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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Das schwarze Loch, in dem die Rationalität des Westens verschwindet

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Ein kalter Rechner wie Putin steht einem Westen gegenüber, in dem gerade eine neue Priesterkaste ihre Herrschaft errichtet, in der Sprechakte mehr zählen als Fakten. Es gibt nur einen nicht ganz unwichtigen Punkt, den die Vertreter des Spätzeit-Westens dabei übersehen

Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 35 min Lesezeit

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Die wahrscheinlich berühmteste Empfehlung Gottfried Benns lautet: «Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.» Ihm wurde oft eine Neigung zum Opaken vorgehalten, zur Innerlichkeit und zum Mythos. Aber an diesen Sätzen Benns fällt eine große Klarsicht auf.

Es scheint, als hätte er erst nach dem typischsten deutschen Gedankenmuster gesucht, um es dann einfach umzudrehen. Wenn es je ein Land des Westens gab, in dem die führenden Politiker und Intellektuellen spätestens seit dem neunzehnten Jahrhundert immer nur mit den Defekten der anderen rechneten und hartnäckig meinten, mit Parolen ließen sich Bestände spielend ersetzen: dann Deutschland. Es war gleichzeitig auch das Land der Rationalität, der Wissenschaft. Aber irgendwann, spätestens mit dem Ende der Bismarckschen Ära behielten die Parolen meist Oberhand über das Rechnen. Damit stand Deutschland innerhalb des Westens damals nicht allein. Heute auch nicht. Die Keime und Blüten des Irrationalen gab es auch immer im Westen. Allerdings lange nur als Gegenspieler des Prinzips, das überhaupt erst den modernen Westen hervorgebracht hatte: die Rationalität. In Jacob Burckhardts „Geschichte der Renaissance in Italien“ lässt sich besser als in den meisten anderen Werken nachlesen, wie sich dort zwei Ideen entfalteten: die Individualität und der rationale Zugriff auf die Welt. Beides machte im Guten und Bösen die Stärke dieses Weltteils aus, auch seine Besonderheit. (Ganz nebenbei, es sieht so aus, als könnten gerade die Italiener bis heute ihre Bestände besser berechnen als andere.)
Das meiste an der Geschichte der speziell westlichen Irrationalität muss dieser kurze Gebrauchstext überspringen. Eine entsprechende Chronik bräuchte mindestens den Umfang von Burckhardts Renaissancegeschichte. Und vielleicht auch seinen Erzähleratem.

Der französische Dekonstruktivismus, seine Mutation im amerikanischen Intellektuellenmilieu und der Reimport dieses parareligiösen Systems nach Europa unter der Handelsmarke Identitätspolitik markiert jedenfalls nicht den Ausgangspunkt, aber mit Sicherheit eine Hauptstation auf dem Rückmarsch des Westens zur Irrationalität und zum Kollektiv.

Nehmen wir als kleinen Gegenwartsausschnitt den Tag, an dem die Armee des durchaus sehr rationalen und mit seinen Beständen kalkulierenden Wladimir Putin westwärts marschierte. An diesem Tag entspann sich beispielsweise auf der Webseite des öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehsenders SRF eine Debatte um den unguten Gehalt des Wortes ‘Brudervolk‘, das der Sender für die historischen Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern verwendet hatte. Intersektionelle Feministinnen halten vermutlich auch vordringende Panzerspitzen für ein Konstrukt. Aber mit dem Begriff, der das Patriarchat der alten weißen Männer unterstützt, überschreitet die Sendeanstalt ihrer Meinung nach nun wirklich eine rote Linie.

Worauf der Sender sofort eilfertig Besserung versprach.
In Berlin bewarf etwa zur gleichen Zeit ein Trupp der Endzeitsekte „Letzte Generation“ die FDP-Zentrale mit Tomaten. Ihr erklärtes Ziel besteht darin, ein nicht näher beschriebenes Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung zu erzwingen; sie glauben fest daran, dass in Deutschland demnächst Nahrungsmittelknappheit und Bürgerkrieg herrschen. Bei einem längeren Blackout könnte das für zentrale Stadtviertel in Berlin tatsächlich zutreffen.

Die FDP-Zentrale bombardierten die Lebensmittelverschwendungsbekämpfer aus dem gehobenen Bürgertum nach eigenen Angaben aus Wut darüber, dass ihre Gespräche mit der Grünen-Politikerin Renate Künast unmittelbar vorher nicht zum gewünschten Ergebnis führten. Die Gemüsewerfer und andere Mitglieder der Bewegung, die sich gerade auf Flughafenzufahrten festkleben, gehören jedenfalls nicht mehr zu den Angehörigen ihrer Generation, die irgendetwas begründen. Das lateinische Ratio bedeutet übrigens Grund. Rationalismus ist Herleitung aus Gründen. Herleitung ist genau das, was Parolen ebenso wenig brauchen wie religiöse Gebote.

Ebenfalls am Einmarschtag in die Ukraine forderte der vor allem in öffentlich-rechtlichen Anstalten als Energieexperte herumgereichte Volker Quaschning, als Bestrafungsmaßnahme gegen Putin den „Expressausbau von Photovoltaik und Windkraft“ mit verdoppeltem Eifer voranzutreiben, um Deutschland schnell unabhängig von Erdgas und Erdöl zu machen.

Auch Quaschning dürfte irgendwann gelesen haben, dass Deutschland seine Primärenergieerzeugung nur zu gut 15 Prozent aus Wind-, Solar- und Pflanzengas deckt, und zu 85 Prozent aus den Quellen, die seiner Meinung nach so schnell wie möglich abgeklemmt werden sollen – und zwar die Quellen, für die Deutschland nicht auf Russland angewiesen ist, als Erstes. Gegen Kernkraft wendet er sich also selbstredend auch; in einem bemerkenswerten Tweet argumentierte er kürzlich, das Problem an Atomkraftwerke sei deren kontinuierliche Stromerzeugung, damit würden sie den wetter- und tageszeitabhängigen Wind- und Sonnenquellen im Weg stehen. Ein nicht nur mit eigenen, sondern sogar mit fremden Beständen rechnender Politiker wie Putin wird seine Freude an Volker Quaschning haben. Er steht ja nicht allein. Seine Lehre ist praktisch deutsche Regierungsdoktrin, die von Wirtschaftsminister, Kanzler und allen alliierten Journalisten verfochten wird. Selbst jetzt erwägt keiner von ihnen, die restlichen drei Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, um die Abhängigkeit von Gas wenigstens nicht noch zu vergrößern.

Allmählich kommt auch der Verdacht auf, die Pattexjugend könnte deshalb so auffallend milde behandelt werden – man erinnert sich noch an die Knüppel-und Pfefferspray-Forderung einer Grünenpolitikerin gegen Leute, die nur im Münchner Stadtzentrum statt in einem Flughafensicherheitsbereich demonstrieren wollten – weil diese Savonarolatruppen sich notfalls auch auf den Zufahrten der Atomkraftwerke fixieren würden, selbst wenn eine andere Koalition deren Weiterbetrieb wagen würde.

Sollte unwahrscheinlicherweise noch einmal die Rationalität gewinnen, dann wird es eine Frage für Historiker sein, wie Regierungspolitiker und Medienschaffende mit professoralem Flankenschutz der Bevölkerung einmal einreden konnten, ein Industrieland ließe sich komplett mit einer wetterabhängigen Energieerzeugung versorgen, ohne dass daraus schwere Verwerfungen folgen.

Immerhin handelt es sich um das Land von Leibniz, Gauß und Einstein. Aber zugestanden, deren Fähigkeiten verhinderten später auch nicht, dass eine ganz andere deutsche Führung meinte, ihr Land könnte gleichzeitig an die Wolga vorstoßen, das britische Empire zerschlagen und die Amerikaner endbesiegen. Ein Zweifel daran hatte seinerzeit Kopflosigkeit zur Folge. Heute ist das der Idealzustand, falls man die deutsche Energiepolitik vernünftig finden will.

Was gab es noch an dem Tag, als die Panzer nach Kiew rollten? Der Bundesjustizminister verteidigte sein neues Gesetz, nach dem jeder in Zukunft sein Geschlecht per Sprechakt festlegen kann. Der Bundesgesundheitsminister erkannte in Putin immerhin einen aufmerksamkeitsökonomischen Konkurrenten. Das Thema der nächsten Talkshows könnte sich ändern, was ihn zu dem emblematischen Politikergedanken trieb: „Und was wird aus mir?“

Auch andere Geschäfte gingen weiter wie gehabt: Eine von öffentlich-rechtlichen und anderen Medien popularisierte Empörungsfachkraft verlangte, Krieg hin oder her, nach der Entfernung eines Beitrags Harald Martensteins und dann von Martenstein selbst aus dem Tagesspiegel weitere Zensurmaßnahmen.

Dem Reiniger ist es nämlich nie rein genug. So lautete schon das Prinzip der Inquisition, die bekanntlich irgendwann der Rationalität zum Opfer fiel, um jetzt leicht modernisiert zurückzukehren.
Kurzum, die ersten Kriegstage gingen in Mitteleuropa mit intersektioneller Sprachkritik, Forderung nach mehr Windrädern, Gemüsewerfen und Dissidentenjagd ziemlich flott herum. Mögen sich die Gasspeicher bedenklich leeren – die Parolenvorräte befinden sich auf einem Höchststand. Und auch an Sprechakten herrscht wirklich kein Mangel.

Es handelt sich wie gesagt um Spätfolgen einer großen und breiten Entwicklung. Der Westen erlebt eine Spätzeit, in der letzte gerade große Abbrucharbeiten an den Resten der Rationalität stattfinden. Zu dieser Zeit, um den Blick einmal über diese Tage hinaus zu erweitern, gehören beispielsweise Lehrkräfte in Oxford, die kürzlich feststellten, in Noten gesetzte Musik seit eine „Komplizenschaft mit weißer Überlegenheit“, und Mozart wie Beethoven im Curriculum stellten eine unzuträgliche Konzentration auf „das weiße Europa der Sklavenhalterzeit“ dar. Dass die Sklavenhalterzeit bis heute anhält – nicht in Europa, aber in vielen muslimischen Ländern – gilt solchen Erwachten selbstredend als Irrlehre. So wie überhaupt jeder Wirklichkeitsbezug. Zu dieser Spätzeit gehören junge bildungsferne und ihrer Mission durchglühte Briten, die in Leeds das Denkmal Königin Victorias mit Parolen beschmierten, in denen behauptet wurde, sie, nachweislich eine entschiedene Gegnerin der Sklaverei, sei in die Sklavenhaltung verwickelt gewesen.

Es gehört die in korrekten Kreisen hoch geschätzte Schauspielerin Whoopi Goldberg dazu, die in ihrer Show „The View“ verkündete, der Holocaust habe nichts mit Rassismus zu tun gehabt: „Das sind zwei weiße Gruppen. Das Problem ist doch, was Menschen einander antun. Alle fressen sich gegenseitig.» In einem Interview mit der New York Times hatte sie einige Zeit vorher erzählt, die Bücher des britischen Autors David Icke hätten ihr tiefe Einsichten beschert (Icke vertritt die Ansicht, die Menschheit werde von außerirdischen Reptilienwesen beherrscht). Als Goldberg – ihr Nachname lautet eigentlich Johnson, seit Jahren tischt sie wechselnde Märchen über ihre angeblichen jüdischen Wurzeln auf – nach ihrer Holocaust-These ein bisschen zurückruderte, stürzten sofort wohlmeinende Journalisten an die Tastaturen, allen voran die der New York Times, und verlangten, die Schauspielerin dürfte jetzt nicht „weiter bestraft“ werden.

In der Neubewertung der Shoa als „white on white crime“, bei weitem nicht nur von Goldberg vertreten, steckt eine Rationalität innerhalb des Irrationalen. Denn die Geschichte des Holocausts steht nun einmal der Großerzählung im Weg, Weiße seien grundsätzlich nur als Täter anzusehen, in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in aller Zukunft. In Deutschland fordert beispielsweise der von öffentlich-rechtlichen Medien hofierte Historiker Jürgen Zimmerer, der Holocaust müsse neu „kontextualisiert“ werden, weil er sonst den Blick auf die deutsche und europäische Kolonialschuld verdecke.

Nicht nur Identitäten, auch Geschichtsschreibung kann in dieser Spät- und Abräumzeit durch Sprechakt rückwirkend geändert werden. Und wer glaubt, wenigstens bestimmte historische Marken seien davon ausgenommen, etwa der Holocaust, der irrt sich gründlich.

Alle Dekonstruierer auf ihren verschiedenen Gebieten gleichen einander in einer Sache: Sie wracken ausschließlich ab. Sie schaffen nichts. Ihre Ideologie ähnelt einem schwarzen Loch, das die Realität einsaugt. Wenn Ratio Grund bedeutet, dann bedeutet Irrationalismus Grundlosigkeit, Bodenlosigkeit. Oder, um Hannah Arendts Begriff zu gebrauchen, Weltlosigkeit, ein Zustand, den sie als Verlust der gemeinsamen Bezugssysteme definierte. In einer grundlosen Welt finden einzelne Begriffe keinen Halt mehr.
Figuren wie Greta Thunberg, die nach dem Zeugnis ihrer Mutter CO2-Moleküle sehen kann, wie die Bildungskanonbekämpfer an angelsächsischen Universitäten, die Klebkinder auf Deutschlands Straßen, wie deutsche Politiker, die per Sprechakt die Energieversorgung für sicher erklären – diese Phänotypen samt ihrem medialem Begleitschutz sind historisch keine neuen Erscheinungen. Neu ist, dass diese wahnhafte_ Chattering Class_ im Zentrum der Gesellschaft steht, dass sie ihre Richtung bestimmt, und Leute, die es besser wissen müssten, sich ihr unterwerfen.

Aus Perspektive dieser Klasse wirkt Rationalität wie eine Geistesstörung. Und auch hier liegt eine Rationalität innerhalb des Wahns, wenn sie die westliche Tradition frontal angreifen, weil sie sehr wohl sehen, wie eng westliche Tradition und Rationalität zusammenhängen.

Ob es nun um Geschichtsumschreibung, magische Sprechakte, die Vergötzung einer Molekülseherin oder die Endzeitfantasien samt ihren Kinderarmeen geht – all diese Linien laufen zu einer innerweltlichen Religion zusammen, die sich von klassischen Religionen vor allem durch ihren völligen Spiritualitätsmangel unterscheidet. Im Zentrum dieser Parareligion steht das Betteln um eine Totalität, die ihre Anhänger endlich von den Zumutungen der Rationalität erlösen soll. Denn es kann eine Qual sein, die eigenen Bestände tatsächlich inspizieren zu müssen.

An dem laufenden Großversuch, die Realität durch Parolen zu überwältigen, beteiligt sich niemand außerhalb des Westens.
In Putins Moskau steht das Rechnen mit den eigenen Beständen nicht in Frage. In China ebenfalls nicht. Auch die Afrikaner, die sich nach Europa aufmachen, handeln durchaus rational.

In diesen Tagen, in denen die militärische Hardware Fakten schafft, scheint eine gründlich verdrängte Frage zumindest ganz kurz auf: Die neue Priesterkaste kann ihre Abräumarbeit möglicherweise ganz zu Ende führen. Aber es wird sich niemand finden, der bereit ist, die auf diese Weise geschaffene Welt gegen äußere Gegner zu verteidigen. Sie selbst können es nicht. Und die es theoretisch könnten, stehen bei allen Erleuchteten im späten Westen ganz oben auf der Feindesliste.

Unter allen Beständen und Nichtbeständen, die sie ignorieren, macht das möglicherweise den wichtigste Posten aus: Jenseits der Parolen verfügen sie über keine Prätorianergarde, die ganz wortwörtlich und nicht nur im Sprechakt die Haut für sie riskieren würde.
Wenn es so kommt, dann liegt darin natürlich keine Hoffnung. Aber ein wenig langsame mahlende Gerechtigkeit.

Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

31 Kommentare
  • Christoph Nielen
    26. Februar, 2022

    Herzlichen Glückwunsch.
    Die bisher beste Analyse, die im Rahmen dieser Katastrophe veröffentlicht wurde.

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  • Claudia
    26. Februar, 2022

    «Wenn es je ein Land des Westens gab, in dem die führenden Politiker und Intellektuellen spätestens seit dem neunzehnten Jahrhundert immer nur mit den Defekten der anderen rechneten und hartnäckig meinten, mit Parolen ließen sich Bestände spielend ersetzen: dann Deutschland.»

    Deutschland vor dem zweiten Weltkrieg ein Land des Westens?

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  • Volker
    26. Februar, 2022

    Lieber Herr Wendt,
    zu dem Tweet von Quatschning hätt ich mir eine Abbildung gewünscht – ich twittere selber nämlich nicht und schätze Ihre Quellendokumentationen.
    Übrigens gibt dieser «Energieexperte» und Professor Quatschning den Sprachwandlern Hoffnung, daß es in so etwa 60 Jahren auch mit den Gender-Star*innen klappen könnte. Vor sechzig Jahren hieß der phrasendreschende Agitproprofessor noch Quatschnie (oder Quatschnich? Man kannte ihn ja nur aus dem hörverbotenen RIAS), aber er war auch nur eine Kabarettfigur bei den «Insulanern» – ins reale Leben und an eine Berliner Hochschule sind solche Leute wohl erst nach dem Rinderwahnsinn gelangt…
    Salute aus Ihrer frühen Wirkungsstätte Leipzig! V.S.

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  • hans
    26. Februar, 2022

    Ich stimme der Analyse teilweise zu, soweit es Europa und Nordamerika betrifft («der Westen»). Bzgl. Putin aber nicht. Der ruiniert sein Land, das er doch gerne groß und mächtig haben will. Was geht Positives von Rußland aus? In der Politik Krieg und Installation von Verbrecherkleinstaaten, im Sport Staatsdoping, in der Wirtschaft die Leistung Italiens, im Handel Bodenschätze. Ein Entwicklunsgland. Gut, er hat einen Vorteil: Eine direkte Landesgrenze zu China. Da kann man grenzenlos Hightech kaufen.

    Ich sehe keine Bemühungen um die Aktivierung seiner wahrlich nicht dummen Landsleute, denn die könnten dabei auf umstürzlerische Ideen kommen. Kein Wunder, daß sich Brudervölker abwenden.

    Wenn er den Krieg gegen die Ukraine gewinnen wird, wird es schlimmer werden, weil als Bestätigung gewertet. Verliert er den Krieg, dann wird er behaupten gewonnen zu haben, denn es war ja nur «eine kleine Militäroperation». Doch die Ukraine wird systematisch zerstört.

    Armer Putin. Napoleon hätte einen interessanten Gegner gehabt.

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  • Manfred Schütz
    26. Februar, 2022

    Es sollte sich von selbst verstehen, dass auch Alexander Wendt nicht zu jedem Thema etwas Erhellendes schreiben kann. Alles andere wäre übermenschlich. Aber warum nicht ein Gastbeitrag von einem Russlandexperten? Es ist Krieg und in woken Kreisen echauffiert man sich über den Ausdruck «Brudervolk». Ok… Es ist Krieg und auf Publico echauffiert man sich über diejenigen, die sich über den Ausdruck «Brudervolk» echauffieren… Beides ist gerade Zeitverschwendung.

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    • Peter Thomas
      27. Februar, 2022

      Der Artikel handelt davon, wie sich ein ganzer Kulturkreis von der VERNUNFT abwendet und damit geradewegs in den Untergang marschiert. (Das Uncoole daran ist, daß es sich um unseren eigenen Kulturkreis und damit auch um unseren eigenen Untergang handelt.) Für mich gehört der Artikel zum Besten, was ich von A. Wendt gelesen habe. Leider ist der Text geeignet, den Sonntag zu verderben und den Rosenmontag noch dazu. R. P. Sieferle hat sich womöglich deshalb das Leben genommen, weil er zur selben Diagnose gelangte. Er nannte den Vorgang «Autogenozid».

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      • alacran
        2. März, 2022

        Ich kann Ihnen nur zustimmen. Es geschieht genau das, was Alain Finkielkraut in seinem Werk «Die Undankbarkeit» beschreibt; eine in Orientierungslosigkeit zerfallende Gesellschaft , die gleichzeitig in maßlosen Hypermoralismus und kleinlichen Autoritarismus ausufert und ausfasert!
        Ein Jammer, dass Roger Scrutons Polemik gegen das Geschwätz der dekonstruktivistischen «neuen Linken», die den intellektuellen Überbau für die herrschende Unvernunft bereitgestellt haben, «Fools Frauds and Firebrands», nie ins Deutsche übersetzt wurde.

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    • ToNo
      27. Februar, 2022

      Es ist schon länger in der Welt Krieg. Soll deshalb nur zu den Kriegen in der Welt geschrieben werden? Würden die Kriege dadurch aufhören?Warum ist es Zeitverschwendung, die eigenen Schwächen zu benennen? Mit den Vorgängen in der Ukraine hören die älteren Probleme in Deutschland und dem Westen insgesamt, meine Probleme, hier doch nicht auf. Und diese Schwächen, die mangelnden Bestände also, führen dazu, dass wir selbst schutzlos sind, wenn es zur Eskalation kommen sollte. Das muss man sich klar vor Augen führen. Warum sollte hier ein Russlandexperte (wäre gespannt, welche Art davon gemeint ist) zu Wort kommen, wo es im Artikel doch nicht um Russland geht?

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  • A. Iehsenhain
    26. Februar, 2022

    Die «Letzte Generation» protestiert gegen Lebensmittelverschwendung und wirft deswegen mit Tomaten. Kommentar eigentlich überflüssig! Aber am ehesten erinnert das noch an Monty Pythons „Crackpot Religions Ltd.“, wo u. a. John Lennon (Eric Idle) verkündet: „I’m starting a war for peace“. Auf die „Pattexjugend“ kann eigentlich nur Herr Wendt kommen, dessen Meisterschaft in der Erklärung jener globalen Dilemmas weiter ungebrochen ist. Mit dem letzten Absatz des hiesigen Textes werde ich irgendwie an die Münsteraner Wiedertäufer erinnert, die ihren Anhängern auch Honig von glücklichen Bienen aus dem Garten Eden versprachen, dafür aber erst mal eine Anzahlung bis aufs letzte Hemd verlangten. Wie man weiß, endeten sie später u. a. in Käfigen am Turm der Lambertikirche (deren Inneres aber immerhin ein schönes Beispiel einer westfälischen Hallenkirche aus der Zeit der Gotik darstellt).

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  • M.Faust
    26. Februar, 2022

    Sehr geehrter Herr Wendt, es ist jedesmal ein Hochgenuß, ihre Texte lesen zu dürfen. Sich der vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache so kunstvoll bedienen zu können und dabei scharfsinnig treffsicher zu bleiben, ist nur wenigen Journalisten vergönnt. Umso wehmütiger stimmt es mich, dass diese Schreibkunst durch die allseits um sich greifende Ideologisierung immer seltener zu lesen sein wird. Ist sie doch die Ausdrucksweise des zum Bösen deklarierten alten weißen Mannes. Dieser zum ultimativen Feindbild erklärte Typus könnte die heranwachsende Generation über ihre zahlreichen Verirrungen aufklären und der voranschreitenden Zerstörung Einhalt gebieten helfen, wenn man ihm denn zuhören dürfte. Ich habe wenig Hoffnung, dass es gelingen könnte, diesem geplanten Untergang Einhalt zu gebieten. Dazu sind die Kräfte der allseitigen Indoktrination zu mächtig. So werde ich mich in Fatalismus üben und die Lichtblicke des Journalismus aus Ihrer Feder als schmerzhafte Schilderung des Irrsins in seiner schönsten Form betrachten. Mein Dank sei Ihnen gewiß. M.Faust

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  • andyKim
    26. Februar, 2022

    Sehr geehrter Herr Wendt,
    ich muß zugeben, daß Ihre Texte mich oft überfordern. Aber dieser kommt genau auf den Punkt. Danke dafür.

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  • eloxer
    26. Februar, 2022

    Sehr geehrter Herr Wendt,

    es freut mich, dass in der aktuellen Journalismuswüste es doch noch Leute wie Sie gibt, die dem Anspruch an diesen Berufsstand gerecht werden.

    Weiter so und danke!

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  • Sam
    27. Februar, 2022

    Die letzte (bio-)deutsche Generation, das finde ich nicht so schlecht.

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  • Hartmut Amann, Freiburg
    27. Februar, 2022

    Bevor ich die Kommentare las, wollte ich schreiben, dieser Artikel bringt es unwidersprechlich auf den Punkt.
    Aber siehe da, fast mehr Wider- als Zuspruch. Das erstaunt mich.
    Wenn ich dann aber Für und wider inhaltlich werte, erscheint mir die Zustimmung doch über jeden Verdacht* erhaben.
    Ich hatte, bevor ich den Artikel las, gerade selbst zum Thema etwas geschrieben, und fand dann meine Überlegungen durch die von Wendt bestätigt.
    Seine schienen telepathisch meine befruchtet.

    Das erfüllt mich mit großer Befriedigung. Nicht auf dem Holzweg zu sein, und den Überblick auch in emotional aufgewühlten Zeiten nicht zu verlieren, gibt ein gutes Gefühl.
    Wiederum, aus lauter schönen Gefühlen den Kopf nicht zu verlieren, darauf muss ich achten. Sonst ergeht es mir wie den missratenen Weibern, über die ich geschrieben.
    Ob es angeht, dies hier einzufügen? Eine ganze Word-Datei?
    Soll ich´s versuchen?
    Nein, ich weiß
    es nicht.

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  • Hartmut Amann, Freiburg
    27. Februar, 2022

    Den lobenden Kommentar von Christoph Nielen möchte ich vervielfachen und bestätigen seine Beurteilung des Artikels als überragend gut. D.h., im wesentlichen alles erklärend.

    Das tut sehr gut, in schlechten Zeiten.

    Die Lage nicht mehr zu verstehen, den Überblick zu verlieren, ist das schlimmste, was einem passieren kann.

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  • A.S.
    27. Februar, 2022

    Brillanter Text, der deutlich macht, warum Putin die Ukraine angreifen konnte, nachdem er seine Bestände und die seiner Gegner erkannt hatte.

    Die eigentliche strategische Katastrophe wird dabei noch nicht einmal erwähnt. Um im Westen handeln zu können, musste Russland im Osten Sicherheit haben.

    Das heißt: Russland hat sich mit China geeinigt.

    Und diese Einigung besteht sicher nicht nur aus gesteigerten Gaslieferungen an Chinas nimmersatte Wirtschaft, die Putin zu Beginn der Winterspiele unlängst in Peking verkündete.

    Wir werden noch ganz andere Lektionen in Geopolitik bekommen in der nicht allzu fernen Zukunft, das scheint mir gewiss.

    Falls es wirklich die einzige Konstante der angelsächsischen Außenpolitik über Jahrzehnte gewesen sein soll, eine eurasische Allianz (zwischen Deutschland und Russland) zu verhindern, ist diese Strategie obsolet. Man hat – sehr wahrscheinlich – eine eurasische Allianz zwischen Russland und China geschaffen.

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    • Jochen Schmidt
      27. Februar, 2022

      Sehr interessante Überlegungen zur Geo-Strategie von Ihnen.

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    • Frogorek
      1. März, 2022

      Exakt diese Ansicht vertrete ich schon seit Jahren. In allen Diskussionen mit Freunden habe ich stets auf die Gefahr einer Zuwendung der Russen zu China hingewiesen. Leider sind diese Gedanken nicht auf fruchtbaren Boden gefallen, da dies eine zu weit in der Zukunft liegende Gefahr und irgendwie irreal war. Jetzt ist Russland de facto ein Vasallenstaat der Chinesen geworden und langfristig empfehle ich Mandarin und Wohlverhalten (Social Credits) zu lernen.
      Die Abwendung vom Westen (fehlende Dividende) und die Zuwendung zum Osten hat man ab 2014 deutlich sehen können.
      Rückblickend muss man konstatieren, dass das für den Westen irrationale Verhalten Putins doch einer inneren schlüssigen Logik und vor allem einer langfristigen Strategie folgt. Etwas was wir leider nicht mehr können…

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  • Zabka
    27. Februar, 2022

    Und noch ein Zitat von Gottfried Benn, dem Klarsichtigen:

    „Das Abendland geht nicht an den totalitären Systemen zugrunde, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten.“

    Aktueller denn je, siehe auch Harald Martenstein heute in der „Welt am Sonntag“, das Schlimmste, schreibt er, „ist dieses Gefühl, in Zukunft niemandem in der Branche mehr trauen zu können, auch den Besten nicht“.

    Selbst jetzt erwägt keiner von ihnen, die restlichen drei Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, um die Abhängigkeit von Gas wenigstens nicht noch zu vergrößern.

    Weil man Kernkraftwerke nicht „wie Lampen an- und ausknipsen kann“, sagt der Kernenergetiker Manfred Haferburg, warum das so ist, erläutert er hier, ab Minute 12:10:

    https://www.tichyseinblick.de/video/tichys-ausblick/energiekrise-haferburg-ruprecht-lengsfeld/

    Auch die Energiekonzerne winken ab, der AKW-Weiterbetrieb „über den gesetzlichen Endtermin 2022 hinaus ist für uns kein Thema“, sagt man bei Eon, der Gesetzgeber habe „vor Jahren entschieden, dass Kernkraft in Deutschland keine Zukunft hat“. RWE ergänzt: „Kurzfristig wäre es gar nicht möglich, die Kernkraftwerke wieder hochzufahren.“ Götz Ruprecht, der Kernphysiker an Tichys Tisch, ist mit seinem „Dual Fluid“-Reaktor nach Kanada ausgewandert.

    Wir dürfen im Übrigen gespannt sein, was „der Branche» noch einfällt, um den Springer-Verlag und seinen neuen Autor Martenstein zu diskreditieren.

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  • Martin Wolff
    28. Februar, 2022

    Woran liegt es, dass ausgerechnet diese destruktive Eigenschaft, das Irrationale, das Weltferne, sich so sehr in Deutschland halten kann? Vieles hat sich verändert, beispielsweise die Haltung zur Leistungsgesellschaft. Ich habe gelesen, dass jetzt etwa 50% der Jugend eine Beamtenkarriere anstrebt.
    Hannah Arendt schrieb 1950 über die Deutschen in ihrem Land: » Dieser allgemeine Gefühlsmangel […] ist jedoch nur das auffälligtse äußere Symptom einer tief verwurzelten hartnäckigen und gelegentlich brutalen Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen und damit abzufinden. » Und an einer anderen Stelle schreibt sie, die Deutschen würden mit Tatsachen umgehen, als handle es sich bloß um Meinungen.

    Momentan denke ich, dies ist eine Folge der Tatsache, dass der (christliche) Glaube im Westen allgemein aber vor allem in Deutschland auf dem Rückzug ist.

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    • Claudia
      1. März, 2022

      Kann man wirklich sagen, dass ein ganzes Volk bestimmte Eigenschaften hat? Aktuell möchte man das tatsächlich glauben: Denunziantentum und Egozentrik sind wieder da. Letzteres kann man wunderbar an dem Beispiel illustrieren, dass zwar der globale CO2-Ausstoß stark wächst, aber in Europa sinkt (das «tatsächliche Geschehen», siehe Grafik in Nature-Beitrag https://www.nature.com/articles/d41586-021-03036-x): Selbst wenn der deutsche Ausstoß auf Null sinkt, steigt die CO2-Kurve weiter an. Trotzdem kann man in wundersamer Realitätsentrückung dem deutschen Michl die höchsten Energiepreise der Welt aufbürden, und er glaubt auch noch, dass sein Opfer etwas bewirken wird. Vielleicht steckt in dem Glauben an die Wirksamkeit «des Opfers» ein religiöses Element, das dann selbstredend von der nüchternen Tatsachenwelt abgekoppelt ist. Es würde vermutlich der Volks-Rationalität gut tun, in den Schulen empirisch-statistisches Denken zu vermitteln, so wie es im angelsächsischen Raum üblich ist (dort lernen schon Kinder, wie man Wahrscheinlichkeiten für vorliegende Datenmuster ausrechnet).

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    • Leonore
      4. März, 2022

      @Martin Wolff:

      Zum letzten Satz Ihres Kommentars: Die Verdunstung des christlichen Glaubens halte ich für die Ursache praktisch aller negativen Entwicklungen in Europa und – wie sie vor allem in Deutschland.

      Zu Hanna Arendts Ansichten über die Ursachen des von ihr festgestellten allgemeinen Gefühlsmangels: Einem Volk, das jahrelang mit einem Bombenterror überzogen wurde, das Kinder, Mütter, Alte (auch die eigenen …) hat in Trümmern umkommen, oft bei lebendigem Leibe verbrennen sehen müssen, einem Volk, von dem 12 – 14 Millionen unter meist grauenhaften Umständen (2 Millionen kamen dabei um) aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, die dann unter den Ausgebombten Obdach suchen mußten (das Gesetz zum «Lastenausgleich» kam erst 7 Jahre später, nämlich 1952), einem Volk, das dann auch noch den Schock der Information über den Holocaust erlitt – einem Volk in dieser akut traumatisierten Phase einen «allgemeinen Gefühlsmangel» zum Vorwurf zu machen, stellt in meinen Augen ebenfalls einen allgemeinen Gefühls- bzw. Empathiemangel dar.

      Daß es fast unmöglich war, das Leid als deutscher Vertriebener, dem Bombenterror Ausgesetzter etc. zu beklagen und zu betrauern, weil sofort der Vorwurf kam, man wolle sich wohl «vom Täter zum Opfer machen» oder «aufrechnen», hat die Verdrängung von Gefühlen, die von Arendt wahrgenommene «Unfähigkeit zu trauern» der Traumatisierten zusätzlich noch gefördert. Natürlich auch die blanke Not und die Notwendigkeit, irgendwie zu überleben und die Kinder zu versorgen. Ein solches «Funktionieren» in Katastrophen verträgt sich schlecht mit Begreifen, Betrauern und Bereuen.

      Vielleicht lesen Sie mal Sabine Bodes «Die vergessene Generation». Ganz besonders die einleitenden Worte, in denen u.a. ein Schweizer Psychotherapeut zitiert wird, der offensichtlich meint, sich dafür rechtfertigen zu müssen, daß er einen alten Menschen mit Depressionen und Angststörungen zur Therapie angenommen hat, obwohl der doch ein Deutscher ist. Daß dieser mittlerweile alte Deutsche im 2. WK noch ein Kind war, scheint also selbst unter PSYCHOTHERAPEUTEN nicht automatisch den Vorwurf, «Nazi-Deutscher» zu sein, abzuwenden. Was Fragen aufwerfen könnte, die ganz bestimmt als politisch inkorrekt gelten würden.

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      • Peter Thomas
        4. März, 2022

        An Leonore: Die Bedeutsamkeit Ihrer Einwände kann m.E. überhaupt nicht genug gewürdigt werden. Die Genozide an den Deutschen im und nach dem 2. Weltkrieg sind tabu (Bombenterror, Vertreibungen, Lager und Verschleppungen). Je länger der Hitlerstaat zurückliegt, umso stärker, umso perverser wird das Tabu. In Dresden hüpfen barbusige (und hirnfreie) Maiden umher und singen «Bomber Harris, do it again!» Auch 2022 wird dort wieder ein Denkmal für die Bombenopfer geschändet.

        Mutmaßungen zum seelischen Erleben von Völkern sind zwangsläufig spekulativ. Das gilt ebenso für Analogieschlüsse, die sich mit der Therapie individueller und kollektiver Traumata befassen. Zwingend jedoch erscheint mir 1.) die Beschreibung (des Unbeschreiblichen), 2.) Raum für Entsetzen und Trauer über das Geschehene und 3.) die Erneuerung der (eigentlich frühkindlichen) Schutzerfahrung, oder wenigstens die Tröstung des Opfers und die Legitimierung der Fortexistenz.

        Das ist aber schon in der individuellen Therapie nicht immer möglich –

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    • Martin Wolff
      5. März, 2022

      @Leonore und Peter Thomas:

      Die Minderheit waren Vertriebene. Denen billige ich das, was Sie schreiben auch zu. Aber was ist mit all den anderen? Wo war nach dem Krieg die Wut über die Nazis, über die Hundertfünfzigprozentigen? Gerade wegen der Bomben! Ein Beispiel: In Frankreich hat man den Frauen, die mit den deutschen Soldaten zusammenwaren nach Ende der Besatzung den Kopf kahlgeschoren. Warum hat Beate Klarsfeld erst 1968 Herrn Kiesinger geohrfeigt? Und auch das eher eingebettet in eine politische Aktion? Ich verstehe, wenn jemand 1945 sagte «ich hatte Angst, ich mußte Frau & Kinder ernähren, ich habe die Klappe gehalten». Aber danach? Stattdessen gab es dann immer mal wieder prominente Schau-Opfer wie z.B. Werner Höfer, dem man mit einem Mitläufer-Zeitungsartikel die Karriere beendet hat.

      Je länger es dauert, desto misstrauischer gegenüber den Deutschen werde ich. Ideal für eine Diktatur geeignet. Die machen alles mit. Schauen Sie: da wird der russische Dirigent «mutig» vom münchener Bürgermeister aufgefordert sich von Putin zu distanzieren. Vor zwei Wochen war’s ihm noch egal.

      PS: «Die Unfähigkeit zu trauern» ist nicht von H. Arendt sondern von Alexander und Margarete Mitscherlich beschrieben worden.

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      • Peter Thomas
        7. März, 2022

        An Martin Wolff: Wie auch Sie vermute ich, daß der moralische und kulturelle Zerfall des Westens eine Folge der Abkehr vom Christentum ist. Die Menschen verwarfen in ihrer Hybris, was ihnen Halt und Wegweisung gab – und sie erkennen bis jetzt noch nicht, was sie sich stattdessen eingehandelt haben (u.a. die Lehren der GröKaz und der Grünen Khmer).

        Warum die Deutschen 1945 nicht wütend auf Hitler waren? Kann ich mir ausmalen: Ein Mensch, der Monate in Todesangst lebte, der x-mal traumatisierte wurde, geschlagen, verhöhnt, vergewaltigt, geröstet, verwundet, vertrieben, dessen Liebste verreckt sind oder verschollen, ein Mensch der hungert und friert und eitert und fiebert: woher sollte der denn die Kraft für eine Wut haben? Und wozu auch?

        Die Mitscherlichs waren Aushängeschilder für das «gebesserte, das demokratisierte» Deutschland. Sie haben sicher ihre Verdienste. «Die Unfähigkeit zu trauern» aber ist – zumindest in der Rezeption – ein gigantischer Bluff. Indem ich den Deutschen vorhalte, die Untaten der Nazis nicht (genügend) betrauern zu können, zementiere ich die Zuschreibung «Tätervolk», «auserwählt böses Volk» etc. Wir sind hier im Bereich der großen Hirnwaschmaschine der Siegermächte. Tatsächlich sorgten diese für ein umfassendes «Verbot zu trauern»: das Eigene durfte nicht betrauert werden, die unendlichen Verluste, die unendlichen Schmerzen durften nicht benannt werden und dürfen es bis heute nicht. (Ein Haupthindernis für eine Heilung.)

        Und übrigens: Die Psychoanalytiker setzen sich gerne mal aufs hohe Roß. Wegen ihrer «Unangreifbarkeit» rechnete Karl Popper sie zu den Feinden der offenen Gesellschaft.

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  • Roland Jungnitsch
    28. Februar, 2022

    «Die neue Priesterkaste kann ihre Abräumarbeit vollenden, es ist aber niemand mehr da, der sie gegen äußere Feinde verteidigt?» Und was ist, wenn genau das der Grund für die derzeitigen Zustände im Westen ist, und zwar nur im Westen? Da ist eine riesige Nation, mit mehr Einwohnern als Europa, die USA, Kanada und Rußland zusammen, die keinen Hehl daraus macht, wirtschaftlich und militärisch die Weltherrschaft anzustreben. Sie wird geführt von einer skrupellosen, machtbesessenen kommunistischen Partei und wie wir von der STASI wissen, sind diese Kommunisten Meister der Zersetzung und Dekonstruktion. Es spart eine Menge Geld und Waffen, die Gesellschaften dieser westlichen Konkurrenten von innen zu zersetzen und sie durch deren eigene Zerrissenheit sturmreif zu bekommen, nachdem sie sich selbst zerstört haben. Wie sowas funktioniert hat uns Kuweit vor dem 2. Golfkrieg gezeigt, das PR-Agenturen, NGOs und Think Tanks bezahlte, um mit gefälschten Pressekonferenzen und Zeugenaussagen die amerikanische Gesellschaft vom Kriegseintritt gegen den Irak zu überzeugen. Im Fall Chinas kommt noch hinzu, daß sie auch großzügige Spenden an westliche Universitäten verteilen und mit ihren Instituten großen Einfluß auf sie nehmen. Jüngste Beispiele aus den USA, GB und Australien zeigen, daß sie auch gerne westliche (zumeist progressive) Politiker und Wissenschaftler in ihre Spendenliste aufnehmen. Auch unsere Medien dürften sich an der Großzügigkeit Chinas erfreuen und fröhlich mitspielen. So blöd können die alle nicht sein, da muß schon Absicht hinter stecken!

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  • Oskar Krempl
    28. Februar, 2022

    Sehr geehrter Herr Wendt,

    wir leben tatsächlich in einer Endzeit. Unser Kulturkreis geht zugrunde in einem Meer von Dummheit und Ignoranz, aber das helle Licht ihrer schriftstellerischen Tätigkeit vermittelt einen sanften Trost, nobel geht die Welt zugrunde.

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  • Jens Richter
    28. Februar, 2022

    Im Westen wächst die dritte entbehrungsfreie Generation heran. Es ist interessant und bestürzend, dass so viele Menschen im Schlaraffenland nicht zufrieden sind, sondern irre werden. Die erste Nachkriegsgeneration hatte noch eine Verbindung zu Entbehrungen durch die Erzählungen der Eltern, eine Erfahrung immerhin aus zweiter Hand. Später waren diese Fäden auch zerschnitten, die völlige Entbehrungslosigkeit wurde nicht als fragiler, sondern ewiger Zustand angenommen. Die Zeit des Scheinproblemewälzens brach an, die erst schlagartig (sic!) enden wird, wenn die Wirklichkeit an die Tür klopft, den Strom abschaltet oder gar ein paar Bomben auf die Bioläden wirft. Erst dann wird die Ratio wieder hoch im Kurs stehen. Vorher nicht.

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Original: Das schwarze Loch, in dem die Rationalität des Westens verschwindet

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