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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Zeller der Woche: Memoiren

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Von Bernd Zeller / / spreu-weizen / 3 min Lesezeit

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3 Kommentare
  • Gerhard Sauer
    11. Februar, 2020

    Auf den Versuch, eine Regierung mit «menschlichem Antlitz» in Thüringen zu installieren, hätte man verzichten können, wenn man die alte thüringische Volksweisheit „Ein Kemmerich macht noch keinen Frühling“ ernst genommen hätte. Aber jede Generation hält sich für weiser als die vorhergehenden und macht alte Erfahrungen immer wieder neu. Auch Dubcek hat sich seinerseits nicht bei den Thüringern nach den Erfolgsaussichten seines Reformprogramms in der Tschechoslowakei erkundet und ist folgerichtig an der schlechten Laune von Breschnew und Ulbricht gescheitert. Böse Zungen behaupten, die beiden hätten gegen Dubcek geputscht; die Wahrheit ist jedoch, daß ihre Intervention gut gemeint war und nur dem Schutz der sozialistischen Errungenschaften in der CSSR diente. Auch die Tschechen und Slowaken waren froh, von den Frühlingsdisteln um Dubcek befreit zu werden und empfingen die sowjetischen Soldaten mit frenetischem Jubel. Nie zuvor hatte man buntgeschmücktere Panzer wie nach dem Einmarsch gesehen, die Bevölkerung bombardierte sie regelrecht mit Blumensträußen.

    Im Anschluß an die Operation „Rettung des Sozialismus in der CSSR“ mußte natürlich das Unkraut, das glaubte blühen zu dürfen, um einen Frühling vorzutäuschen, ausgerottet werden. Rund 500000 Mitglieder der kommunistischen Partei wurden mit Füßen vor die Tür gejagt, um einen Rückfall in falsche Frühlingsträume zu verhindern. Danach lebten die Tschechen und Slowaken in Frieden und Eintracht und freuten sich ihrer sozialistischen Aufbauleistung und Erfolge. Erst 1989 wurden sie aus diesem Paradies vertrieben und müssen seitdem im Elend des Kapitalismus dahinvegetieren.

    Aus diesen Vorgängen sollten wir lernen und erkennen, wie heilsam der Putsch Merkels gegen Kemmerich ist. Abweichungen von der geraden Linie des allseits gelobten und gesegneten Merkelsystems müssen frühzeitig gestoppt und rückgängig gemacht werden, bevor sie in Armut und Knechtschaft enden. Es gilt wie im Beispiel der CSSR: Die merkelschen Errungenschaften müssen geschützt werden, damit sie sich unter dem Beifall und Zuspruch der werktätigen Bevölkerung friedlich weiter entwickeln können. Es versteht sich von selbst, daß Provokateure und Unbelehrbare in die Schranken gewiesen werden müssen. Wo diese Schranken aufgerichtet werden, wird demnächst bekanntgegeben. Besonders zu loben ist die Einsatzwilligkeit der grün-roten Merkeltruppen zur Bekämpfung der Feinde des thüringischen Volkes, sie treten würdig an die Stelle der Sowjettruppen in der CSSR. Jeder, der gegen das Merkelsystem sein freches Maul erhebt, bekommt ein paar auf das selbige und muß mit Einweisung in das Gatter aus Schranken rechnen. In diesem Sinne: Es lebe der Merkelismus!

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    • Berger
      12. Februar, 2020

      Herr Sauer, Ihr hochdosierter Sarkasmus ist wie der Hammer auf den Daumen: Erst tut es weh, dann geniesst man das Nachlassen des Schmerzes. Nur: Die von Ihnen beschriebenen Schranken werden schon seit geraumer Zeit errichtet, aber langsam, so dass der ahnungslose Bürger Zeit hat, sich daran zu gewöhnen.

      @Bernd Zeller: Zu Ihrer bitterbösen Karikatur braucht nichts weiter zu sagen. Ich wünschte mir, sie wäre nicht nur der kleinen Publico-Gemeinde vorbehalten.

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  • Lichtenberg
    11. Februar, 2020

    Der Begriff «Thüringer Frühling» wäre in seiner meteorologischen Nebenbedeutung als geschickte Verharmlosung der machtvollen, nachhaltigen europäischen Klimarettungsinitiative schärfstens zu hinterfragen. Nur ein alter, weiser Mann ist einer derartig treffenden, subversiven Begrifflichkeit fähig. Die Kanzlerin – sie lebe hoch! – hat wieder einmal das Schlimmste in allerletzter Minute verhindern können und wird nicht lange auf ein Glückwunschschreiben des Herrn Bundespräsidenten zu warten haben. Einige Personalien haben in diesem Kontext jedoch höchste Priorität. – Das Unwort des noch jungen Jahres 2020 kann ohne jeden Zweifel nur – horrobile dictu! – der «Thüringer Frühling» sein.

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Original: Zeller der Woche: Memoiren

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