kann nicht anders.»
Wenn man bedenkt, was uns die Regierung nebst Hofpresse so alles zugemutet hat während der «Corona-Odyssee» und wieviel Schaden durch Impfnebenwirkungen nun weltweit zu beklagen sind und niemand in der Regierung und Hofpresse jemals dafür irgendwelche Verantwort übernehmen will oder kann – was soll dieser Generation zu dem zumindest mich überwältigenden Spruch am Dachfirst wohl einfallen? Etwas Einfältiges, vielleicht? Etwas anderes ist kaum zu erwarten.
Chr. Kühn
22. April, 2022Auf das Gezeter über Kreuz und Spruch auf der Schloßkuppel der ehem. evangelischen Kaiser darunter erlaube ich mir als Katholik folgende Retourkutsche ohne Folgen:
Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.
So einfach ist das.
Oskar Krempl
22. April, 2022Beim Lesen dieses wiederum ausgezeichneten Beitrages hatte ich plötzlich ein Heureka-Erlebnis in Form einer Abwandlung der Geschichte von König Midas vermischt mit einem Text von Nietzsche bezüglich des letzten Menschen aus dem Zarathustra:»hüpft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein
Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der letzte
Mensch lebt am längsten.
„Wir haben das Glück erfunden“ — sagen die
letzten Menschen und blinzeln.
Sie haben die Gegenden verlassen, wo es hart
war zu leben: denn man braucht Wärme. Man liebt
noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man
braucht Wärme.
Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen
sündhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der
noch über Steine oder Menschen stolpert!
Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme
Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen
Sterben.
Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unter¬
haltung. Aber man sorgt, dass die Unterhaltung
nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist
zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch
gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.
Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche,
Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in’s
Irrenhaus.
„Ehemals war alle Welt irre“ — sagen die Feinsten
und blinzeln.
Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist:
so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich
noch, aber man versöhnt sich bald — sonst verdirbt
es den Magen.
«.
Vermengt ergibt es für mich den letzten Menschen, der zu nichts anderem mehr in der Lage ist als alles zu verderben. Alles was er berührt wird nicht zu Gold, sondern schlichtweg verdorben bzw. zerstört.
Offensichtlich beschreiben Sie Herr Wendt den letzten Menschen eloquent mit etwas anderen Worten, aber letztendlich ist das Ergebnis gleich.
Berufspessimist
23. April, 2022Meisterhaft. Brilliant. Ein Genuss, es lesen zu dürfen.
Literarisch und kognitiv unmittelbar und direkt auf einer künstlerischen Ebene, welche im Kanon der «Überlieferung des Althergebrachten» einer göttlichen Abstammung verdächtig wäre.
Dies hier ist in seiner konzentrierten, absolut verdichteten Einmaligkeit und Essenz das Äquivalent zu den feinsten Künsten anderer Schaffensfelder:
hätte Monet geschrieben, dies wäre der ebenbürtige Ausdruck seiner Bildgewalt gewesen.
hätte Freddie Mercury seine Bühnenpräsenz und seine gesangliche Performance in Lettern transformiert, dies wäre es, dies wäre 1985, Wembley.
Als Mensch, der die tiefsten Emotionen durch den Genuss von Musik erfährt, kann ich Ihnen nur meinen tiefsten Dank für das Festhalten Ihres brillianten Geistes in dieser Textform übermitteln.
Entwickelt kathartische Wirkung – das Blitzen am nördlichen Firmament in Druckform.
pantau
24. April, 2022Mein Vater ist Organist, einer lobte ihn mal mit den Worten: sie sind der Boris Becker der Orgelkunst. Der Kontakt dünnte aus.
pantau
24. April, 2022«Für diesen Fall bittet er ausdrücklich um Vergebung.»
Gewährt, zumal sich selbst der schwärzeste Pessimismus heutzutage durch die fortschreitende Realität immer wieder als relativer Optimismus herausstellt. Danke für die neuerliche Berichterstattung des Dachschadensstandes BRD. Vielleicht sind ja auch bald die Museen dran und alles wird abgeräumt u. verbrannt und ans die Stelle der Funde und Werke kommen Warnhinweise in Durchhalteparolenform. Ich fass das alles nicht mehr…aber auch Frau Roth oberhalb des Einflussbereichs einer Reinmachefrau fass ich nicht mehr.
Wanninger
24. April, 2022Wenn man alle Brücken hinter sich abgerissen hat und nicht mehr weiß, woher man eigentlich kommt, bleibt halt nur die Unbehaustheit der Leerstelle. Die Einrichtung von KGEs Büro im Bundestag entspricht dem durchaus. Vielen Dank für die Stilanalyse, Herr Wendt. Man könnte sich vorzustellen, dass der «vollgeramschte Tisch» dem Küchentisch in KGEs WG ähnelt, von dem sie einst aufstand, nachdem sie beschlossen hatte, ihr Theologiestudium abzubrechen und in die Politik zu gehen. Gleich kommt die Kulturstaatsministerin Roth, Studienabrecherin der Theaterwissenschaften, in einer ihrer berüchtigten, geschmacklosen Kostümierungen zur Tür herein, um mit der Runde das Problem der Schrift an der Kuppel des Schlosses «auszudiskutieren». So geht Politik!
Bernhard
26. April, 2022Mein Vorschlag für eine allgemeine Inschrift wäre
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Thomas
27. April, 2022Die Narrative der Lügenbrut (Schiller, „An die Freude“)
Rein formell würde eine Parlamentspoesieperson vermutlich auf angestammte dichterische Formen zurückgreifen und für die Zukunft einen Sammelband hinterlassen. Ästhetisch wäre der Dichter oder die Dichterin in dieser Umgebung und bei dieser Auswahlkommission natürlich nichts anderes als eine Art sprechende Topfpflanze, die sich irgendwie in den Gesamtramsch dieses Bundestages einfügen würde. Aber die Ahnung der Politikerin, dass sich eine Gesellschaft aus einem völlig leergeräumten Zentrum heraus auf Dauer nicht zusammenhalten kann, sollte man anerkennen.
Im Allgemeinen schlägt das Herz beim normalen Menschen nicht etwa links, wie beispielsweise beim Herrn Lafontaine, sondern etwas nach links versetzt in der Mitte. Und das Gehirn sitzt gewöhnlich eben auch nicht links. Linke Politik führt in der Praxis zwangsläufig zu vielen Verwerfungen. Experimente gab es da bekanntlich viele. Im Experiment Faschismus fühlen sich Faschisten wohl, im Experiment Sozialismus Sozialisten. Demokraten fühlen sich in der Demokratie wohl. Übrigens nennt sich bekanntlich selbst die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) eine Demokratie.
Und Populisten fühlen sich überall da wohl, wo sie das Sagen haben – wobei sich die Edel-Populisten besonders dadurch auszeichnen, daß sie keine Populistenkonkurrenz neben sich dulden. Den Aufstieg von derlei Edelpopulisten hat Mr. Mounk in den „tagesthemen“ mal trefflich illustriert.
https://www.youtube.com/watch?v=7bqjwvfe4jA
Wenn Populisten vor Populisten warnen und Bürokraten etwas gegen die Bürokratie tun wollen, … Nun, das Wesen der Bewegung und die Tragweite ihres historisch einzigartigen Experimentes ist wohl nur dann wirklich zu erfassen, wenn man erkannt hat, daß genau das Gegenteil von dem richtig ist, was die Speerspitzen der Grünfaschisten aus ihrem politischen Nähkästchen daherplaudern.
Im Grunde geht es für die staunenden Betrachter und Demokraten (West!) wohl darum, ob sie lieber den Dunkel-Populisten (laut den Edel-Populiste) glauben wollen oder den Grünfaschisten. Oder etwa gar keinem mehr? Übrigens plauderte Mr. Mounk Ende September 2015 mit dem Spiegel: “Wir wissen nicht, ob es funktioniert, wir wissen nur, dass es funktionieren muss.” (Der Spiegel, Nr. 40, 2015, S. 126).
Na,
was diese „Wir“ so alles „wissen“, wenn sie im Taumel ihrer Haltung mit ihren Herzen „denken“, die links schlagen, das ist wirklich erstaunlich. Da könnte man Bücher schreiben, die allerdings keiner kauft, weil der Handel das Hausrecht der Bewegung anwendet. Der Wandel wird besonders dort überdeutlich, wenn solche Leute die Macht ergreifen und am Ruder sind. Übrigens hat weder die internationale noch die nationale Sorte des Sozialismus in der Praxis je funktioniert. Kein Wunder, denn Sozialismus kann nur auffressen, was im Kapitalismus vom Tisch fällt. Das Einkaufen und Kochen beherrscht er nämlich auf Dauer systemimmanent nicht. Denn das wäre ja althergebracht (iggittigitt).
Da jedes Denksystem eine Bezeichnung braucht, selbst dann, wenn es keinen Kern besitzt (und eigentlich gerade dann), schlägt der Autor hier eine vor: Absentismus.
Naja. Das bezeichnet die Lage nur dann trefflich beschreiben, wenn man den maßgeblichen Entscheidungsträgern zwar Unfähigkeit, aber im Grunde redliche Motive und guter Willen unterstellt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Absentismus
Hingegen deutet das gegenwärtige, allgemeine und kollektive Besäufnis aus der „Menschenrechts“-Pulle wohl eher auf so eine Art „Absinthismus“ oder „Cannabismus“ hin. Lang oder breit, das ist hier nicht die Frage – bei den Grünen ist es offenbar dasselbe – und daraus soll sich nun eine Sinnstiftung für die Bewohner ableiten lassen, die sich mit Hilfe gesellschaftspolitischer Abrissbirnen ausdrückt (Den Grüns, Roths und Bunts in den Ländern der EU und anderswo), welche mit infantilen Erklärungsversuchen im Buntfunk glänzen („Frauen und Kinder an die Macht“), mit grenzdebiler Unfähig in der Politik herumstolzieren, das Grundgesetz von Feinden des Grundgesetzes (DDR-Demokraten) „schützen“ lassen und die aufkommende Kritik mittels der „Hass“-, „Nazi“- oder „Populisten“waffe (NetzDG, Digital Services Act) staatlich und eu-europaweit bekämpfen lassen. … Au weia. Der Art. 2 (2c) der Europäischen Menschenrechtskonvention lässt aus solchen Heinis grüßen.
https://dejure.org/gesetze/MRK/2.html
Ganz nebenbei, das Christentum ist mit Sicherheit offener für die Welt, als Claudia Roth es je war.
Das stimmt. Und wie!
Natürlich gibt es in jedem Verein solche und solche: „Dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut!“ (Schiller)
Nun, zum Glück können BRD-Demokraten noch die real existierende Opposition im BRD-Lande wählen – und eben nicht die Oppositionsdarsteller und Blockwarte der Bewegung. Fürs Poesiealbum: Bündnis 90/ Die lügen. Sie schmieden neue Bünde. Und Vorzeigegrüne tun das stolz. „Ricardas“ in ihren neuen Kleidern, die sich die Welt machen, widdewidde wie sie ihnen gefällt. Leider tun sie es moralinbesoffen.
Ohne mich. Gute Reise.
Harald
27. April, 2022Grandioser Text! Herr Wendt, ich bewundere Sie!
Jens Richter
28. April, 2022Tucholsky hätte dieses Psychogramm hochgekommener Kleinbürger nicht besser darstellen können: wir machen in unserem Verein nicht nur Klima; Kultur ist auch mit drin.
Sigrun
6. Mai, 2022Hervorragend!
DAS ist für mich Autoren(Handwerks)kunst auf höchstem Niveau! Wenn der Text beim Leser jede Menge Synapsen neu verdrahtet und die Neuronen feuern…
Mein Lieblingslacher war «bildungsfernes Frettchen»…auch dafür Danke:))