– Publico –
Politik, Gesellschaft & Übergänge

Die neuen Taliban, ihre vorübergehenden Erfolge – und woran sie scheitern werden

Original post is here eklausmeier.goip.de/wendt/2020/09-die-neuen-taliban-ihre-voruebergehenden-erfolge-und-woran-sie-scheitern-werden.


In angelsächsischen und in deutschsprachigen Ländern finden sich lagerübergreifend Intellektuelle gegen die Cancel Culture zusammen. Sie haben verstanden: Wer die Debatte wieder groß machen will, muss die Gouvernanten kleinmachen

Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 45 min Lesezeit

stdsize

Es gibt zwei Aufrufe, die einander ähneln. Einer erschien vor einigen Wochen in dem Magazin Harper’s, einer vor wenigen Tagen auf der Seite des gerade gegründeten Intellectual Deep Web Europe. In beiden Appellen finden sich Autoren und Wissenschaftler von der linken bis zur rechten Mitte zusammen, die unter normalen Bedingungen wahrscheinlich kein Manifest unterschrieben hätten.
Wenn die Front breiter wird als gewöhnlich, geht es meist um essentielle Dinge. An dem deutschsprachigen Appell, so viel gleich zu Beginn, ist der Autor dieses Textes beteiligt.

Beide Aufrufe verteidigen den freien Austausch von Meinungen, also eine Praxis, die im Westen entstand und dort bis vor ein paar Jahren nicht ernsthaft gefährdet schien.
Werfen wir erst einen kurzen Blick auf den gegenwärtigen Zustand, bevor es um die Aufrufe selbst geht.

Der amerikanische Datenanalyst David Shor, bis Mai 2020 einer der führenden Köpfe des Umfrageinstituts Civis, gehört zu den Hochtalentierten in seiner Branche. Schon als Zwanzigjähriger arbeitete er 2012 zu dem Team von Nate Silver, einem Statistiker, der damals mit seinem Modell den Ausgang der Wahl in 50 Bundesstaaten korrekt vorhersagte.
Nach dem Beginn der Black Lives Matter-Demonstrationen in den USA und den ersten Ausschreitungen retweetete Shor eine Untersuchung der Wahl- und Umfrageergebnisse seit 1968, in der der (farbige) Princeton-Wissenschaftler Omar Wasow nachwies, dass friedliche Straßenproteste die öffentliche Meinung zugunsten der Demokraten verschoben hatten, im Gegensatz zu gewalttätigen Übergriffen, die eher das Gegenteil bewirkten. Seine Absicht kommentierte sich von selbst; Shor gehört zum linksliberalen Lager, er wünscht sich erklärtermaßen den Sieg Bidens im November.
Als er seine Studie per Twitter veröffentlichte, fielen sofort Aktivisten über ihn her, die ihm vorwarfen, er als Weißer dürfe über die BLM-Bewegung nicht urteilen, auch nicht indirekt durch eine Analyse historischer Wahldaten, seine Veröffentlichung sei beleidigend. Die Daten selbst stellte niemand in Frage.
Shor entschuldigte sich öffentlich. Das nutzte ihm vor dem Twitter-Gericht nichts, die linken Aktivisten forderten seine Entlassung. Dazu kam es innerhalb weniger Tage. Civis feuerte seinen führenden Datenanalysten.

Ihm ging es ähnlich wie Gordon Klein, einem Dozenten an der Anderson School Of Management, die zur UCLA gehört: mehrere schwarze Studenten hatten ihn aufgefordert, ihnen bei der Abschlussprüfung Sonderkonditionen (“Accommondations“) einzuräumen, die mittlerweile an etlichen Hochschulen tatsächlich gewährt werden, um den emotionalen Stress und die Traumatisierungen auszugleichen, die farbige Studenten nach ihrem eigenen Bekunden durch den Tod von Georg Floyd und die folgenden Proteste erlitten hätten.
Klein fragte per Mail sarkastisch zurück, wie er denn mit Studenten mit einem farbigen und einem weißen Elternteil verfahren sollte. Eine halbe Sonderkondition? Vor allem fragte er, wie sich die Aufforderung nach besonderer Behandlung mit dem Gleichheitsideal von Martin Luther King vertragen würde:

_„Eine letzte Sache noch, die mich beschäftigt: Erinnerst du dich daran, dass Martin Luther King bekanntlich sagte, niemand sollte seiner Hautfarbe nach bewertet werden. Glaubst du nicht, dass deine Bitte (um Sonderkonditionen) seiner Mahnung zuwiderläuft?»
_(«One last thing strikes me: remember that MLK famously said that people should not be evaluated based on ‘the color of their skin’. «Do you think that your request would run afoul of MLK’s admonition?»)

Die Hochschule feuerte Klein sofort nachdem Studenten sich über seine „rassistischen Bemerkungen“ erregt hatten.

Weder bekam er Gelegenheit, sich zu rechtfertigen, noch mussten seine Ankläger darlegen, was in ihren Augen an seiner rhetorischen Frage eigentlich falsch war. Anklage, Urteil und Vollstreckungsbescheid waren praktisch identisch.

Den Fall von Shor hatte der Publizist und Politikwissenschaftler Yascha Mounk, derzeit an der Johns Hopkins University in Washington, kürzlich in einem Beitrag für die Zeit erwähnt, um zu illustrieren, dass so etwas wie Cancel Culture tatsächlich existiert. Denn zu der Debatte um den Hinauswurf von Falschmeinern, die Verhinderung von Veranstaltungen und den Druck auf Verlage gehört auch die regelmäßig von Wahrmeinern vorgetragene Behauptung, eine Cancel Culture gebe es in Wirklichkeit nicht, es handle sich um eine Erfindung beziehungsweise einen Kampfbegriff von nicht näher definierten Rechten.

Im deutschsprachigen Raum existiert dazu eine Art Liturgie mit drei bequem nacherzählbaren Fällen, die verschiedene Medien als Beweisführung gegen Cancel Culture fast wortgleich abspulen:
Gegen die zunächst vom _„Nochtspeicher» in Hamburg ausgeladene Kabarettistin Lisa Eckhart habe es ja keine ernsthaften Gewaltdrohungen gegeben, sondern nur das Gerücht, es könnte bei ihrem Auftritt zu spontanen linken Zornbekundungen kommen, die Ausladung sei auch wieder zurückgenommen worden, außerdem habe Eckhart dutzende Interviews zu der Angelegenheit geben können.

Zweitens sei die auf Druck von Twitter-Aktivisten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zuerst gelöschte Videobotschaft des Kabarettisten Dieter Nuhr – ein kurzes Plädoyer für die Vorläufigkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen, versehen mit einem kleinen Seitenhieb gegen Greta Thunberg – später wieder online gestellt worden. Also wieder keine Cancel Culture.

Und drittens die Autobiografie von Woody Allen „Ganz nebenbei“, gegen deren Publikation bei Rowohlt eine Reihe von Autoren des Verlags – Margarete Stokowski, Sascha Lobo und andere – mobil gemacht hatten mit der Begründung, wegen der (in Wirklichkeit juristisch nie belegten) Missbrauchsvorwürfe gegen Allen dürfe das Buch dort nicht erscheinen: Rowohlt ließ sich nicht erpressen, sondern veröffentlichte. (Übrigens kündigte dann doch keiner der erfolglosen Abkanzlerautoren seinen Vertrag mit Rowohlt, sie waren also bereit, weit zu gehen, aber nicht an ihre materielle Schmerzgrenze).
Die drei Geschichten dienen also als standardisierter Beweis dafür, dass Cancel Culture nirgends ernsthaft droht.

Es handelt sich wie gesagt um bequem nacherzählbare Fälle. Weniger passende lassen Verbreiter dieses Abwehrnarrativs lieber weg.
Etwa den des Leipziger Malers Axel Krause, der schon 2018 seinen Galerievertrag verlor, weil er auf Facebook die Migrationspolitik der Bundesregierung kritisierte, und im August 2020 von der Teilnahme an einer Ausstellung wieder ausgeladen wurde – weil dem Versicherer das Risiko von Anschlägen auf die Bilderschau zu hoch erschien.
Oder den Rauswurf des Chefs der hessischen Filmförderung Hans Joachim Mendig, dessen Vergehen darin bestand, dass er sich mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen aus Neugierde zu einem Mittagessen getroffen hatte.

Einen Punkt – keinen wirklichen Punkt, eher Fußnote – haben die Es-gibt-keine-Cancel-Culture-Erzähler hierzulande für sich: Im angelsächsischen Raum geht die Praxis des argumentationsfreien Ausschließens, Feuerns und Beschweigens viel weiter als in Deutschland. Das zeigt sich übrigens auch an Woody Allens Autobiografie: Während Rowohlt bei der Veröffentlichung blieb, strich sein amerikanischer Verlag Hachette das Buch nach dem Druck des Twitter-Mobs kurzfristig aus seinem Programm. Es sprang zwar mit Arcade Publishing ein anderer Verlag in die Lücke. Allerdings verändern und verengen sich Verhältnisse, wenn ein großes Haus wie Hachette – so wie Universitäten und Unternehmen – dem Druck der Twittertaliban nachgibt.

Ein weniger berühmter und wirtschaftlich weniger interessanter Autor als Allen muss jetzt damit rechnen, nach einer ähnlichen Anklage überhaupt keinen Verleger mehr zu finden. Und genau darin besteht das Ziel der Übung: Ein kleiner gutorganisierter Wächterrat bestimmt mehr und mehr die Regeln, und deren Regeln laufen grundsätzlich auf beweislose Anklagen, Begrenzung und Ausschluss hinaus. Auf bestimmten Themenfeldern liegen mittlerweile so dichte Minengürtel, dass Leute aus drucksensiblen Milieus sie vorsichtshalber nicht mehr betreten. Jedem Hochschulangestellten, jedem Mitarbeiter von Unternehmen, die sich dem Wächterrat unterworfen haben, kann es etwa bei der geringsten selbst indirekten Kritik an Black Lives Matter so gehen wie David Shor oder Gordon Klein.

In Großbritannien entwickelte sich der Komplex der so genannten Sex Grooming Gangs zu einer ähnlich gefährlichen Sperrzone. Von den Gangs muslimischer Männer– meist mit pakistanischen Wurzeln – waren in Rotherham und anderswo tausende überwiegend minderjährige Mädchen abhängig gemacht und missbraucht worden.
Polizei und Behörden verschlossen davor lange die Augen aus Angst, als ‚rassistisch’ gebrandmarkt zu werden. Als die Labour-Abgeordnete Sarah Champion aus Rotherham 2017 in einem Zeitungsbeitrag forderte, über die Verachtung der muslimischen Täter für ihre weißen Opfer zu diskutieren, verlor sie ihre Position im Labour-Schattenkabinett. Bis heute wird sie von identitären Linken als Rassistin angefeindet.
Vor kurzem gab es eine heftige Debatte, ob das (Tory-geführte) Innenministerium seine Untersuchung über die Sex Grooming Gangs überhaupt veröffentlichen sollte.

In dem Unterwerfungsfeldzug der Meinungswächter – das ist vielleicht der wichtigste und immer noch ungenügend verstandene Punkt – geht es darum, nach und nach ganze Themen für die Debatte zu sperren. Und erst in zweiter Linie um den Angriff auf einzelne Personen. Die individuellen Attacken sind Mittel, nicht das eigentliche Ziel. Der Streit um Debattenfreiheit ist keine Fehde unter Intellektuellen. Zu den Opfern des systematischen und korrekten Beschweigens gehören in erster Linie Leute wie die Missbrauchsopfer von Rotherham, die ganz andere Verluste zu ertragen hatten als ein gefeuerter Universitätsdozent.

Verglichen mit der Lage in den USA und Großbritannien ist die Cancel Culture in Deutschland tatsächlich noch ein Entwicklungsprojekt. Sie wirkt sich noch nicht so toxisch aus wie in ihrem Ursprungsland, auch wegen des deutschen Arbeitsrechts, das es nach derzeitigem Stand nicht erlaubt, einen Universitätsmitarbeiter zu feuern, weil sich Studenten verletzt fühlen.
Der Punkt ist: Sollte der Kampf gegen die Cancel Culture in Deutschland, der Schweiz und Österreich deshalb erst einmal nur mit halber Kraft geführt werden? Das wäre so, als würden Hausbewohner das Übergreifen eines Brandes von nebenan nur beobachten und sich darauf verständigen, dass erst gelöscht wird, wenn das eigene Dach komplett in Flammen steht. Der linksliberale Yascha Mounk sieht die Situation für die USA mittlerweile genau so wie sein liberal-konservativer Kollege Niall Ferguson:

Erst galt die Forderung nach ’safe spaces’ und Diskussionseinschränkungen als eher skurriles Anliegen einer Minderheit in Universitäten. Inzwischen beherrscht sie viele Universitäten komplett. Jetzt greift die Cancel-Ideologie weit darüber hinaus in immer größere Gebiete der Gesellschaft wie ein Feuersturm, der das alte Ökosystem vernichtet, in dem hunderte Meinungen nebeneinander blühen konnten. Mounk warnte deshalb seine deutschen Leser in dem Zeit-Artikel, den gleichen Fehler zu begehen wie viele in Amerika, die den Vernichtungsfuror der Wächterräte lange unterschätzten. Das linksliberale Lager unterschätze ihn so lange, bis es Leute aus dem eigenen Milieu wie Shor traf. Das Magazin Atlantic schrieb über Shor und andere: „Hört auf, die Unschuldigen zu feuern“. Was die Autoren übersehen: In einem talibanesken System gibt es keine Unschuldigen.

Mounks Name steht unter dem Aufruf von 153 Intellektuellen des englischsprachigen Raums in Harper’s, die sich für Grundregeln der freien Debatte einsetzen. Unter dem Appell von Harper’s sammeln sich Intellektuelle mit linksliberalen bis konservativen Ansichten, etwa die Schriftstellerin Joanne K. Rowling, der Politikwissenschaftler Noam Chomsky, der Autor Malcolm Gladwell und der liberal-konservative Philosoph Francis Fukuyama.
Der Aufruf gegen Gesinnungsdruck und für ein Ökosystem von Meinungen von Autoren und Wissenschaftlern aus Deutschland, der Schweiz und Österreich ähnelt dem Text von Harpers’s darin, dass sich dort nicht nur die üblichen Verdächtigen finden, sondern öffentliche Personen, die ansonsten in vielen Dingen miteinander streiten. Darum geht es ja gerade. Den deutschsprachigen Aufruf publizierte die Plattform Intellectual Deep Web Europe, die sich an den (ironischen) Begriff „Intellectual Dark Web“ anlehnt, eine Plattform für den von politischer Korrektness freien Meinungsaustausch, die von den Autoren Jordan B. Peterson, Sam Harris und anderen als Reaktion auf den wachsenden Gesinnungsdruck in Universitäten und etablierten Medien gegründet worden war.

Initiatoren des deutschsprachigen und weiter unten dokumentierten Aufrufs sind der Autor und Redakteur Milosz Matuschek (Der Schweizer Monat, Neue Züricher Zeitung) und der Publizist Gunnar Kaiser.
Zu den Erstunterzeichnern gehören Autoren wie Alexander Kluge, Monika Maron, Asfa-Wossen Asserate, Ralf Bönt, Cora Stephan, Dieter Nuhr und Günter Wallraff, der Philosoph Robert Pfaller, Wissenschaftler wie der Jurist Reinhard Merkel, der Historiker Jörg Baberowski, der Medientheoretiker Norbert Bolz, die Migrationsforscherin Sandra Kostner und die Ethnologin Susanne Schröter, Journalisten, Redakteure und Autoren mehrerer Medien, unter anderem Götz Aly (Berliner Zeitung), Michèle Binswanger (Tagesanzeiger), Frank Lübberding und Philip Plickert (FAZ), Harald Martenstein (Zeit, Tagesspiegel), Alexander Kissler (NZZ), Alexander Grau (Cicero) und Ferdinand Knauß (Tichys Einblick), der Autor dieses Textes wie gesagt auch.
Ein zentraler Satz des Aufrufs stammt von Jean Paul:
„Freiheit ist ein Gut, dessen Dasein weniger Vergnügen bringt als seine Abwesenheit Schmerzen.“

Die Unterzeichner des Appells bekennen sich zu Standards für die öffentliche Debatte, die den Raum offen halten sollen.
Erstens wenden sie sich gegen jede Form der Cancel Culture, also Druck auf Veranstalter, Multiplikatoren oder Plattformbetreiber. Wohlgemerkt: schon gegen erpresserischen Druck, nicht erst gegen vollendete Ausladungen, Absagen und Löschungen.
Zweitens solidarisieren sie sich mit denen, die unter einen Gesinnungsdruck gesetzten werden.
Drittens setzen sie eine Regel: Der öffentliche Raum und die Themen darin gehören allen. Niemand besitzt das Recht, Zugangsbeschränkungen auszurufen, etwa die, dass nur Farbige über Rassismus sprechen dürfen, oder dass deren Meinungen von vorn herein schwerer wiegen.
Und viertens lehnen die Unterzeichner das Prinzip der Kontaktschuld ab. Meinungen übertragen sich nicht durch Nähe auf einem Podium oder in einem Verlagsprogramm.

Was die 153 von Harper’s und die Erstunterzeichner des deutschsprachigen Appells zusammenbringt, sind drei Phänomene, die im blinden Fleck der Wächterräte liegen, nämlich Spiel, Spaß und Spannung. Überall dort, wo Aufpasser ganze Themenfelder abriegeln und Debattenteilnehmer bei Strafe der Verfemung dazu zwingen, jeden Satz auf heikle Formulierungen abzuklopfen, stirbt als erstes der Witz (früher einmal ein Synonym für Geist) und zweitens jede Überraschung.

Die Debattensimulation unter der Fuchtel der Korrektness erinnert an die Deklamationsabende im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die dort unter der Bezeichnung Talkshow laufen, an so genannte Diskurse an der Berliner Volksbühne oder die Kolumnen in der Meinungsabteilung von Spiegel Online. Buchstäblich jede Wendung dort lässt sich voraussehen, jedenfalls für den, der überhaupt noch zuschaut. Auftritte von Kasper, Krokodil und Schutzmann wirken dagegen vergleichsweise anarchisch.

Erstaunlich viele Autoren und Wissenschaftler in der öffentlichen Arena mit ansonsten unterschiedlichsten Ansichten merken, dass sie ein Quantum Witz und Spiel brauchen, weil sie sich sonst zu Tode langweilen. Und ihr Publikum auch. Mehr Gemeinsamkeit braucht es gar nicht.
Apropos zu Tode langweilen: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg sendete etwas zu dem deutschsprachigen Appell, allerdings achtete die Redaktion darauf, außer der Überschrift des Aufrufs nichts zu zitieren. Sie fasste noch nicht einmal seinen Inhalt zusammen, sondern suggerierte, es stünde darin, „dass man seine Meinung nicht äußern dürfe“. Das klingt dann so:

„Gerade am Wochenende war es zu sehen: Menschen dürfen in Deutschland sehr lautstark öffentlich ihre Meinung sagen. Dennoch ist die Ansicht offenbar weit verbreitet, dass man in Deutschland oder auch in anderen Ländern seine Meinung nicht äußern dürfe. Politische Korrektheit wird als Gängelung empfunden. Heute ist ein Appell im Internet veröffentlich worden, ’Appell für freie Debattenräume’, so der Titel.“

Warum auch nicht? Wer den ‚Sturm auf den Reichstag’ erfindet, kann notfalls auch einen ganzen Aufruf für das RBB-Publikum neu dichten und die uralte Strohpuppe des Abgedrifteten, der, höhö, sagt, dass er nichts sagen darf, auf die Gebührenfunkrampe zotteln. Dort sitzt sie dann zusammen mit Anatol Stefanowitsch, „Sprachwissenschaftler an der FU Berlin und Autor des Buches ‚Eine Frage der Moral – Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen’“. Er spricht mit einem RBB-Redakteur statt mit einem Unterzeichner des Aufrufs. Stefanowitsch weiß auch so, was Alexander Kluge, Asfa-Wossen Asserate, Monika Maron, Jörg Baberowski und andere „überwiegend männliche“ Unterzeichner des Aufrufs treibt, nämlich „die Angst vor dem Bedeutungsverlust“.

Ernsthaft: Wer hört bei diesen selbsttherapeutischen Gesprächen noch zu?
Das besondere der beiden Aufrufe liegt darin, dass im Feld der Unterzeichner wirkliche Vielfalt herrscht. Sowohl aus den Harper’s– als auch den Namen aus Deutschland, Schweiz und Österreich ließe sich sofort eine anregende und möglicherweise auch unkalkulierbare Diskussionsrunde zusammenstellen. Auch eine Tafelrunde. Oder die Autorenriege eines Mediums, für das ein Publikum freiwillig Geld ausgeben würde.

In der Geschichte gab es mehrere Moral- und Tugendregime, die den Kreis des Erlaubten immer enger und den der Sünder immer weiter zogen. Girolamo Savonarolas Herrschaft der Eiferer in Florenz (inklusive Kindersturmtrupps, die Fanciulli) Johannes Calvins Diktatur in Genf, Robespierres Jakobinerzeit. Alle dauerten erstaunlich kurz, denn alle übten ihre Macht durch ständige Verschärfung von Anklage und Urteilen aus, wodurch sie unablässig die Zahl ihrer Gegner vergrößerten. An einem bestimmten Punkt setzten sich Leute zusammen, die wahrscheinlich unter normalen Bedingungen nicht zusammengefunden hätten, um durchzukalkulieren, was sie riskieren, wenn sie sich verweigern, und was sie verlieren, wenn sie sich unterwerfen. Immer kamen sie zu dem gleichen Ergebnis. Insbesondere für Savonarola und Robespierre ging die Geschichte auch persönlich nicht gut aus.

In den USA, dem Mutterland der neuen Savonarolas, gibt es einige Anzeichen, dass ihre Ära diesen Punkt erreicht hat. Der Harper’s-Appell gehört dazu. Mit der Supermarktkette Trader Joe’s entschied sich gerade ein großes Unternehmen (nach kurzem Schwanken), seine angeblich ‚rassistischen’ Logos auf den Packungen von asiatischem, lateinamerikanischem und französischem Essen nicht wie von Aktivisten gefordert zu entfernen, sondern beizubehalten. Auch deshalb, weil die Hauptaktivistin, eine blonde weiße Kalifornierin, keine verletzten und beleidigten Kunden mit asiatischen und Latino-Wurzeln auftreiben konnte. Die Jobvermittlungs-Seite Unwoke umwirbt Firmen, die Fachkräfte suchen, während sie von narzisstischen Aktivisten verschont bleiben möchten.

In Großbritannien gewann die Labour-Abgeordnete Sarah Champion ihren Wahlkreis Rotherham wieder, obwohl es Labour im Dezember 2019 nicht leicht hatte. Sie blieb, der frühere Parteichef Jeremy Corbyn, der sie als Rassistin abkanzelte, endete ziemlich ruhmlos.

Die Hölle lässt sich ziemlich einfach ausmalen: Eine Talkshow im deutschen Gebührenfernsehen mit Savonarola, Calvin, Robespierre, Corbyn und irgendeinem ausgelosten Aktivisten m/w/d, dessen Namen sich keiner merken muss.
Es wäre sogar die Hölle für die Teilnehmer selbst.
Savonarola sieht übrigens auf sämtlichen Porträts (es gibt etliche) so aus, als würde er sein Ende schon kennen.

Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.

31 Kommentare
  • G. Grünklee
    4. September, 2020

    Was für eine Infamie: Wenn die beabsichtigten «Cancel Culture»-Maßnahmen ausnahmsweise mal auf Widerstand stoßen (Nuhr, Eckhardt) und deshalb im Versuchsstadium steckenbleiben, feiert man diesen Widerstand groß als Beweis dafür, dass hier in Deutschland doch alles in Ordnung, die Meinungsfreiheit intakt sei und von Cancel Culture keine Rede sein könne. Dabei ist Nuhr ein absoluter Publikumsliebling, zudem Kämpfer gegen Rechts/AfD, und wenn sogar ihm so etwas passiert, ist die Cancel Culture schon verdammt weit fortgeschritten, 5 vor 12 sozusagen.
    Aus meiner katholischen Vergangenheit habe ich noch folgendes Bibelzitat in Erinnerung: «Wenn das am grünen Holz geschieht, was geschieht dann erst am dürren», also an den Leuten, die im Gegensatz zu Nuhr keine Fans und keine große Öffentlichkeit haben?
    Für den, der es nicht gar so religiös mag, ein anderes Zitat:
    » Denn die einen sind im Dunkeln
    Und die andern sind im Licht.
    Und man siehet die im Lichte
    Die im Dunkeln sieht man nicht. »
    (kennt wohl jeder)

    Hoffen wir mal, dass der Aufruf der 153 etwas bewirkt.
    Wieder mal ein Artikel von Alexander Wendt, der Maßstäbe setzt. Ich hoffe, seine gesammelten Artikel erscheinen dereinst als Buch, damit man nach dem Ende der Bleiernen Merkelzeit nachweisen kann: Es gab damals nicht nur framende Relotiusse und stromlinienförmige Merkeljournalisten, sondern auch ein paar anständige, kompetente, seriöse Journalisten, die trotz aller Widrigkeiten und Widerstände ihren Beruf noch ernst nahmen.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Dieter Schilling
    4. September, 2020

    Apropos ‘Grundregeln der freien Debatte’- Es gibt bei M.K. am 2.9.20 den hervorragenden Spruch: «Wer heute das Radio oder den Fernseher einschaltet, erlebt das Systematische dieses Regimes in seiner Vollendung: Sämtliche Themen sind bis ins Detail ihrer Behandlung hinein vorhersehbar.» (Frank Lisson)

    Auf diesen Kommentar reagieren

    • L´Epouvantail du Neckar
      6. September, 2020

      Der SWR in Stuttgart scheint solch eine Piazza di Signoria zu sein, auf dem die per ordre der savonarolenden Linksbrut als Luxus deklarierten demokratisch-freiheitliche Ballast aufgehäuft und angezündet werden kann.
      Heute Morgen ist mir während des Frühstücks bei der Sendung «Begegnungen» der Kragen geplatzt. In dieser Sendung führen meist kirchlich geprägte Personen/Perso_Innen eine verbissenene Framing-Campagne im «Kampf gegen rechts» und sehen in jedem mit abweichend-kritischer Eigenmeinung einen Neonazi.
      .
      In einer Mail bat ich den Sender darum, mir zu erklären, wo er z.B. im gutmenschlichen Stuttgart die Gefahr von «rechts» sieht und ob er die vandalisierte Königsstraße von kürzlich nicht eher der linken und migrantischen Szene zuordnen möchte. Aber nach meinen Erfahrungen mit dieser Sendeanstalt eine verlorene Liebesmüh´.

      Auf diesen Kommentar reagieren

      • Al.Ter
        7. September, 2020

        Dem SWR sitzt ja jetzt der Herr Gniffke vor, der lange Jahre den Kurs der Tagesschau/Tagesthemen vorgegeben hat (einseitige Sichtweise etc. pp.) – den Klinkhammer & Bräutigam stets heftig kritisiert haben.

        Auf diesen Kommentar reagieren

      • Bruno Koslovski
        7. September, 2020

        Der tiefrote DLF ist auch nicht besser . Neulich gab es auf NDR -Info wieder einen Beitrag aus der Reihe «auf ein Wort» von diesem unsäglichen Florian Schroeder. Das ist auch so eine linke Sprechpuppe. Ein echter Framing Experte übelster Sorte. Da sah selbst ich mich genötigt zu intervenieren. Obwohl ich eigentlich bei den GEZ-Medien eh keine Chance sehe gehört zu werden. Und es kam nicht mal eine Antwort.
        Übrigens mal wieder ein sehr lesenswerter Beitrag, Danke Herr Wendt.

        Auf diesen Kommentar reagieren

        • Bruno Koslovski
          8. September, 2020

          Ich habe meine Worte an den NDR nochmal ausgegraben:
          Nachricht:
          Hallo,
          was ich gestern wieder von diesem Florian Schröder hören mußte nervt einfach nur noch. Diese linke Sprechpuppe erinnert mich irgendwie an meinen alten Parteisekretär, nur dass der wenn er wollte auch witzig sein konnte. Ich will Dieter Nuhr zurück !
          Gruß B. Koslovski

          Auf diesen Kommentar reagieren

          • L´Epouvantail du Neckar
            10. September, 2020

            Der Dieter Nuhr ist aus ähnlichem Holz wie der Schröder, werter Herr @ Koslovski. Der Nuhr kann das nur gepielt konspirativ besser rüberbringen. Alles linke Nagetiere (Selbstzensur).

  • Grand Nix
    4. September, 2020

    „In der Geschichte gab es mehrere Moral- und Tugendregime, die den Kreis des Erlaubten immer enger und den der Sünder immer weiter zogen. Girolamo Savonarolas Herrschaft der Eiferer in Florenz (inklusive Kindersturmtrupps, die Fanciulli) Johannes Calvins Diktatur in Genf, Robespierres Jakobinerzeit. Alle dauerten erstaunlich kurz, denn alle übten ihre Macht durch ständige Verschärfung von Anklage und Urteilen aus, wodurch sie unablässig die Zahl ihrer Gegner vergrößerten.“

    Lieber Herr Wendt, ich hätte in keiner dieser von Ihnen als „erstaunlich kurz“ titulierten Zeit leben wollen. Die kurze Zeit der Mauer, der Eiserne Vorhang, der Antikapitalistische Schutzwall, blablabla sollte Ihnen doch Warnung genug sein.
    Zeit ist relativ, Herr Wendt.
    Und das ist kein so leicht dahingesagter Satz. Ein George Floyd, würde mir, würde er noch leben, in diesem Punkt recht geben, da waren bereits acht Minuten zu viel.

    Ungeachtet dessen, ist die Problematik der Moral- und Tugendregime, die zu allen Zeiten ihr Unwesen treiben, sehr gut von Ihnen beleuchtet, wie immer möchte man sagen.

    Ich war schon als Jugendlicher eine begeisterte Leseratte, habe hier bereits einige Leseempfehlungen zum Besten geben dürfen. Darunter auch einer meiner Lieblingsschriftsteller: Stefan Zweig. Habe alle wichtigen Werke von ihm gelesen, wie auch von Hesse, Böll usw. Eine Buchempfehlung möchte ich auch an dieser Stelle kundtun: Zweigs «Castillo gegen Calvin». Es ist voll mit Textmarker, Anstichen und Randbemerkungen, so liebte ich es damals. Das Buch passt zu diesem Thema und der Schreibstil von Zweig ist genauso exzellent wie Ihrer.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Joseph
    4. September, 2020

    Super Kommentar. Man merkt (wieder mal), wie sehr dem Autor dieses Thema am Herzen liegt.

    Insofern ist es beachtlich, wenn andere meinen, es gibt keine Cancel Culture. Peng, aus, Ende der Diskussion.

    Zwei Dinge sind für mich von zentraler Bedeutung:

    1. „Das linksliberale Lager unterschätze ihn [den Vernichtungsfuror der Wächterräte] so lange, bis es Leute aus dem eigenen Milieu wie Shor traf.„

    2. „Übrigens kündigte dann doch keiner der erfolglosen Abkanzlerautoren seinen Vertrag mit Rowohlt, sie waren also bereit, weit zu gehen, aber nicht an ihre materielle Schmerzgrenze.“

    Punkt Eins: Kann ich für mich so bestätigen. Bis 2006 überzeugter Spiegel und Spiegel Online Leser. Bis zum Fall Ermyas Mulugeta. Das, was ich über den Fall las, entsprach überhaupt nicht den Veröffentlichungen in lokalen Medien oder dem was ich von Bekannten hörte. Spiegel und Co. erzählten eine eigene Geschichte, die nach Abschluss der Gerichtsverhandlung nichts mit der Realität zu tun hatte. Das war mein „Erwachungsmoment“.

    Punkt Zwei: Genau das, was diese Spezialisten fordern und behaupten, sind sie selbst nicht bereit zu erbringen. Der gängige Tenor lautet doch: Man kann alles sagen. Man muss nur den Gegenwind und die Konsequenzen ertragen. Der Unterschied ist eben nur, dass diese Forderer selbst nicht dazu gedrängt werden, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen und zu kündigen.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Libkon
    4. September, 2020

    Ich hatte früher immer gedacht, dass der Mensch vernunftbegabt, also vernünftig, sei. Goethe flüsterte mir dann noch ins Ohr: Edel sei der Mensch, hilfrei und gut. Heute weiss ich, dank der Neurowissenschaften, dass alles, aber auch wirklich alles, was wir «vernuftbegabten» Wesen als Vernunft zu erkennen vermeinen, zunächst erst einmal durch das Kleinhirn muss, also ausgerechnet dort, wo wir Menschen Emotionen empfinden (Daher auch der direkte Zugang der Musik, weil die Ratio noch ausgeschaltet ist). Wären wir Menschen hingegen in der Lage, zunächst die Vernunft einzuschalten, wären all die von Ihnen, Her Wendt, exzellent geschilderten Irrungen und Wirrungen der Menschheit schnell korrigiert. So aber müssen wir uns damit abfinden, dass wir, ein jeder von uns «flawes», also Unzulänglichkeiten, haben, mit denen zu leben ist. Daher ist dem Aufruf zuzustimmen, in der Hoffnung, dass die Ratio/Vernunft gewinnt.

    Auf diesen Kommentar reagieren

    • Grand Nix
      4. September, 2020

      Das Welterbe der Menschheit ist und bleibt die Dummheit. (die Gier, der Geiz, die Völlerei sind da nur kleine Zweige des Riesigen Baums Dummheit). Das nicht dazulernen Wollen, nicht vergleichen Wollen, nicht selbstständig denken und handeln und rechtzeitig innehalten Wollen, ist masseimmanent. Dummheit ist so eklig anhaftend wie Hundekot am eigenen Schuh, und genauso schlecht zu beseitigen. Und wer viel unterwegs ist, wird sich diesem überall herumliegenden Kot nicht auf Dauer entziehen können. Dummheit ist eine solide Konstante, auf die man bauen sollte, wenn man nicht tagtäglich enttäuscht werden will. Dummheit vernichtet alles Vernünftige und Rationale, immer wieder, immer wieder aufs Neue. Man studiere die Geschichte, man lese große Biographien. Was ein Einzelner auch immer gedacht und in Gang gesetzt haben mag (Klugheit und Besonnenheit tritt häufig nur singulär, jedoch nie in Masse auf), sei sicher, es wird eher früher als später wieder zunichte gemacht werden. Die Masse flankiert von Ideologen und Propheten sorgt dafür, Hand drauf. Goethe lässt uns im Tasso auch geschliffen wie lapidar wissen: man fühlt die Absicht und ist verstimmt. Ach würde es doch nur bei Verstimmungen diesbezüglich bleiben. Nein, ich sage Ihnen voraus, ohne prophetische Fähigkeiten zu besitzen, das ist erst der Anfang, der Anfang vom Übel. Es wird noch schlimmer kommen, viel schlimmer. Ich persönlich durfte diesbezüglich schon reichlich Erfahrung in meinem Leben sammeln, bin jedoch nicht daran zerbrochen. Und das alles sage ich Ihnen, lieber Libkon, nicht als Pessimist, sondern als gestandener Realist, wie Goethe einer war. Lesen sie meine Buchempfehlung: «Castellio gegen Calvin» von Stefan Zweig oder die «Aphorismen zur Lebensweisheit» von Schopenhauer, und Sie verlieren die Illusion von hilfreich, gut und vernuftbegabt. All das soll es ja irgendwo und irgendwie geben, ja, aber all dies ist vermutlich so selten zu finden wie ein Alpenveilchen oder ein Einhorn.

      Auf diesen Kommentar reagieren

  • pantau
    4. September, 2020

    Vielen Dank für diesen erstklassigen Artikel! Schneeflöckchen gab es schon immer. Der Unterschied ist, daß seit schon viel zu langer Zeit sich alle den Schneeflöckchen und ihren bei weitem schlimmeren Stellvertretern unterwerfen. Das ganze wird begünstigt durch ein Bildungssystem, das einen immer höheren Anteil an Menschen produziert, die unterhalb der Möglichkeit bleiben, ein Argument überhaupt auch nur zu begreifen. Daher die Regression auf archaische Denkformen wie Kontaktschuld, Kontamination, religiöse Kategorien und natürlich das Primat des Fühlens. Nichts gegen Gefühle, aber sie müssen immer wieder aus ihrer Hermetik rausgeholt werden. Sowohl durch Kunst als auch durch Realität. Entsteht Terror nicht immer aus einem Mangel an Bereitschaft, sich in seinen Befindlichkeiten irritieren zu lassen?

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Jürgen Patalong
    4. September, 2020

    Ein wirklich guter Artikel von Ihnen, dem ich in allen Punkten zustimme. Ich habe den Aufruf auch schon unterschrieben. Den Link sollten Sie vielleicht noch mal besonders hervorheben. In diesen Kontext passt übrigens auch die RBB-Sendung «Corona-Demos – wieviel Radikalität muss die Demokratie aushalten?» vom 1.9.2020. Der «Moderator» Andreas Rausch missbrauchte seine Funktion in unverschämter Weise und entpuppte sich schnell als verbaler Schlagetod gegenüber dem eingeladenen Michael Ballweg, Gründer von «Querdenken 711». Er wurde nur noch übertroffen von seinem Kollegen Olaf Sundermeyer, der sich offenbar nur noch mit Schaum vor dem Mund artikulieren kann. Die Folge waren über 180 Kommentare von Zuschauern, die sich fast ausnahmslos über diese Art von «Debattenkultur» empörten. Das ist die gute Nachricht. Sind irgendwelche Folgerungen seitens des RBB zu erwarten? Nein. Das ist die schlechte Nachricht. Und noch schlimmer: Der ohnmächtige Zuschauer darf solche Rabauken über das GEZ-Zwangsgeld auch noch finanzieren.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Immo Sennewald
    4. September, 2020

    Wie notwendig der Appell gegen «cancel culture» ist, wird in diesem gescheiten Text offensichtlich. Die Realität totalitärer Rituale kollektiver Unterwerfung untermauert ihn – und es versteht sich von selbst, mit der Gegenwehr zu beginnen, ehe die Guillotinen für die freie Meinungsäußerung aufgerichtet sind. Zeigen wir, wer damit die informelle Macht erringen, Geist, Kultur und Selbstbestimmung durch religiösen Gesinnungskitsch ersetzen will, zeigen wir die neuen Jacobiner als die ebenso lächerlichen wie menschenfeindlichen Figuren, als die sie historisch gescheitert sind. Die fröhliche Wissenschaft soll gelobt und munitioniert sein mit Sektkorken, spitzem Witz und leichter Feder.

    Auf diesen Kommentar reagieren

    • Albert Schultheis
      5. September, 2020

      «You can’t fool all the people all the time!» – Sagt der amerikanische Volksmund und wir werden sehen, welche Mehrheit sich in der kommenden US-Wahl durchsetzen wird. Damit sind aber die Unis noch längst nicht zurückerobert und befreit. Die Reconquista des öffentlichen Raumes für die Freiheit muss endlich beginnen. Dafür danke an Sie, Herr Wendt, für ihr geistreiches Engagement! Ich möchte noch ein Thema hinzufügen, das mir die Wut im Bauch zum Kochen bringt: Zwei Mädchen aus meinem engsten Freundeskreis, die eine sogar Mischlingskind mit afrikanischem Vater (der allerdings deutscher denkt als die meisten meiner ehemaligen Schul- und Studienkameraden) wurden in jüngster Zeit vergewaltigt bzw. in dem einen Fall blieb es zum Glück bei dem Versuch, allerdings mit nachhaltigen traumatischen Folgen. In beiden Fällen wurde niemand angeklagt, geschweige denn verurteilt, es gab noch nicht einmal eine Anzeige! Die Täter waren in beiden Fällen nach Schilderung der Mädchen Migranten, der eine sogar entfernt mit dem Mädchen befreundet. Wie ist das möglich in Deutschland zumal nach einer #metoo-Debatte, die wie eine Sau durch die Sprengel der «Qualitätsmedien » gejagt wurde? Wie viele Mädchen, wie viele Familien gibt es noch in diesem besten aller möglichen Deutschlands, denen Ähnliches widerfahren ist und die schweigen? Zum Schweigen gebracht wurden! Welche Verlogenheit dieses #metoo-Rummels! Angesichts dessen kommt mir nur der Zynismus des Edellinken Adorno in seinem Brief an die Eltern hoch wie gallige Kotze: «Ich habe nichts gegen die Rache als solche, wenn man auch nicht deren Exekutor sein möchte – nur gegen deren Rationalisierung als Recht und Gesetz. Also: möchten die Horst Güntherchen in ihrem Blut sich wälzen und die Inges den polnischen Bordellen überwiesen werden, mit Vorzugsscheinen für Juden.»

      Auf diesen Kommentar reagieren

  • Norbert Meyer-Ramien
    4. September, 2020

    Ein ausgezeichneter Beitrag, bei dem es ja nicht nur um die Freiheit sondern auch um die Wahrheit geht. Wer bei uns die Energiewende kritisiert wird öffentlich-rechtlich als Klima-Leugner tituliert, wer das Corona-Masken-Diktat (ff für Schüler) kritisiert ist analog ein Corona-Leugner. Von meiner Mutter (Kriegerwitwe) erfuhr ich, dass man im sog. Dritten Reich Kritik an diesem nur leise und nicht öffentlich kundtun durfte. Hinter der hohlen Hand wurde dann gemurmelt: «Wenn das der Führer wüsste !» Bei meinen Verwandten- und Messe-Besuchen in Leipzig (DDR) erfuhr ich in den 70er-Jahren Vergleichbares. Sind bei uns bald nur noch die Gedanken frei und heißt es Schnauze halten ! Maske drüber ! ? Gott bewahre !

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Dr. Heinz Albert Friehe
    4. September, 2020

    Sehr geehrter Herr Wendt!

    Ich schätze einmal mehr Ihre abgewogene und fundierte Gedankenführung. Sie ist gleichwertig zu dem Credo Markworts bei der Werbung für sein Kind, den FOCUS, das er immer in unnachahmlicher Pose den Zuschauern «ins Gesicht» zurief : «Fakten, Fakten, Fakten». Sich dem als Leser «auszuliefern» ist manchmal nicht einfach, aber am Schluss kann ich wenigstens aufatmen «Hier wirst Du nicht von einem Dummkopf, der unkündbar auf seinem Redakteurssessel sitzt, für dumm verkauft».

    Kennen Sie übrigens schon das Sarrazin-Interview in der neuesten JF? Es ist unglaublich, welch geistige Unabhängigkeit dieser (Noch?)-SPD-«Mann» seit Jahren unter Beweis stellt – und von welchen «Banausen» er verrissen wird. Ich erinnere mich lebhaft an seine Zeit als Berliner Finanzsenator. Er sagte damals (sinngemäß): Von Hartz IV kann man leben. Und wenn man im Winter friert, (Halbsatz 1) muss man sich eben einen warmen Pullover anziehen, (Halbsatz 2) wie wir das nach dem Krieg auch mussten» (Er, 1945 geboren, kann das als kleines Kind sehr wohl noch erlebt haben).
    Wie sind da die «Gutmenschen über diesen Barbaren hergefallen», indem sie sich an Halbsatz 1 dadurch abbarbeiteten, dass sie Halbsatz 2 unter den Tisch fallen ließen. Bei Publico (m.E. gab es das damals noch nicht) wäre das nicht passiert. Sarazzin gehört zu den Großen unserer Republik.

    Machen Sie weiter so! Und bleiben Sie dabei gesund!

    Das wünscht sich mit freundlichen Grüßen
    Heinz Albert Friehe

    ___________________
    Gesendet über einen
    kabelgebundenen Festnetzanschluss
    zur Minimierung von Elektrosmog
    Kabelkommunikation = funkfrei
    = umwelt- und gesundheitsverträglich!

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Materonow
    5. September, 2020

    Die Gleichschaltung der Mainstreammedien in Deutschland erreicht alsbald den Spannungsgrad des «neues Deutschland» zu SED-unseligen Zeiten.
    Die Einschüchterung Andersdenkender ist ein probates Mittel des genial konstruierten Kartenhauses namens Marxismus!

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Werner Bläser
    5. September, 2020

    Savonarolas Bewegung, deren ‘fanciulli’ mit angespitzten Stöcken durch Florenz liefen und die Häuser der Bürger auf unerlaubte Luxusgüter durchsuchten, ist nur die bekannteste Hypermoral-Sekte. Wir selbst hatten das Wiedertäufer-Regime von Münster, das sich durch fröhliches Hinrichten von Dissidenten auszeichnete; sein bestallter Henker Knipperdollinck soll sogar Vergnügen bei seiner Tätigkeit gefunden haben. Die schlimmsten dieser Regimes waren aber das von Pol Pot sowie der chinesische Taiping-Aufstand in den 50iger und 60iger Jahren des 19. Jahrhunderts. Letzterer wandte sich nicht nur gegen die reichen Landbesitzer (weshalb man sie als Proto-Kommunisten bezeichnen könnte), sondern auch gegen die Mandschu-Herrschaft der Qing-Dynastie. Diese Bewegung und der von ihr vom Zaun gebrochene Bürgerkrieg in China forderte insgesamt um die 20 Millionen Todesopfer.
    Als die frommen, CHRISTLICHEN (!) Taipings Nanjing eroberten, sonderten sie die Mandschu-Frauen (rund 20.000) aus der Bevölkerung aus, trieben sie vor die Stadt und verbrannten sie bei lebendigem Leib.
    Allen diesen sektiererhaften Bewegungen ist gemeinsam, dass sie ursprünglich mit löblich klingenden, nachvollziehbaren Prinzipien und Motiven – an die die Mehrheit von ihnen wahrscheinlich auch glaubte – auf Menschenfang gingen.
    Leider führt die Perzeption absoluter Moral bei sich selbst in böser Regelmässigkeit zu absoluter Hybris, Masslosigkeit und Realitätsverlust.
    Und bei der Führung tritt sehr oft alsbald ein anderer Effekt ein: Die «Machiavellisierung» – man nutzt die einst ehrlich gemeinten Prinzipien nur noch als Machtmittel. Machiavelli selbst, der einige Predigten Savonarolas hörte, hat das politische Kalkül dieses «Moralisten» in seinem Brief an Ricciardo Becchi nüchtern analysiert.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • ToNo
    5. September, 2020

    Wunderbar geschrieben und wieder mal voll ins Schwarze getroffen! Ein typischer Wendt 🙂
    Ich hoffe nur, dass Langeweile und mangelnder Witz nicht der Hauptantrieb für die Initiatoren und Erstunterzeichner waren, dafür steht zu viel Ernstes auf dem Spiel. Und Dank für die optimistische Wahrnehmung von Licht am Horizont, aber ich fürchte, dass das eher die versinkende Sonne vor einer sehr langen Nacht ist.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • alnitak0123
    5. September, 2020

    «Die neuen Taliban, ihre vorübergehenden Erfolge – und woran sie scheitern werden»

    Ja, sie werden scheitern. Zwangsläufig. Spätestens wenn «der Kreis des Erlaubten» zu einem Punkt kollabiert ist. Aber der frühe oder späte Zeitpunkt ihres Scheiterns wird darüber entscheiden, welche Verwüstungen sie bis dahin angerichtet haben.
    Und ich bin zwar der Hoffnung, aber keineswegs der festen Gewissheit, dass wir es hier mit einer temporären, …

    «Alle dauerten erstaunlich kurz, denn alle übten ihre Macht durch ständige Verschärfung von Anklage und Urteilen aus,

    … kurzlebigen Erscheinung zu tun haben.
    Die Inquisition hat sich ein halbes Jahrtausend gehalten. Weil die Befürworter und Nutznießer(!) in den kirchlichen, Hierarchien auf entsprechend einflussreichen Posten saßen und so gut wie keine Opposition zu fürchten hatten.
    Darüber hinaus hatten sie auch noch das Monopol auf die (Un-)Bildung des gemeinen Volkes, dass entsprechend den brennenden Ketzer mit angenehmem Gruseln beklatschte.
    Günstigerweise brauchten sich die
    «domini canes» dabei nicht einmal selber die Hände schmutzig machen. Es reichte die Verurteilung. Wegen fehlender Blutgerichtsbarkeit musste dann die weltliche Macht zu dessen Vollstreckung eilen.

    Kommt das bekannt vor?

    Exakt so, wie heute die entsprechenden Institutionen, die Macht über Stellung und Reputation, Einkommen und Fortkommen, Sicht- und Hörbarkeit oder sonstige Lebensumstände des Ketzers haben.
    Die werden zwar gerne von interessierter Seite (und gefallen sich selbst so auch) quasi als sekundäre Opfer solcher Kampagnen dargestellt, sind aber in vielen Fällen bereits Mittäter.
    Denn: Der wilde Cancel-Mob da draußen kann geifern, lügen und schreien, kann fordern und drohen, enscheiden kann er i.d.R. garnichts. Das passiert immer noch in den adressierten Institutionen (und jeder sabbernde Schreihals aus dem Twitter- oder sonstwie-Mob wäscht voller widerwärtiger Genugtuung seine dreckigen Finger in Unschuld), die vielfach erstaunlich wenig Widerstand leisten, oft beim leisesten Gesäusel im Netz schon vorauseilend gehorchen.
    Denn: Die klammheimlichen wie auch die ostentativen Apologeten dieser Ideologie sitzen längst in den Universitäten und Verlagen, in den Medien und ‘Plattformen’, den Parteien und NGOs und selbst in marktorientierten Unternehmen und steuern da mehr oder weniger subtil die Unterwerfungs-Entscheidungen.
    Und dazu benötigen sie nicht einmal eine längere Lern- oder Adaptions-Phase: Die kommen schon so aus den allgemeinbildenden Schulen, weil das die ersten Orte waren, wo sich der meinungsdiktatorische Urschleim festgesetzt hat.

    «… finden sich lagerübergreifend Intellektuelle gegen die Cancel Culture zusammen. Sie haben verstanden: Wer die Debatte wieder groß machen will, muss die Gouvernanten kleinmachen»

    Viele derer, die sich da jetzt ‘zusammenfinden’ haben sich ja bisher vornehm zurückgehalten, in dem irrigen Glauben, sie persönlich seien klar ausserhalb der Gefahrenzone. Und ich fürchte, einige davon werden auch die Ersten sein, die nach vielleicht ein paar kleinen Erfolgen, möglicherweise gar der öffentlichen Verurteilung der schlimmsten Auswüchse, wieder zur Tagesordnung übergehen.

    «In dem Unterwerfungsfeldzug der Meinungswächter – das ist vielleicht der wichtigste und immer noch ungenügend verstandene Punkt – geht es darum, nach und nach ganze Themen für die Debatte zu sperren. Und erst in zweiter Linie um den Angriff auf einzelne Personen. Die individuellen Attacken sind Mittel, nicht das eigentliche Ziel.»

    Ändert nichts an der Tatsache, dass diese ‘individuellen Attacken’ unabdingbar sind. (Die eigentlichen Ziele, sprich die zu tabuisierenden Themen sind eh völlig inhomogen, je nachdem, welche ‘Taliban’-Fraktion da gerade die Attacke reitet, Schutztaliban für Refuges, Klima, Kälbchen, BLM, Feminism, sexuelle Diversität, und jo, auch die islamische Umma, wohl das einzige Thema, wo ggf. mit echten Taliban zu rechnen ist, :o) und …, …, … )
    Das berühmt / berüchtigte: «Bestrafe einen, erziehe tausend» oder so, funktioniert nur, wenn dieser Eine auch tatsächlich und öffentlich bestraft wird.

    Andererseits ist das aber auch der Punkt, weil hier konkrete Fakten im Raum stehen, wo man am effektivsten den Hebel ansetzen kann, um
    a) – die Irrwitzigkeit der Attacke sichtbar zu machen und
    b) – die Attackierer und vor allem aber deren intrainstitutionellen Apologeten und Manipulierer zu identifizieren.

    Da es recht sinnlos ist, gegen einen anonymen Mob anzuschreiben, der pro Minute 1.000 geistlos blökende Kommentare generiert, sind unmittelbar die Entscheider in den adressierten Institutionen, respektive die Institutionen als ganzes, im Blick zu halten. Das sind nämlich realiter die o.a. Gouvernanten, die möglichst kleinzuhalten sind. Die plärrenden Bälger, die um jene herumwuseln, verstummen dann ganz von selber. Institutionen, die vom Mob zum Lynchen eines selektierten Opfers aufgefordert wurden, sich aber stattdessen entschieden hinter selbiges gestellt haben, eventuell noch mit ‘nem ausdrucksstarken Spruch für die hohlen Köpfe, hatten meist nach zwei … drei Schnappatmern Ruhe. Neben allen sonstigen Defiziten: Ausdauer hat der Mob nämlich auch nicht.
    Und jeder von denen, die einem Appeasement gegenüber dem Mob, einer Sanktionierung des designierten Opfers aufgrund missliebiger Meinungsäußerungen oder Kontakte, unbelegter, herbeiphantasierter oder im Kontext völlig irrelevanter ‘Verfehlungen’ das Wort redet, sollte ab sofort in Erwartung eines Konter-Shitstorms leben, der ebenfalls nicht ohne Einfluss auf seine Lebensumstände bleiben könnte. Notfalls mit den gleichen Mitteln, die er ja gerade noch für entscheidungdrelevant hielt.
    Aber ich fürchte, dass sich die Riege derer, die sich da ‘zusammengefunden haben’, zu fein dazu ist. (Das ist keinesfalls abwertend gemeint.) Indes könnte ein richtiger ‘Holzer’, dessen Texten man es instantan anliest, dass er auf jede Form von ‘political Correctness’ scheißt, vielleicht Wunder wirken.

    «Erstaunlich viele Autoren und Wissenschaftler in der öffentlichen Arena mit ansonsten unterschiedlichsten Ansichten merken, dass sie ein Quantum Witz und Spiel brauchen, weil sie sich sonst zu Tode langweilen. Und ihr Publikum auch. Mehr Gemeinsamkeit braucht es gar nicht.»

    Ja, und erschreckend viele Autoren und Wissenschaftler sind wohl von den Sitten in dieser öffentlichen Arena schon so eingeschüchtert, dass sie es nicht einmal mehr schaffen, selbst in ihren Appell einen Hauch Witz und Geist, Spiel und ja, gerne auch Offensive hineinzubringen.
    Wie gut, dass ich den Appell schon vor dem Lesen der Langform mitgezeichnet habe. Nachher hätt’ ich’s womöglich verschlafen.

    «Auftritte von Kasper, Krokodil und Schutzmann wirken dagegen vergleichsweise anarchisch.»

    Immerhin ist bei denen nur schwer vorstellbar, dass das Kasperl, welches eigentlich die Großmutter vor dem Krokodil beschützen will, von selbiger im Verein mit dem Schutzmann verdroschen wird.
    In dieser Hinsicht, welche Allianzen sich da oft und gegen wen zusammenfinden, ist das RL immer noch spannender, als das chaotischste Kasperltheater.
    >,->

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Peter Wichmann
    5. September, 2020

    Wenn gegenwärtig „erstaunlich viele Autoren und Wissenschaftler… merken, dass sie ein Quantum Witz und Spiel brauchen“ ist das kein Licht in der Finsternis, sondern ein weiteres betrübliches Zeichen dafür, daß dieses Milieu die mit dem Ansturm der „neuen Taliban“ verbundene Bedrohung noch immer unterschätzt. Die „neuen Taliban“ sind nicht neu. Es sind die immer wieder in Wellen zurückkehrenden Wiedergänger kollektivistischer Glaubenskrieger, die seit Jahrhunderten das Blut der Ungläubigen ebenso eifernd vergießen wie das der verdächtigten Abweichler in den eigenen Reihen. In Kurzfassung nachzulesen bei Michael Klonovsky „Warum die Linke ´ewig´ ist „. In deprimierender Ausführlichkeit in Igor R. Schafarewitschs Buch „Der Todestrieb in der Geschichte: Erscheinungsformen des Sozialismus“
    Es geht – gerade und vor allem für Intellektuelle – nicht um „Witz & Spiel“. In diesem Kontext ist nichts spaßig oder könnte es sein. Es geht um Kopf und Kragen. Nüchtern kommentiert Hadmut Danisch mit Blick auf kollektivistische Fanatiker aller Schattierungen: „Und wer nicht paßt, wird umgebracht. Und am wenigsten passen ihnen Leute wie ich: Individualisten. Leute, die sich keinem Kollektiv, keiner Szene anschließen“. (HD, 26.7.20). Wir, die wir glaubten, in einer zumindest halbwegs aufgeklärten Gesellschaft zu leben, finden uns in einem Glaubenskrieg wieder. Bislang gelingt es den meisten dies zu verdrängen, weil die heiße Phase hierzulande noch aussteht. Andernorts lodern bereits die Flammen. In den USA so heftig, daß in Berichten über das Land immer häufiger das Wort „Bürgerkrieg“ auftaucht.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Axel Geertz
    6. September, 2020

    Die Feinde der Offenen Gesellschaft sind wieder intensiv unterwegs.
    Wir sollten uns immer wieder erinnern an die von Karl Popper begründete philosophische Denkrichtung des kritischen Rationalismus. Popper beschreibt eine solche Lebenseinstellung als eine, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“. Bei einer solchen Grundhaltung ist man mit eigenen Behauptungen sehr vorsichtig; aber Dank an die Initiatoren dieses Aufrufs.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Stefan Michael
    6. September, 2020

    Der zitierte Linguist A. Stefanowitsch ist – muss man es noch erwähnen? – auch ein Verfechter des sogenannten „Genderns“. Und genauso wie er im Zusammenhang mit Leuten, die sich für einen freien Diskurs aussprechen, einfach so und ohne Grundlage behauptet, diese hätten Angst vor einem „Relevanzverlust“, fabuliert er frei von der Leber weg, wenn es um Sprache geht. Unlängst sagte dieser linke Aktivist im Wissenschaftsgewand bspw. im Deutschlandfunk, das Deutsche müsse das sogenannte generische Maskulinum aufgeben, weil Frauen gar nicht mehr marginalisiert seien und die Sprache deshalb nicht die Gesellschaft widerspiegele wie sie ist. Das ist äußerst bemerkenswert, weil die Genderszene und er selbst sonst das genaue Gegenteil behaupten. Logik und Wissenschaft spielen aber bei den Genderisten und Linksextremen wie Herrn Stefanowitsch keine Rolle mehr – man fragt sich wirklich, wie jemand, der so argumentiert, an einen Lehrstuhl gekommen ist. Letztendlich geht es solchen Leuten aber gar nicht um Logik, Wissenschaft, Frauen, Minderheiten oder sonstige Menschen, die sie als Opfer markieren. Ihr stalinistisch anmutender Verhinderungsfuror hat nur ein Ziel: Die Schaffung einer neuen Gesellschaft nach neomarxistischen Ideen. Und das ist nun wirklich – um Stefanowitschs Aussage aufzugreifen – eine sehr alte Idee alter bzw. toter weißer Männer.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Gero Micheler
    6. September, 2020

    Mounks Einlassungen sind insofern bemerkenswert, als man ihn bisher als Soros-nahen, selbstgefälligen Karriereakademiker erleben konnte. Die Angst vor dem vielleicht eigenen drohenden Einkommensverlust bewirkt offensichtlich Wunder.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Otto Thoenißen
    6. September, 2020

    Dass Amazon und ähnlich marktbeherrschende Konzerne beim Talibanen gerne mitmachen, ist ja schon bekannt. Das aber ist zumindest für mich nochmal eine neue Qualität:
    Mir wurde gestern mein Verkaufskonto, dass ich seit Jahren nicht mehr angerührt hatte, tatsächlich «gesperrt», weil ich folgendes angeboten haben soll: «Göttergleich: Ein Felidae-Roman [Taschenbuch] [2014] Pirinçci, Akif». Tatsache ist, dass ich den völlig harmlosen Katzenkrimi über Amazon (!) verkauft und versendet hatte und zwar, sage und schreibe, vor 6 Jahren (2014), also lange vor jeglichem Sündenfall. Nun also der lange Arm der Gerechtigkeit.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Al.Ter
    7. September, 2020

    Der Artikel trifft es – hinsichtlich «Cancel Culture» haben Sie den guten Herrn Steimle vegessen zu erwähnen, den die MDR-Intendantin (die SED-geschulte Karola Wille) geschasst hat.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Karl
    8. September, 2020

    Auch die beliebteste TV-Moderatorin Deutschlands, war schon Opfer der PC, als es den Begriff «Cancel Culture» noch gar nicht gab.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Urs Bärlein
    9. September, 2020

    Als Geschichtsbanause, der in der aktuellen historischen Transformationsphase seine weitgehenden historischen Kenntnisdefizite außerordentlich bedauert, gibt es hier für mich wieder jede Menge zu lernen. Diese Chance lasse ich mir nicht entgehen.

    «Ähnlichkeiten mit heutigen Wächtern sind Zufall…» Komisch, dass sich keiner der Kommentatoren hierzu äußert. Mir fällt jedenfalls bei obigem Bildnis eine gewisse Ähnlichkeit Savonarolas mit einem besonders eifernden Minister des Merkelregimes auf. Da dieser Ähnliche (meistens) eine Brille trägt, ist die Ähnlichkeit wohl nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Es mag aber auch sein, dass ich an einem Verfolgungswahn leide und diesen Herrn Minister überall zu entdecken glaube. 🙂

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Werner Bläser
    9. September, 2020

    «Und wer sich zum Herrn einer Stadt macht, die gewohnt gewesen ist, in Freiheit zu leben, und sie nicht ganz auflöst, mag nur erwarten, selbst von ihr zugrunde gerichtet zu werden. Denn der Name der Freiheit dient immer zum Vorwande des Aufstandes, und die alte Staatsverfassung wird weder über die Länge der Zeit noch über Wohltaten vergessen. Was man aber auch immer für Vorkehrungen treffen mag, so kommen, wenn die Einwohner nicht getrennt und zerstreut werden, immer der alte Name und die alte Verfassung wieder zum Vorschein…» (Machiavelli, Der Fürst, Kap. V).
    Preisfrage: Reicht die Umdeutung der jüngeren Vergangenheit (1945-bis ca. 90iger Jahre) und die Multikultisierung Deutschlands, die auch eine Art «Zerstreuung» im Sinne Machiavellis ist, aus, um die alte Freiheit vergessen zu machen? Es gibt genug ältere Menschen in Deutschland, die sich erinnern können, wie frei es hier zuging. Und auch der Osten erwischte einen kurzen zeitlichen «Zipfel» der Freiheit, nach 1989.
    Es wird für die Gleichschalter auf Dauer nicht einfach werden. Denn nicht nur Freiheit kann unbequem sein, totalitäre Tendenzen erst recht. Einschränkungen und Bevormundung machen das Leben ab einem bestimmten Punkt zur Mühsal.
    Der Ethnologe Alfred Kroeber erklärte die Abschaffung des hawaiianischen Tabu-Systems 1819 mit seinem Konzept der «cultural fatigue»: die Menschen wurden es leid, sich an die zahllosen komplizierten Verbote zu halten. Anthony Downs hat in seinem bahnbrechenden Aufsatz «The Issue Attention Cycle» (in: ‘Public Interest’, Summer 1972) das wellenhafte Auf und Ab von Themenkarrieren thematisiert. Irgendwann hat die Öffentlichkeit bestimmte Themen einfach satt und reagiert auf sie nur noch mit Desinteresse.
    Zwar treibt die Linke alle paar Monate «eine neue Sau durchs Dorf», um den Druck aufrecht zu erhalten, aber das grundlegende Thema ist ja immer das gleiche: Unsere Gesellschaft ist schlecht und muss umgestaltet werden.
    Es ist aber schwierig, ganze Gesellschaften im Zustand der permanenten Aufregung oder sogar Hysterie zu halten – irgendwann erfolgt eine natürliche Abstumpfung, und man nimmt die Alarmpropheten nicht mehr ernst. Darauf müssen wir hoffen.

    Auf diesen Kommentar reagieren

Original: Die neuen Taliban, ihre vorübergehenden Erfolge – und woran sie scheitern werden

Liebe Leser von Publico: Dieses Onlinemagazin erfüllt wie eine Reihe von anderen Medien, die in den letzten Jahren entstanden sind, eine zentrale und früher auch allgemein selbstverständliche publizistische Aufgabe: Es konzentriert sich auf Regierungs- und Gesellschaftskritik. Offensichtlich besteht ein großes Interesse an Essays und Recherchen, die diesen Anspruch erfüllen. Das jedenfalls zeigen die steigenden Zugriffszahlen.
Kritik und Streit gehören zur Essenz einer offenen Gesellschaft. Für einen zivilisierten Streit braucht es gut begründete Argumente und Meinungen, Informationen und Dokumentationen von Fakten. Publico versucht das mit seinen sehr bescheidenen Mitteln Woche für Woche aufs Neue zu bieten. Dafür erhält dieses Magazin selbstverständlich kein Steuergeld aus dem Medienförderungstopf der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, kein Geld aus dem Fonds der Bundeszentrale für politische Bildung (obwohl Publico zur politischen Bildung beiträgt) und auch keine Überweisungen von Stiftungen, hinter denen wohlmeinende Milliardäre stehen. Ganz im Vertrauen: Publico möchte dieses Geld auch nicht. Die einzige Verbindung zu diesen staatlichen Fördergeldern besteht darin, dass der Gründer des Magazins genauso wie seine Autoren mit seinen Steuern dazu beiträgt, dass ganz bestimmte Anbieter auf dem Medien- und Meinungsmarkt keine Geldsorgen kennen. Es gibt nur eine Instanz, von der Publico Unterstützung annimmt, und der dieses Medium überhaupt seine Existenz verdankt: die Leserschaft. Alle Leser von Publico, die uns mit ihren Beiträgen unterstützen, machen es uns möglich, immer wieder ausführliche Recherchen, Dossiers und Widerlegungen von Falschbehauptungen anzubieten, Reportagen und Rezensionen. Außerdem noch den montäglichen Cartoon von Bernd Zeller. Und das alles ohne Bezahlschranke und Abo-Modell. Wer unterstützt, sorgt also auch für die (wachsende) Reichweite dieses Mediums.
Publico kann dadurch seinen Autoren Honorare zahlen, die sich nicht wesentlich von denen großer Konzernmedien unterscheiden (und wir würden gern noch besser zahlen, wenn wir könnten, auch der unersetzlichen Redakteurin, die Titelgrafiken entwirft, Fehler ausmerzt, Leserzuschriften durchsieht und vieles mehr).
Jeder Beitrag hilft. Sie sind vermutlich weder Claudia Roth noch Milliardär. Trotzdem können Sie die Medienlandschaft in Deutschland beeinflussen. Und das schon mit kleinem Einsatz. Der Betrag Ihrer Wahl findet seinen Weg via PayPal – oder per Überweisung auf das Konto 
(Achtung, neue Bankverbindung!) A. Wendt/Publico DE88 7004 0045 0890 5366 00, BIC: COBADEFFXXX
Dafür herzlichen Dank.

Die Redaktion