Das Höhere Wesen sagt uns, was zu tun ist
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Forschungsergebnisse zu Corona und Klima seien „zu Recht nicht diskutierbar“, meint die Zeit. Ein Hybridwesen aus Wissenschaft und Religion wünschen sich viele – selbstverständlich nur, wenn es die richtigen Botschaften verkündet
Von Alexander Wendt / / medien-kritik / 37 min Lesezeit
Am 16. Februar 2021 schickte die Reaktion der Zeit eine Twitterbotschaft in die Welt, um einen Text ihres Mitarbeiters Johannes Schneider über Corona und Wissenschaft zu bewerben:
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie @beyond_ideology, @c_drosten und BrinkmannLab beharren zu Recht darauf, dass Forschungsergebnisse nicht diskutierbar sind, schreibt @joausdo.“
Für ein Blatt, in dem einmal der großartige Dieter E. Zimmer über Wissenschaftsthemen schrieb, markiert das eine neue Schwundstufe. Niemand muss zu der Frage der Diskutierbarkeit von Wissenschaftsaussagen unbedingt Karl Popper bemühen, um auf das Wesentliche hinzuweisen, Poppers Falsifikationstheorie fasst den entscheidenden Punkt allerdings am griffigsten zusammen: Eine wissenschaftliche Theorie ist, was sich grundsätzlich widerlegen lässt. Übersteht eine Theorie Widerlegungsversuche, kann sie vorläufig gelten. Letztgültig ist in der Wissenschaft demnach nichts, höchstens unwiderlegt. Ein empirisch-wissenschaftliches System, so Popper, „muss an der Erfahrung scheitern können“.
Der Satz: „die Lichtgeschwindigkeit kann nicht übertroffen werden“ steht einer Widerlegung offen. Der Satz „Gott ist groß“ nicht (schon deshalb, weil es sich bei „groß“ nicht um einen sinnvoll definierbaren Begriff handelt). Aussagen, die sich ihrer Natur nach nicht widerlegen und damit diskutieren lassen, aber trotzdem eine Gültigkeit beanspruchen, wollen letztgültig sein. Jeder Versuch, gegen sie etwas vorzubringen, ist nach ihrer Eigenlogik unsinnig. Diese Letztgültigkeit gehört in die religiöse Sphäre, in der etwas entweder geglaubt oder nicht geglaubt, aber nicht mehr diskutiert werden kann.
Die in Schneiders Text zitierte Wissenschaftlerin Maja Göpel fragte die Zeit per Twitter, ob dort denn niemand merken würde, dass die Botschaft der Redaktion den Corona- und Klimaforschern, die der Autor in seinem Beitrag verteidigen will, in einem Satz die Wissenschaftlichkeit abspricht, ohne es überhaupt zu merken.
Die Zeit entschuldigte sich umgehend, löschte ihren Tweet und schrieb, der Satz sei natürlich falsch und im Übrigen durch Schneiders Text auch nicht gedeckt. Nur: Genau das stimmt nicht. Auch, wenn dort der Satz von den nicht diskutierbaren, weil letztgültigen Forschungsergebnissen von Wissenschaftlern wie Göpel, Christian Drosten, Melanie Brinkmann und anderen nicht exakt so vorkommt wie in dem Tweet, zieht sich das grundsätzliche Missverständnis von Wissenschaft durch den gesamten Zeit-Text, der unter der Zeile steht: „Wissenschaftler werden in der Pandemie um ihre Expertise gebeten. Gefallen der Öffentlichkeit ihre Antworten nicht, reagieren sie genervt. Völlig zu Recht.“ Das Miss- beziehungsweise Unverständnis durchdringt nicht nur Schneiders Beitrag, sondern, ganz nebenbei, auch andere Artikel im Wissenschaftsteil der Zeit und anderswo.
Schneider schildert zu Beginn ein Gespräch zwischen Göpel (einer Ökonomin, Unterstützerin von Fridays for Future und Vertreterin der Klima-Alarmismus) und dem ARD-Journalisten Jörg Thadeusz, in dem Göpel Thadeusz die merkwürdige Frage stellt: „Haben Sie den Eindruck, uns Wissenschaftlern macht das Spaß?» (Nämlich, ständig apokalyptische Klimaszenarien für die jeweils nächsten Jahrzehnte zu bemühen, und daraus politische Forderungen abzuleiten).
„In dem Gespräch zwischen Thadeusz und Göpel ging es um Ausmaß und Folgen des Klimawandels“, referiert Schneider in seinem Zeit-Artikel, „es ging um die Notwendigkeit gesellschaftlicher und individueller Einschränkungen, damit die Welt einer Katastrophe entgeht, die viel größere Einschränkungen bedeuten würde. Wenn denn überhaupt ein Überleben unter halbwegs vergleichbaren zivilisatorischen Bedingungen möglich sein sollte.“
Und weiter:
„Letztlich belegte die Frage der Expertin an den Nichtexperten aber eine Irritation, die es auch in der Corona-Pandemie gibt und im Gespräch über Rassismus: Wissenschaftlerinnen treten an die Öffentlichkeit und werden Teil eines Aushandlungsprozesses um mögliche Lösungen eines Problems.“
Schneider schafft es, gleich zwei Fehlschlüsse miteinander zu verbinden. Erstens gibt es auf einem politisch debattierten Gebiet wie der „Notwendigkeit gesellschaftlicher und individueller Einschränkungen“ wegen eines Virus, der Temperaturentwicklung oder etwas anderem keine „Experten und Nichtexperten“, die einander in einem Hierarchieverhältnis gegenüberstünden. In der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte streiten verschiedene Teilnehmer mit Interessen und Argumenten, die besser oder schlechter begründet sind, zunehmend auch Meinungsinhaber, die ganz ohne Argumente auskommen wollen.
Geht es um Einschränkung individueller Rechte, existieren zum Glück auch noch Gesetze und Verfassungsrechte. Aber in dem Punkt etwa, ob in Deutschland weiter Eigenheime gebaut werden sollten oder nicht, um dieses konkrete Thema einmal herauszugreifen, gibt es keinen Experten, der dem Rest der Gesellschaft sagen könnte, wo es langgeht. Die Entscheidung fällt politisch, jeder darf mitreden, sogar Anton Hofreiter. Für den Einwand, dass Eigenheimbauten in Deutschland wahrscheinlich keinen messbaren Einfluss auf die Globaltemperatur des Jahres 2100 ausüben, muss sich niemand auf einen Expertenstatus berufen.
Zweitens gibt es kein Kollektiv namens _Wissenschaftlerinnen _(Schneider meint die Wissenschaftler, wie er geistreich schreibt, mit), das mit einer festen Erkenntnis an die Öffentlichkeit tritt, um mit ihr dieses oder jenes auszuhandeln. Die Strohpuppe mit dem Etikett die Wissenschaft ziehen nicht nur Schneider und andere Journalisten in Corona- und Klimafragen immer wieder auf die Bühne, sondern auch Politiker, etwa Angela Merkel, die sich Ende 2020 mit der Formel: „die Wissenschaft sagt uns“ auf ein kurzes Papier der Leopoldina zum Lockdown berief. In ihrem Tonfall schwingt die gleiche Forderung wie bei der Zeit, bestimmte Aussagen bestimmter Wissenschaftler müssten von der gesamten Gesellschaft gefälligst als höhere Wahrheit akzeptiert werden.
Gerade das Leopoldina-Papier Merkels erwies sich als nicht nur außerordentlich dünn im Umfang (viereinhalb Seiten Text) und in seiner Substanz (im Wesentlichen das Lob eines harten Lockdowns in Irland, der das Virus austrocknen sollte). Seine apodiktisch vorgetragene Empfehlung zerfiel auch schnell in der Praxis. Nach der Aufhebung des Lockdowns in Irland schossen die Infektionszahlen noch über das deutsche Niveau, die Maßnahme verursachte also gravierende Kollateralschäden, verfehlte aber das selbstgesetzte Ziel deutlich.
Grade im Streit um den richtigen Umgang mit Covid zeigt sich, dass ein Kollektiv mit der Bezeichnung die Wissenschaft nicht existiert. Sie tritt nicht als griechischer Tragödienchor mit Einheitstext vor die Öffentlichkeit, um ihr etwas mitzuteilen. Stattdessen sprechen sehr viele Wissenschaftler mit sehr unterschiedlichen Ansichten. Es gibt in dem Streit um Corona und die sinnvollen Gegenmaßnahmen die von Schneider wohlwollend zitierte Virologin Melanie Brinkmann, die in ihren Talkshowauftritten immer wieder einen langen harten Lockdown fordert, vor allem mit dem Blick auf Mutationen.
Brinkmann zählt zu den prominentesten Verfechtern der No-Covid-Strategie, die darin besteht, mit möglichst rigiden Einschränkungen das Virus aus der Gesellschaft zu vertreiben. Der Epidemiologe Arnold Monto beispielsweise von der Universität Michigan hält die No-Covid-Strategie für falsch:
„Ich denke, das ist unrealistisch. Wir müssen lernen, das Virus im Alltag zu beherrschen. Angenommen, Deutschland bringt die Inzidenz tatsächlich auf null, was ich für unmöglich halte: Wie lange will man dann den Frankfurter Flughafen geschlossen halten, um zu verhindern, dass das Virus erneut ins Land gelangt? Von den Grenzen zu den Nachbarländern einmal abgesehen? […] Der entscheidende Strategiekern zielt deshalb auf die Alten und die Krankenhäuser. Ich halte es auch praktisch für ausgeschlossen, eine Inzidenz von null zu erreichen.“
Es gibt Verfechter der Lockdowns, nicht selten in enger Kooperation mit befreundeten Medienmitarbeitern:
Und auf der anderen Seiten Wissenschaftler wie den Epidemiologen John P. A. Ioannidis, der zusammen mit Kollegen die Auswirkungen von Lockdowns verschiedener Härte in 14 europäischen Ländern und den USA untersucht hatte, und je nach Modellierung zu dem Ergebnis kam, dass die Maßnahmen sich nur gering bis gar nicht auf auf den Infektionsverlauf auswirkten.
In der Debatte finden sich Wissenschaftler, die Virenmutationen für eine sehr große Gefahr halten, andere, die das Risiko für nicht unkalkulierbar groß halten:
Der Streit um Deutungen findet also in der Hauptsache nicht zwischen einer Entität namens Wissenschaft und der sonstigen Gesellschaft statt, sondern wie eh und je vor allem in der Wissenschaft selbst. Auch auf dem Gebiet Covid-19 werden Thesen die Falsifikation überleben – oder auch nicht. Ordentlicher Wissenschaftsjournalismus bräuchte also nichts anderes zu tun, als den Meinungsstreit abzubilden, herauszufinden, was auf dem Thesenfriedhof landet, und welche Theorie sich als robust erweist. Vor allem bei Prognosen ist es nach einiger Zeit durchaus möglich, halbwegs objektiv zu überprüfen, ob sie eingetreten sind oder nicht.
Bei Schneider spielt die Dialektik von These und Widerlegungsversuch offenbar gar keine Rolle, sondern etwas anderes: das Eigentliche und Richtige, und die Abweichung davon. Das macht er in seinem kleinen Exkurs zur Klimadebatte deutlich, der großen Schwester des Corona-Wissenschaftsstreits.
In seinem Zeit-Text heißt es:
„Die Wissenschaftlerin wird dann zum Beispiel mit abweichenden Forschungsbefunden konfrontiert (der berüchtigte eine Klimaforscher unter hundert, der die Existenz des Klimawandels bestreitet) und muss immer wieder erklären, warum sie diese nicht für valide hält; oder ihre Rückschlüsse aus allgemein anerkannten Befunden werden in Zweifel gezogen, denn es gibt selbstverständlich auch immer andere Rückschlüsse, wozu die Expertin aber nur wiederholen kann, warum sie eben zu ihren gekommen ist. Oder sie bekommt gönnerhaft erklärt, dass die Menschen etwas aber nicht mitmachen werden. Woraufhin sie dann, mutmaßlich erschöpft bis patzig, erklärt, dass die Menschen dann aber noch ganz andere Dinge werden mitmachen müssen.“
An dieser Stelle schleift Schneider eine zweite Strohpuppe hinter sich her, um sie auf offener Bühne anzuzünden. Welcher berüchtigte Klimaforscher unter hundert oder einer Million erklärt eigentlich, es hätte vom Präkambrium bis heute ein immerwährend gleiches Klima gegeben? Weit und breit niemand. Folglich nennt Schneider auch keinen. Die Debatte über die Klimaentwicklung verläuft ähnlich kontrovers wie die über Covid-19. Aber genau so, wie sich die Covid-Debatte nicht darum dreht, was ein Virus und eine Lungenerkrankung ist, streitet in der Klimakontroverse niemand über die Tatsache, dass das Erdklima sich wandelt, solange es existiert.
Heftige Auseinandersetzungen gibt es unter anderem um den menschlichen Anteil an diesem Wandel. Über die Wirkungen und Nebenwirkungen von Gegenmaßnahmen. Und um die Frage, wie zuverlässig Computermodelle die Klimazukunft vorhersagen. Hier liegen die Ansichten ähnlich weit auseinander wie beim Nutzen der Lockdowns:
Die amerikanische Klimaforscherin Judith Curry etwa betont immer wieder die Unsicherheit der Computersimulationen, während etwa der Ozeanograph Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut darauf besteht, mit Hilfe von Modellen „Kipppunkte“ des Klimas exakt vorhersagen zu können. Vor mehr als zehn Jahren stritten die Klimaforscher Michael Mann und Hans von Storch über den wissenschaftlichen Wert von Manns Hockeyschläger-Kurve, die einen immer stärkeren Temperaturanstieg vorhersagte (allerdings auf einem Mix aus Messmethoden und einer angreifbaren Modellierung beruhte). Die Zeit, das als kleiner Einschub, widmete Mann 2012 ein einfühlsames Porträt („Die Klimakrieger“), in dem zwei Autoren Angriffe von Politikern und Lobbyisten auf ihn nachzeichneten, die es tatsächlich gab, in dem sie aber die wissenschaftliche kontroverse um seine Kurve einfach wegließen. Außerdem verrieten sie, ohne es zu merken, dass sie Manns Arbeiten nie richtig gelesen hatten: In ihrem Text schrieben sie mehrfach, der Klimatologe hätte Baumrinden benutzt, um Temperaturen vergangener Zeiten zu rekonstruieren. Richtig wäre gewesen: Baumringe. Für ihren Artikel erhielten beide den Reporterpreis.
Es gibt in zentralen Fragen unter Wissenschaftlern nicht den ganz überwiegenden Konsens und die marginale Abweichung, sondern eine ausgeprägte Vielstimmigkeit, ob unter Klimaforschern oder Medizinern. Außerdem setzen sich in der Wissenschaft Thesen nicht per Abstimmung durch. In der Wissenschaftsgeschichte finden sich viele Forscher, die ihre Theorien als krasse und heftig abgelehnte Außenseiter ihres Fachs entwickelten. Alfred Wegeners These der Kontinentalverschiebung wurde zu seinen Lebzeiten verlacht, Ignaz Semmelweis, Pionier der evidenzbasierten Medizin, starb als fast einhellig von Ärzten abgelehnter Sonderling in der Psychiatrie. Der Biochemiker Günter Blobel vertrat mit seiner Theorie vom Eiweißtransfer zu den Körperzellen lange eine Außenseiterposition, bis seine experimentellen Beweise schließlich anerkannt wurden. Im Jahr 1999 bekam er den Nobelpreis für Medizin.
Bei Wissenschaftsjournalisten, die sich vor allem an Mehrheiten halten und für ausgewählte Theorien die Diskussion einschränken möchten, hätte es ein Wegener und ein Semmelweis heute keinen Deut leichter als im 19. Jahrhundert.
Ein blinder Fleck wird zum blinden Feld
Die Wissenschafts-Berichterstattung in der Covid- und der Klimadebatte ähneln einander auffallend – und zwar in schlechter Weise. Erstens bilden etliche Journalisten – nicht nur Schneider in der Zeit – nicht die Vielfalt der Stimmen ab und wägen die Argumente, sondern schneiden sich immer wieder das Bild von der überwältigenden Wissenschaftlermehrheit und den Außenseitern zurecht. Außerdem übersehen sie auch noch, dass Einzelne richtig und viele falsch liegen können. Und wie in der Klimadebatte zahlen sie aufmerksamkeitsökonomische Prämien für diejenigen, die sich möglichst dramatisch und apokalyptisch äußern – am besten noch verbunden mit gesellschaftlichen Forderungen, die der Journalist sowieso schon gut findet.
Ein blinder Fleck weitet sich schnell zum blinden Feld, wenn Wissenschaftler nicht um die Kontinental- oder der althochdeutschen Lautverschiebung streiten, sondern über Themen mit ideologischem Unterbau. Also auf den Gebieten Covid-19, Klima, Rassismus, die Schneider nennt. Die Aktivisten von „ZeroCovid“ etwa verbinden die Bekämpfung eines Virus mit großräumigen gesellschaftlichen Steuerungs- und Umbaufantasien. Interessanterweise ähneln sie bis in Details großen Transformationsplänen, die der Klimaerwärmung Einhalt gebieten sollen. Kaum etwas wirkt in einer säkularisierten Gesellschaft so gut wie die Berufung auf „die Wissenschaft“, die passende Stichworte für politische Entwürfe liefert.
Der nächste Schritt besteht in der Rückkopplung: der politischen Forderung, die dafür passenden wissenschaftlichen Thesen der Debatte zu entziehen, zumindest die Debatte deutlich einzuschränken. Die Öffentlichkeit und seine Kollegen, belehrt Schneider, dürften natürlich noch ein bisschen mitdiskutieren, sie müssten allerdings darauf achten, sich „mit den eigenen politischen Aussagen und journalistischen Nachfragen im wissenschaftlichen Referenzrahmen zu bewegen.“
Das ist aus zweierlei Gründen Unfug: Erstens, weil sich eine Maja Göpel, eine Melanie Brinkmann oder ein Stefan Rahmstorf mit ihren weitreichenden Forderungen für die Gesellschaft selbst nicht mehr im „wissenschaftlichen Referenzrahmen“ bewegen, sondern im allgemein politischen. Und zweitens, weil der Referenzrahmen auch innerhalb des wissenschaftlichen Betriebs fast immer viel größer ist, als ihn Leute wie Schneider ziehen möchten. In der Covid-Lockdown-Debatte liegt ein riesiges Feld zwischen Ioannides und Brinkmann, in der Klimaprognostik eine gewaltige Strecke zwischen Rahmstorf und Curry. In dem Streit um Rassismus und Gesellschaft gibt es nicht nur die lauten Identitätspolitiker an den US-Universitäten, sondern beispielsweise auch den (heftig angegriffenen) Ökonomen Thomas Sowell. Mit anderen Worten: Das Debattenfeld ist in Wirklichkeit so weit, dass der Begriff „Rahmen“ wenig Sinn ergibt – es sei denn, jemand möchte in Wirklichkeit einen Korridor seiner Wahl darin abstecken.
„Wissenschaftliche Befunde sind keine Meinungen“, schreibt Schneider. Ja, tatsächlich, wissenschaftliche Befunde sind keine Meinungen. Beide unterscheiden sich kategorial. Zum Bereich der Meinungen gehören auch viele nicht widerlegbare und deshalb nicht sinnvoll diskutierbare Aussagen, etwa der oben erwähnte Satz „Gott ist groß“. Wissenschaftliche Befunde zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie diskutierbar und widerlegbar sind, und oft genug auch widerlegt werden. Aussagen von Wissenschaftlern sind in der Geschichte fast nie durch eine Aushandlung mit der restlichen Gesellschaft beiseite geräumt worden, sondern praktisch durchweg durch andere Wissenschaftler. Alle soliden Bestandteile der Wissenschaftsgebäude haben das Feuer der Widerlegungsversuche hinter sich. Kein Wissenschaftler, der seine Tassen im Schrank hat, wird seine Befunde deshalb zu undiskutierbaren Aussagen erklären.
Schneider folgert aus dem richtigen Satz „wissenschaftliche Befunde sind keine Meinungen“ aber das genaue Gegenteil: wissenschaftliche Befunde sollen seiner Meinung nach besonders geschützt werden. Wovor eigentlich? Die von ihm genannten und favorisierten Wissenschaftler, meint Schneider, reagierten „völlig zu Recht genervt“ auf Widerspruch. Übrigens auch, was er interessanterweise nicht erwähnt, auf Wissenschaftskollegen mit gegenteiligen Ansichten.
Es sollten deshalb, so der Zeit-Autor, bestimmte Urteile nicht in Frage gestellt und Widerlegungsversuchen von vorn herein Grenzen gezogen werden. „Das gebietet die intellektuelle Lauterkeit: nicht daran zu zweifeln, dass zum Beispiel klimatische Veränderungen stattfinden, die erhebliche gesellschaftliche Probleme mit sich bringen werden“, schreibt Schneider. Nun handelt es sich um einen schwammigen, sehr allgemein formulierten Satz. Was sind beispielsweise „erhebliche gesellschaftliche Probleme“? Weiter oben hieß es bei ihm schon etwas deutlicher: Eine „Katastrophe“, bei der das Überleben der Menschheit „unter halbwegs vergleichbaren zivilisatorischen Bedingungen“ in Frage steht.
Aber egal, wie jemand diese Probleme definiert: Wem schadet eigentlich der Zweifel, den der Zeit-Autor unterdrückt sehen möchte? Wissenschaftler wie Maja Göpel und Hans-Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung argumentieren, nur ein radikaler gesellschaftlicher Umbau mit weniger Konsum und mehr Lenkung und Kontrolle könnte eine globale Klimakatastrophe noch aufhalten. Es gibt andere, etwa Hans von Storch und Judith Curry, die grundsätzlich meinen, dass sich die Menschheit auch an eine um seit 1860 um 1,5 Grad erhöhte Durchschnittstemperatur anpassen kann.
Die kommenden gesellschaftlichen Probleme durch eine Klimaerwärmung sehen sie jedenfalls nicht als so gravierend an, dass sie eine ganz neue Gesellschaftsordnung mit tiefen Eingriffen in individuelle Rechte für nötig halten. Auch der Umbau einer Gesellschaft kann in eine Katastrophe münden. Warum soll also „die intellektuelle Lauterkeit“ den Zweifel an einer bestimmten politischen Wortmeldung verbieten? „Gesellschaftliche Probleme“ – da befinden wir uns nicht mehr im Labor oder Hörsaal, sondern auf offenem Feld.
In ihrem toten Winkel fällt Kommentatoren wie Schneider merkwürdigerweise nie auf, dass sie ja selbst zweifeln: beispielsweise an der Sicht aller Wissenschaftler, die keine Klimaapokalypse zeichnen. Denn heimlich halten sie diese Apokalypse schon für bewiesen, auch wenn augenblicklich noch der Beweis fehlt. Ihr Schutz vor Zweifel und ihre Warnung vor zu grundlegenden Nachfragen bezieht sich nie auf alle Wissenschaftler (an dieser Stelle verschwindet die Strohpuppe namens _die Wissenschaft _plötzlich wieder von der Bühne), sondern immer nur auf ausgewählte.
Bei Schneider besitzt die Virologin Melanie Brinkmann das Vorrecht, genervt auf Zweifel und Nachfragen zu reagieren, aber kein Hendrik Streeck oder John Ioannidis. So, wie die Zeit seinerzeit, siehe oben, den Angriffen auf Michael Mann einen langen und einseitigen Artikel widmete – während ganz ähnliche Attacken auf Judith Curry, die sich wegen feindseliger Reaktionen auf ihre Veröffentlichungen 2017 aus dem Universitätsbetrieb zurückzog, in den wenigsten Medien behandelt wurden.
Eine Pointe liegt darin, dass Curry trotzdem nie verlangte, nicht oder nur noch in einem bestimmten Referenzrahmen befragt und attackiert zu werden.
Für die von ihm aufgezählten Wissenschaftlerinnen fordert Schneider eine Art safe space, die man sich als kritikreduzierte Zone mit Warnschild und Aufpassern vorzustellen hat: „Die Frage ist daher nicht, wie genervte Expertinnen ‚besser’ kommunizieren könnten, damit sie nicht als arrogant, verstockt oder gar autoritär missverstanden werden. Die Frage ist vielmehr, wie sich dafür sorgen ließe, dass sie gar nicht erst genervt sein müssten.“
Dafür gibt es nur ein Mittel: sich gar nicht erst in die Öffentlichkeit begeben. Wer das tut, egal ob als Wissenschaftler, Autor oder Politiker, macht sich zum Gegenstand der Kritik. So lautet die Spielregel, zumindest in einer offenen Gesellschaft, in der eben nicht einige gleicher sein können als andere. Wissenschaftler riskieren es zusätzlich, dass ein Kollege seine Theorie vom Sockel stößt. Manchmal erledigt schon die Zeit diese Arbeit, beispielsweise, wenn es um Prognosen geht.
Wissenschaft mit Weihrauchduft
Schneiders Text in der Zeit ist ein Symptom, genau so wie der Redaktions-Tweet von der Nichtdiskutierbarkeit bestimmter Forschungsergebnisse. Zurzeit arbeitet eine breite Allianz von Journalisten über Aktivisten bis zu Politikern wie Merkel daran, ein hybrides Monstrum zu schaffen: Es soll im wissenschaftlichen Duktus sprechen, aber die Unantastbarkeit eines religiösen Führers besitzen. Und passenderweise politische Programme verkünden, die andere ihm schon einmal vorsorglich auf den Sprechzettel notiert haben. Auf seiner Stirn trägt der Homunkulus einen Zettel mit der Aufschrift: Die Wissenschaft. Wer immer behauptet, die Wissenschaft sage dieses und jenes, und dazu Weihrauch aufsteigen lässt, der betrügt.
Ihre besondere Stellung besitzen Wissenschaftler in der Gesellschaft gerade deshalb, weil der Wissenschaftsbetrieb im Normalfall alles durch das Säurebad der Kritik schickt. Und weil er normalerweise ihren inneren Regeln folgt, statt politische Aufträge auszuführen. In der letzten Zeit tauchte in Texten besorgter Medienschaffender und einiger Wissenschaftler der Begriff „Wissenschaftsfeinde“ auf; gemeint ist: Der Leugner, der Populist, selbstredend bis eben noch auch der nach Schwefel riechende Donald Trump. Keiner aus dieser Trias könnte den Wissenschaftsbetrieb ernsthaft antasten. Das schaffen nur einige im Inneren – und toxische Wissenschaftsfreunde wie Schneider von außen. Die einen, in dem sie Auftragsarbeiten verrichten wie jene Wissenschaftler, die nach Vorgaben des Bundesinnenministeriums 2020 ein Panik-Papier zu Covid-19 verfassten und mit einer Million Toten in Deutschland drohten. Es gibt auch andere, die ihre Reputation als Wissenschaftler gegen ein Linsengericht von Fördergeldern tauschen (was sich bekanntlich nicht rückgängig machen lässt).
Die anderen, wohlmeinende Begleiter in der Zeit und anderswo, wollen zum vorgeblichen Schutz von Wissenschaftlern gerade das abwracken, was Wissenschaft ausmacht. Wissenschaft und Religion lässt sich nicht aus einer Hand haben. Bekanntlich versuchten die Herrscher des Ostblocks das Hybridwesen Wissenschaftlicher Sozialismus zu züchten. Ihm ging es wie vielen Kreuzungsversuchen: Es pflanzte sich nicht fort, und siechte dahin. Trotzdem bemüht sich Greta Thunberg, das gleiche etwas anders noch einmal zu probieren: mit dem Ruf:_ join unite behind the science_, kombiniert mit dem Prophetendonner how dare you?
Ehrlicherweise hätte die Zeit-Redaktion den Tweet vom Nichtdiskutierbaren stehen lassen sollen. Denn er fasst zusammen, was zurzeit viele gern hätten. Bei Albert Einstein lässt sich nachlesen, wie man es nennt, wenn jemand immer wieder das gleiche tut, und jedes Mal andere Ergebnisse erwartet.
Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.
25 Kommentare
Original: Das Höhere Wesen sagt uns, was zu tun ist
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Dr.Bernd Ramm
19. Februar, 2021Hallo,
ein fundierter und kluger Beitrag. Ja, wir werden immer mehr von den Guten und Gerechten in eine bestimmte Richtung gedrängt. Und wer daran zweifelt, ist dumm oder sogar ein Frauenfeind, Antisemit oder Sexist. Und wenn alles das nicht hilft, wird man zum Faschisten erklärt.
Paulchen
19. Februar, 2021Ein starkes Stück Journalismus, noch dazu eloquent auf den Punkt gebracht. Einer zum Rahmen und als Mahnung oder besser Fortbildung in jede deutsche Schreibstube zu hängen.
Christoph Nielen
19. Februar, 2021Kennt oder evtl. liest jemand von den Wissenschaftsjournalisten noch Paul Feyerabend ?
F. Auerbacher
20. Februar, 2021Na ja, Feyerabend kann man sich wirklich sparen. Anything goes – so why not ignoring Feyerabend? Aber Kuhn wäre schon hilfreich.
Skeptiker
21. Februar, 2021Hilfreich ist auch die Lektüre von Hans Albert – vornehmlich seine Auseinandersetzung mit dem Modellplatonismus in der Wirtschaftstheorie der 60er Jahre. Dabei wird die Strategie beschrieben, eine Theorie mit dem einfachen logischen Trick der Konjunktionserweiterung zu immunisieren. Nach diesem Schema funktionieren die Theoreme der Potsdamer Klimaforscher und der Drostencoroniker: nix «Risiko des Scheiterns einer Theorie durch Falsifikation» sondern Produktion von Tautologien nach dem Motto «Kräht der Hahn morgen auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist». Tja – die Reflexion um Wissenschaft und ihr Kriterien war einmal: Ihnen Herr Wendt daher: vielen Dank, dass Sie das leisten, was deutsche Philosophen offenbar nicht mehr zu leisten vermögen.
Libkon
19. Februar, 2021Friedrich Luft war früher beim RIAS „Die Stimme der Kritik“. Sie, Herr Wendt, sind für mich durch den obigen exzellenten Bericht endgültig „Die Stimme der Vernunft“.
Für mich soll „Corona“ der Test zum Gesellschafts-/Klimawandel sein. Genug Helfershelfer in „Wissenschaft“ und „Journalismus“ (man beachte die Anführungszeichen), gibt es zuhauf, siehe obigen Bericht.
Die Einschränkungen sind AUF DAUER angelegt und sollen die Leute (früher „Volk“ genannt) wie in Rotchina unter Kontrolle halten, während überreiche Oligarchen politisch/wirtschaftlich alles bestimmen. Schöne neue Huxley/Orwell Welt. Wenn die Politik ernsthaft wissenschaftlichen Rat hätte einholen wollen, dann hätte sie klugerweise gegensätzliche Vertreter der Epidemiologie eingeladen und nicht etwa nur (politisch) gewogene. Es war also nie eine Frage DER Wissenschaft. Die „Gewogenen“ sollten nur als Schutzschild dienen. Es handelt sich hier wohl eher um eine politische Aktion, mit dem Ziel, unseren Wohlstand zu vernichten. Wie stellen diese „Experten“ sich das vor, wenn wir nur noch Wind und Solarenergie haben und es kommen wieder richtige kalte Winter und die Windräder stehen dann still wie derzeit für Millionen in Texas? Was wird hier gespielt? Etwa mit unser aller Leben? Sind wir Menschen in Wahrheit das eigentliche Ziel der Sozialisten?
Robert Hagen
19. Februar, 2021Große Klasse, ein dringend notwendiger Artikel!
ToNo
19. Februar, 2021Genau so ist es!
Alexander Peter
19. Februar, 2021Offener Diskurs, offene Gesellschaft, freie Bürger, freie Forschung; das ist doch sowas von gestern, oder?
Täglich erreichen uns neue Nachrichten darüber, was Politiker vom Typus Winfried Kretschmann «nervt», genauso oft kommt irgendjemand aus der «Zivilgesellschaft» daher, um neue autoritäre Fantasien zu postulieren und mehrmals täglich wird man leider mit den bekannten Gesichtern und deren Phrasen in den Medien konfrontiert.
Meiner Meinung nach propagieren bestimmte Kräfte immer unverhohlener eine Art «Milliardärs-Sozialismus», in dem «die Masse» nicht nur dem kleinen Wohlstand abschwören, sondern, wie in China, zu einer Art gelenkter Ameise mutieren soll.
«Corona», «Klima» usw. Wo wären denn intelligente Lösungen zu diesen Problemen hierzulande?
Es geht doch irgendwie immer nur um Autoritarismus, (verlogenen) Puritanismus und Verzicht für die Masse (im Westen wohlgemerkt, in Afrika, Arabien oder Asien sind die Propheten des brennenden Dornbuschs scheinbar ja nicht anzutreffen).
Insofern ist «Follow Science» nur eine Mogelpackung, es sei denn, Lyssenko ist gemeint bzw. ein rein taktisches Verständnis von der «Freiheit der Wissenschaft» bis zur ersehnten Umsetzung der eigenen Agenda.
Danach gibt es sowieso nur noch «eine Wahrheit», wie man aus der Geschichte weiß.
Joseph
19. Februar, 2021Wir opfern die Werte der Aufklärung und feiern uns für unsere Aufgeklärtheit.
Gerhard Lenz
19. Februar, 2021Hervorragend. Schlüssig argumentiert , schwer zu widerlegen. Herzlichen Dank.
Gotlandfahrer
19. Februar, 2021Die Wiederholung mag langweilen, aber isso: Die herrschenden Politiker sind Problem Nummer 2. Das Problem Nummer 1 sind die «Journalisten» in den tonangebenden Medien. Problem Nummer 0 sind die, die sie dort vorlassen.
Materonow
20. Februar, 2021Auf meine Frage an einen Wissenschaftler, was denn Wissenschaft sei, antwortete dieser:
Wissenschaft ist, Bestehendes infrage zu stellen!
Wenn NIE jemand infrage gestellt hätte, daß Theologie keine Wissenschaft, sondern Glaubenschaft ist, würden noch heute die Fausts sich mit heißem Bemühen um die Theologie schlagen.
Jeder weiß heute, daß das, was damals «Wissenschft» zu sein vorgab, Glaubenshumbug ist.
Schon immer hat nicht DIE Wisenschaft, die Merkel bemüht, bahnbrechend gewirkt, jedenfalls nicht immer, als die einzelnen Außenseiter, die zu ihren Zeiten verlacht wurden.
Klaus D. Mueller
20. Februar, 2021Wie kommt es, dass alle Jahre wieder von «Wissenschaftlern», die’s natürlich immer GANZ GENAU wissen (real: glauben), irgend eine Art Weltuntergang vorausgesagt wird, der dann nie eintrit ( q.e.d.).
Mal wird es gaaaanz kalt auf der Erde, dann plötzlich in der gleichen Generation wird das Gegenteil prophezeit, ….irgendwo im Netz sah ich gestern eine Liste all der wissenschaftlich-journalistische Horrormeldungen seit den Sixties. Diese Liste war lang, sehr lang. Und nix trat ein.
Ergo: ich glaub’ denen gar nix mehr.
Werner Bläser
20. Februar, 2021Warnhinweis: Alles, was ich im folgenden an Bösartigem über Journalisten sage, trifft nicht zu auf die grandiosen 5 oder 10 Prozent der «letzten Aufrechten» im Journalismus, wie Herrn Wendt. –
Zur Sache: Mein Ex-Chef an der Uni. lehnte es grundsätzlich ab, Journalisten Interviews zu geben (er wurde öfter darum gebeten); seine Begründung: die würden ohnehin nicht kapieren, was er sagt, und seine Aussagen deshalb verfälschen. Hingegen war er bereit, selbst Artikel für Zeitungen zu verfassen, was er z.B. für die FAZ (vor langer Zeit) gelegentlich tat.
Buchrezensionen in Zeitungen lese ich schon lange nicht mehr, da der Buchinhalt dort oft grob entstellt wird.
– Wenn ich normale journalistische Artikel lese, ist der Amüsement-Wert in den meisten Fällen höher als der Informationswert. Mir kommt das meiste davon vor wie bemühtes Geplapper von Studienanfängern.
Heute morgen habe ich in der ‘Welt’, die nicht einmal die schlechteste Zeitung ist, Artikel über die Münchner Sicherheitskonferenz gelesen. Dabei fiel mir auf, dass einer der Schreiber auf den NATO-Vertrag Bezug nahm, aber ganz offensichtlich keine Ahnung hatte, was konkret da drin steht. Sein «Wissenshintergrund» beschränkte sich offenbar auf das, was man so in wenigen Sätzen Sekundärliteratur (beim «akademischen Friseur») so an grober Richtung des Inhalts mitgekriegt hatte. Dabei ist dieses Verträglein in wenigen Minuten zu lesen.
Weiteres Beispiel, von vor einigen Tagen: das mutierte Coronavirus aus England. Nirgendwo in den von mir gelesenen deutschen Zeitungen habe ich exakt wiedergegeben gefunden, worauf sich der Alarmismus speziell hinsichtlich der höheren Mortalität (angeblich «bis zu 70%») eigentlich beruft. Man muss, wie es leider jetzt bei Medieninformation der Normalfall ist, sich die Originalquellen selbst suchen. Fündig wurde ich beim obersten Corona-Beratergremium der britischen Regierung, dem NERVTAG (New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group).
In deren letztem Update zu ihrem ausführlicheren Report vom 22.1. weisen die ganz explizit auf die recht breite Streuung der Ergebnisse der von ihnen betrachteten Studien hin, auf deren methodische Probleme (die z.T. der Eile ihrer Abfassung geschuldet sind), und auf Rätselhaftes (keine höhere Mortalität durch Mutanten innerhalb der Krankenhäuser, ausserhalb – in verschiedenem Mass – wahrscheinlich schon; NERVTAG spricht von einer «realistic possibility»).
Einer ihrer Hinweise: «It should be noted that the absolute risk of death per infection remains low» (Punkt 8).
Das hört sich alles völlig anders an als das, was ich in den deutschen Medien lese.
– Was den ZEIT-Schreiber betrifft: Da scheint einer irgendwie nicht kapiert zu haben, was eine Demokratie eigentlich ist – und das halte ich für viel schlimmer als sein dümmliches Gewäsch über Wissenschaft.
Es sollte eigentlich zur Allgemeinbildung gehören, was uns von den alten Griechen, etwa Platon, so an denkbaren Mustern von Regierungsformen überliefert wurde. Früher hätten sie bei der ZEIT mit Sicherheit jeden ausgelacht, der eine Demokratie mit einer ‘Philosophenherrschaft’ verwechselt hätte, oder der für letztere anstelle einer Demokratie plädiert hätte.
Denn was das Schreiberlein da fordert, ist praktisch Herrschaft «der Wissenschaft» (in Platons Terminologie, der «Philosophen»). Die Probleme, die sich durch so eine Herrschaftsform ergeben, wurden sogar Platon im Lauf seines Lebens klar, und er entwarf ein neues, weniger utopisches Modell (‘nomoi’).
Das Schreiberlein scheint ausserstande zu sein, den Unterschied zwischen Erkenntnis (wissenschaftlich) und Interesse (politisch) zu sehen. Und das ist für einen Mitarbeiter einer ehemaligen Qualitätszeitung ein absolutes geistiges Armutszeugnis.
Hajo Blaschke
21. Februar, 2021Zur erwähnten Virusmutante: ein Virus ist kein Lebewesen wie z.B. Bakterien. Deshalb kann es auch nicht mutieren. Ein Virus ist auf einen Wirt angewiesen, im Fall von Grippeviren ist das z.B. ein Mensch. Mutation ist deshalb einfach nur eine Veränderung in der Immunbasis des Wirts, also des Menschen.
Roland
22. Februar, 2021Zu dem ZEIT-Schreiber Johannes Schneider ist zu notieren, dass dieser laut Selbstbeschreibung dem Antifa-Spektrum nahe steht oder zumindest stand. Schon seit geraumer Weile fällt er mit Beiträgen in der ZEIT auf, die man besser einordnen kann, wenn man obigen, von ihm selbst gegebenen Rahmen berücksichtigt. Ist auch nicht der einzige ZEIT/ZON-Autor, der sich selbst aus diesem linksalternativen-linksextremen Milieu kommend verortet. Ua. die Personalie Schneider erklärt die bedauerliche Entwicklung der ZEIT.
Jürg Rückert
20. Februar, 2021Auch Gerechtigkeit ist nicht diskutierbar. Und Vernunft schon gar nicht.
„Der Impfstoff muss der ganzen Welt zugute kommen. Es wäre rassistisch, wenn nur wir … !“ So zwitschert ein Wesen über „Impfstoffgerechtigkeit“.
„Aber m/w/d Wesen, wie können Sie nur so verkürzt, so egoistisch denken! Wo bleibt die Gesundheitsgerechtigkeit? Dürfen wir unsere Diabetiker mit Insulin versorgen, ohne schwer an schlechtem Gewissen zu erkranken? Denken Sie an die armen Afrikaner! Aus Solidarität mit ihnen müssen wir den Tod im Zuckerkoma in Kauf nehmen! Es lebe die Menschheitsgerechtigkeit!“
Materonow
21. Februar, 2021Spontispruch mit Bart:
Es geht nirgendwo ungerechter zu,
als auf der Welt!
Thomas
20. Februar, 2021Der Herr Wendt entlarvt die Natur jener Argumente, die tiefe Eingriffe in den Staat begründen sollen – angeblich zum Schutze der Bewohner. Das gehört für mich zum Verfassungsschutz im besten Sinne. Herzlichen Dank!
Die kommenden gesellschaftlichen Probleme durch eine Klimaerwärmung sehen sie jedenfalls nicht als so gravierend an, dass sie eine ganz neue Gesellschaftsordnung mit tiefen Eingriffen in individuelle Rechte für nötig halten. Auch der Umbau einer Gesellschaft kann in eine Katastrophe münden.
Sehr richtig!
Sozialismus, Liberalismus und Konservatismus entstanden im 19. Jahrhundert als drei große politische Ideologien, wobei Liberalismus und Konservatismus auf den allmählichen Wandel durch Reformen setzten. Dagegen setzen Sozialismen auf gesellschaftliche Revolution. Sozialismus hat es eilig.
Heute schützt eine Demokratie West (!) seine Bürger vor Bürgerkriegen mittels freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Revolutionen sind Bürgerkriege. Eine DDR-Demokratie geht den Weg der Repression «gegen Rechts».
Haben rote, grüne, braune oder dunkelrote Revolutionäre jemals die katastrophalen Ergebnisse gesellschaftlicher Umbauten oder Umbrüche gescheut? Ich meine, daß das Gegenteil der Fall ist: Die Revolution (und die Vorbereitung darauf) ist ein Merkmal des Sozialismus; die Machtergreifung, Gleichschaltung, Repression und Ermächtigungsgesetze sind die logische Folge. Als Idee hat auch die Umwandlung von konventionellen Kriegen in Bürgerkriege (Komintern) im Ergebnis ihre logischen Tücken. Die Auflösung der Komintern als (stalin-russische) Organisation ändert daran nichts. Bürgerkriege sind nicht selbstverständlich! Repression durch den Staat ist nicht selbstverständlich! Der Widerspruch stört die Selbstverständlichkeiten!
Die Geschichte lehrt, daß sich die Denkfabrikanten und Anhänger von Sozialismen gerne im Lichte einer so genannten „sexuellen Befreiung, Weltoffenheit, Buntheit und Toleranz“ sonnen. Der Anteil des Liberalismus und Konservatismus an diesen Enwicklungen wird geleugnet. Gewisse Denkfabriken der Sozialisten sonnen sich bereits im Lichte ihrer Fortschritte wenn Qualm und Leichengestank noch in der Luft hängen.
Im Hinblick auf die zeitgenössische Gleichschaltung:
Ehrlicherweise hätte die Zeit-Redaktion den Tweet vom Nichtdiskutierbaren stehen lassen sollen. Denn er fasst zusammen, was zurzeit viele gern hätten.
Das stimmt: Eine ehrliche Redaktion hätte das tun sollen; eine ehrliche würde das auch tun. Die Arbeit gewisser Löschzwerge nimmt in diesen Zeiten zwanghafte Züge an. Da gibt es bereits ausgewachsene Löschzüge.
Gewisse Relotius-Ausbildungsanstalten haben grässliche Wunden in die Gehirne junger, schreibender Menschen gerissen. Aber auch gewisse Leute aus Dunstkreisen wie beispielsweise der „Anti-Gender-Networks-Information“ möchten heute irgendwie ihre Brötchen verdienen. Im Ergebnis nimmt sich der Staat mit der Finanzierung gewisser „Leitmedien“ heute Leute an die Brust, die ihn aus den Untiefen ihres „tschakka“ heraus abgrundtief verachten. Da schwingt ein abgrundtiefes Sehnen nach der AfDDR mit, und es schwingt eine abgrundtiefe Verachtung der Demokratie West („Faschistisches System“) mit. Die Gleichschaltung im Sinne einer AfDDR setzt auf die Gewöhnung und den Hass „gegen Rechts“, sie setzt auf das nicht hinterfragbare Dogma. Und dieses „Falsche im Richtigen“ reißt klaffende Wunden in die Gehirne junger Menschen. Manche dieser jungen Menschen sind heute Diplom-Kulturwissenschaftler und verfassen in diesen ZEITen „kreativen Kulturjournalismus“.
Naja.
Hildesheim, «German Studies in St. Louis», dju, ver.di, «Neue Deutschen Medienmacher*innen», …
Im Rahmen der Nettiquette ist dazu wohl alles gesagt.
Dank an den Herrn Wendt für diese Reaktion im besten Sinne!
Thomas
20. Februar, 2021Halt! Eines noch. Ein Text mit Bild bei Tichy:
Politischer Aschermittwoch der Grünen in München
„Setz mit uns auf Zukunft“
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/die-gruenen-auf-dem-weg-zum-neuen-gruppenbezogenen-menschen/
Dolles Bild! Und so wahr. 🙂
Theophil
20. Februar, 2021Danke, dass Sie den plumpen Versuch, kritisches Nachfragen als Wissenschaftsfeindlichkeit zu diskreditieren, als das entlarven, was er ist: unwissenschaftlich und ideologisch. Selbstverständlich gibt es Naturgesetze, über die wir nicht mehr diskutieren müssen: Mit welcher Geschwindigkeit der Apfel herunterfallen wird, kann ich exakt voraussagen, wenn er noch am Baum hängt. Dagegen sind der menschliche Organismus, die Ausbreitung von Epidemien, die Entwicklung von Gesellschaften oder das Klima hoch komplexe Systeme, deren Parameter wir nicht zur Gänze kennen. Wenn Marx voraussagte, die proletarische Weltrevolution käme mit mathematischer Sicherheit, weil sich der Kapitalismus so und so entwickeln werde, fragte ich mich immer, warum es Parteien und Gewerkschaften brauchte, um die Revolution zu befördern. Es ist eben keine Wissenschaft, sondern Ideologie. Jeder Raucher, der sein Laster nicht aufgeben will, verweist auf steinalte gesunde Raucher wie Helmut Schmidt, obwohl in der Medizin kaum etwas so vielfach bewiesen ist, wie der statistische Zusammenhang zwischen Rauchen, bestimmten Erkrankungen und früherem Ableben. In der Corona-«Pandemie» lernen wir, dass Virusepidemien sich relativ unbeeinflusst von Gegenmaßnahmen der Politik ausbreiten. Und beim Klima bestreitet kein vernünftiger Mensch, dass eine Erwärmung stattfindet; warum, welche Rolle der Mensch dabei spielt und wie es sich auswirken wird, kann, darf und muss diskutiert werden. Sonst ist es eben keine Wissenschaft, sondern Ideologie.
K.D.D.
21. Februar, 2021Zwar nur eine Stilfrage:
«Niemand muss … Karl Popper bemühen…»
und dann «bemühen» Sie ihn.
Thomas
23. Februar, 2021Stilfragen
– Zwar nur eine Stilfrage: “Niemand muss … Karl Popper bemühen…” und dann “bemühen” Sie ihn.
Aber nein! Mit allem Respekt.
Sie irren mit dieser Kritik sehr deutlich am Sinn des Satzes vorbei, indem Sie mit …-Pünktchen den Kern des Absatzes entstellen. Das könnten Sie vermeiden (so Sie das wollen), indem Sie den ganzen Satz im Zusammenhang des Absatzes betrachten würden:
Für ein Blatt, in dem einmal der großartige Dieter E. Zimmer über Wissenschaftsthemen schrieb, markiert das eine neue Schwundstufe. Niemand muss zu der Frage der Diskutierbarkeit von Wissenschaftsaussagen unbedingt Karl Popper bemühen, um auf das Wesentliche hinzuweisen, Poppers Falsifikationstheorie fasst den entscheidenden Punkt allerdings am griffigsten zusammen: Eine wissenschaftliche Theorie ist, was sich grundsätzlich widerlegen lässt. Übersteht eine Theorie Widerlegungsversuche, kann sie vorläufig gelten. Letztgültig ist in der Wissenschaft demnach nichts, höchstens unwiderlegt. Ein empirisch-wissenschaftliches System, so Popper, „muss an der Erfahrung scheitern können“.
Im Grunde geht es oben also darum, einen komplizierten Sachverhalt kurz und prägnant zu formulieren, wozu man zwar „nicht unbedingt“ (!) Karl Popper bemühen „muss“ (!), um auf das Wesentliche hinzuweisen, allerdings fasst Poppers Falsifikationstheorie „den entscheidenden Punkt am griffigsten zusammen“. Et voila.
Ein Merkmal ZEITgenössischer Textinterpretation ist leider, dass der sekundäre Diskurs (Kommentar) Macht gegenüber seinem primären Diskussionsgegenstand (Text) gewinnen will. Das eröffnet zwar im günstigen Fall Diskussionsmöglichkeiten, weil ein Kommentar einen Text auch entfalten kann; es gibt aber leider auch ungünstige Fälle:
Natürlich darf ein Kommentar angreifbare Auslegungen wagen; darüber ist nicht zu reden. Fällt bei der Interpretation eines Satzes innerhalb eines längeren Textes dann allerdings die Kernaussage mithilfe von …-Pünktchen völlig weg, dann handelt es sich dabei weniger um einen Fingerzeig auf eine „Stilfrage des Autors“. Vielmehr handelt es sich um eine Stilfrage, auf die drei Finger derselben Kommentar-Hand hinweisen.
Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muß sich von jedem sagen lassen, wieviel Punkte er geworfen hat – darüber ist nicht zu reden. Und das gilt auch für Kommentare.
Nichts für ungut.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas
Hans-Otto
21. Februar, 2021Meinen Gruß und meinen Ausdruck der Hochachtung an Sie, Herr Wendt.
Ihre äusserst gut durchdachten und mit immensem Wissen fundierten Beiträge sind ein wahrer «Meilenstein» an Journalismus.
Man mag im Verbund mit allen anderen Lesern die Hoffnung äussern dass Sie uns noch lange erhalten bleiben.
Aber wer weiss ob kritisches Schreiben noch Zukunft hat.
Leider habe ich da meine Zweifel.
Einschränkungen der Art dass neugieriges Nachfragen, oder kritisches in Zweifel Ziehen in diesem Land auch schon unter Strafe gestellt wurden geben einem zu denken.
Dieses Land verändert sich in großen Schritten, meiner Ansicht nach, nicht zum Guten für die Menschen.