Wenn sich ein Politiker bedrängt fühlt
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Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) verantwortet nicht nur eine marode Polizei. Er ließ kürzlich auch einen Journalisten abdrängen, der ihn mit Fragen dazu nervt. Außerdem lässt er unhaltbare Behauptungen über den Publizisten verbreiten
Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 13 min Lesezeit
Der Berliner Journalist und Blogger Anatol Wiecki kann mitunter sehr lästig sein. Vor allem für Politiker des sozialdemokratisch-grün-linken Senats. Vor einigen Wochen machte Wiecki stadtweit Furore, als er die miserable Infrastruktur der Berliner Polizei dokumentierte. Der Journalist hatte versucht, die Polizei anzurufen, um sie aufzufordern, ein Auto abzuschleppen, das einen barrierefreien Straßenübergang zugeparkt hatte.
Er hing 9 Minuten und 5 Sekunden in der Warteschleife der Polizei und hörte nur die Bandansage, ohne dass jemand abnahm. Dann brach die Verbindung ab. Wiecki schnitt den erfolglosen Kontaktversuch mit, und stellte ihn ins Netz.
Darauf berichteten etliche Zeitungen, denn er hatte einen Nerv getroffen: Die Erfahrung, dass der möglicherweise lebenswichtige zentrale Polizeinotruf oft schlecht oder gar nicht erreichbar ist, machten schon etliche andere Berliner. Das Problem existiert seit längerer Zeit, und zwar aus einem berlintypischen Grund, der unmittelbar in die Verantwortung des Innensenators fällt. Die Notrufzentrale musste im Juni von ihrem Quartier am Platz der Luftbrücke umziehen – weil das Gebäudedach einer Notsanierung unterzogen wird. Es regnete durch. Schon 2015 wurde der Bau asbestsaniert, das schon damals marode Dach aber – warum auch immer – vergessen. Im Ausweichstandort der Notrufzentrale in der Friesenstraße existiert nur eine Uralt-Telefonanlage. Die längste in der Stadt dokumentierte Wartezeit in der Telefonschleife liegt bisher bei 11.08 Minuten. Den Sanierungsstau für die meist alten, heruntergewirtschafteten Berliner Polizeigebäude beziffert der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt auf eine Milliarde Euro.
Der Journalist Wiecki ließ es nicht bei der Dokumentation der Notruf-Not: Im August ging er zu einem Pressetermin auf einem öffentlichen Platz, bei dem Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) neue Fahrzeuge an die Feuerwehr übergab, und versuchte ihn nach den Zuständen bei der Polizei zu fragen. Allerdings erfolglos: Geisel ignorierte den Frager, ein Polizist drängte Wiecki schließlich ab. Diesen Vorgang nahm der Blogger auf Video auf, jedenfalls, soweit es ging. Nach einem Wortwechsel stellte sich der Beamte nämlich auch so vor Wieckis Kamera – wohlgemerkt auf einem öffentlichen Platz – dass er nicht mehr filmen konnte.
Zu diesem Vorgang stellte der Berliner FDP-Abgeordnete und innenpolitische Sprecher seiner Fraktion Marc Luthe eine Anfrage an Geisel. Dessen Antwort, die TE beziehungsweise Publico vorliegt, bringt den Politiker erst Recht in Schwierigkeiten. Denn sie enthält offenbar gleich zwei falsche Behauptungen. Geisels Behörde teilt darin mit:
„Nach dem Ende der Veranstaltung trat unvermittelt eine der Polizei Berlin einschlägig bekannte Person an den Senator heran, ohne sich als Journalist zu erkennen zu geben. Die Person stellte sich nicht persönlich vor, sondern fragte lautstark direkt und ohne Erläuterung des Zusammenhangs nach der Notrufsituation bei der Polizei Berlin. Dabei bedrängte er den Innensenator verbal und physisch, so dass die Personenschützer des Innensenators eingreifen mussten. Der Senator hat gegenüber der Person mehrfach deutlich gemacht, dass er in dieser Art und Weise kein Gespräch führen werde. Auch nach der klaren Gesprächsabsage hat die Person den Innensenator weiter bedrängt.“
TE beziehungsweise Publico liegt ein kurzer und ein ausführlicher Video-Mitschnitt der Szene vor.
Darauf ist zu sehen, dass Wiecki in keinem Moment den Innensenator körperlich bedrängt. Die Aufnahme dokumentiert, dass Geisel sogar selbst kurz versucht, die Kamera des Journalisten zuzuhalten.
In dem längeren Mitschnitt ist außerdem zu sehen und zu hören, wie Wiecki, nachdem er gebeten hatte, mit dem Politiker über die schlechte Erreichbarkeit des Polizei-Notrufs zu sprechen, dem schon mehrere Meter entfernten Geisel zuruft: „Warum wollen Sie nicht? Warum wollen Sie denn nicht?“ In dem Moment kommt der einzige Dialog zwischen dem hartnäckigen Frager und dem SPD-Politiker zustande. Geisel antwortet: „Weil Sie den Notruf missbraucht haben.“
Der Vorwurf ist erstens nach allen vorliegenden Fakten falsch. Und zweitens zeigt er, dass der Innensenator die Hauptstadtpresse offenbar verfolgt, Wieckis Dokumentation der 9-Minuten-und-5-Sekunden-Warteschleife mitbekommen hatte, und also auch sehr genau wusste, wer der Journalist war, der ihn mit seinen Fragen nervte.
Am Ende ist noch zu sehen und zu hören, wie Wiecki den Polizisten fragt, der ihn abdrängt, warum er am Filmen gehindert wird. Der Beamte antwortet: „Es gibt aber auch Regeln.“ Welche Regel es in Berlin einem Journalisten verbieten soll, einen Politiker auf einem presse- und publikumsöffentlichen Termin zu filmen, verriet er nicht. Kein Wunder. Es gibt nämlich keine.
«Es ist eine Sache, mit einem Pressevertreter gerade nicht sprechen zu wollen oder zu können“, kommentiert der FDP-Abgeordnete Luthe, „aber eine ganz andere, einen freien Journalisten bei einem öffentlichen Auftritt an seiner Arbeit zu hindern – besonders, wenn man wie dieser Senat in seinem Koalitionsvertrag 37 mal von ‚Transparenz’ schwadroniert.»
Interessant ist in der Antwort der Innensenatsverwaltung auch die Formulierung: „eine der Polizei Berlin einschlägig bekannte Person“ für Anatol Wiecki. Bekannt ist Wiecki natürlich wegen seiner Kritik an dem schlecht funktionierenden Notrufsystem, die, siehe oben, nicht nur auf dem Blog des Journalisten erschien, sondern auch ein erhebliches Presseecho in den Berliner Blättern gefunden hatte. Der Journalist und Blogger genießt auch wegen spektakulärer Aktionen und Performances eine gewisse Bekanntheit in der Hauptstadt und bei deren Behörden. Am 13. August 2003 etwa blockierte er zum Gedenken an den 42. Jahrestag des Mauerbaus zusammen mit einer kurzfristig zusammengetrommelten Gruppe kurz eine zentrale Straßenkreuzung; die etwa 100 Leute legten sich auf den Asphalt, um an die Mauertoten zu erinnern. Wiecki ist nicht nur Journalist, Autor, Blogger, sondern auch gelegentlich Politclown und Aktivist. Nur eben einer, der erkennbar nicht die Sympathie der Berliner Regierungsparteien genießt.
Es passiert nicht zum ersten Mal, dass die Berliner Politiker und Behörden rüde mit einzelnen Publizisten umgehen, hinter denen keine Redaktion steht. Der Autor und Schriftsteller Hajo Lehmann hatte 2018 seine satirisch-polemisch gefärbten Recherchen zu dem offenbar geschönten Lebenslauf der Berliner Regierungssprecherin Claudia Sünder veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft überzog ihn darauf nicht nur mit einem Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung, sondern ließ auch Hoffmanns Arbeitsgeräte – Computer, Mobiltelefon, Drucker – beschlagnahmen, und behielt sie monatelang mit der lächerlichen Begründung ein, das sei zur „Beweissicherung“ nötig. Dabei hatte Lehmann die Autorenschaft der Recherchen zu Sünder nie bestritten. Bemerkenswerterweise entschieden bisher zwei Gerichte, dass Lehmanns Recherchen tatsächlich weitgehend zutreffen. Sünder, so die Richter, habe in ihrer offiziellen Biografie frühere Lebensstationen geschönt und gefälscht.
Sünder übt ihr Amt als Regierungssprecherin übrigens nach wie vor aus.
TE und Publico fragten bei Geisel an, worauf er seine Behauptung stütze, Wieki habe ihn „physisch bedrängt“, und wie er zu der Beschuldigung kommt, der Journalist habe den Polizeinotruf „missbraucht“.
In einem anderen aktuellen Fall – in dem es allerdings nicht um eine nervende Einzelperson ging, sondern um eine aggressive Gruppe – verhielt sich Innensenator Andreas Geisel dagegen außerordentlich nachsichtig. Obwohl er die ordnungsrechtlichen Möglichkeiten dazu gehabt hätte, unternahm er nichts zur Verhinderung einer arabischen Israel-Hass-Kundgebung am Brandenburger Tor, die am Mittwoch stattfand. Erst auf erheblichen Druck von Bundespolitikern und Organisationen untersagte Geisel in letzter Minute den Auftritt der beiden arabischen Rapper Shadi Al-Bourini und Shadi Al-Najjar, die mit deutschem Visum aus Ramallah anreisen durften. Beide sind bekannt für Songs, in denen sie unter anderem die Bombardierung Tel Avivs und das „Zertreten“ von Juden fordern. Ein Lied der beiden wurde trotzdem abgespielt, ohne dass die Polizei die Kundgebung abbrach. Ein Redner beschimpfte Deutsche wegen des Auftrittsverbots für die Rapper als „Nazis“.
Auch bei dieser Kundgebung drängte die Polizei wieder einen Einzelnen weg: den Vizepräsidenten der europäischen Studentenunion Ruben Gerczikow, der die Kundgebung beobachtete und ein kleines Pappschild mit der Aufschrift „Kein Platz für Antisemitismus“ an seinen Rucksack geheftet hatte. Davon, so Polizisten zu Gerczikow, könnten sich die arabischen Kundgebungsteilnehmer „provoziert“ fühlen.
Was in Berlin als Provokation zu gelten hat und was nicht – damit scheint Andreas Geisel sich auszukennen.
8 Kommentare
Original: Wenn sich ein Politiker bedrängt fühlt
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Pauline G
26. September, 2019Unglaublich! Und was hört man vom Reg. Bürgermeister (H. Broder nannte ihn «das Regierende Placebo») dazu???? Gunnar Schupelius prangert regelmäßig in der Berliner Zeitung (glaube ich) Berlin typische Zustände an: So haben von den Ausländerbehörden in den verschiedenen Berliner Bezirken nur 1! Bezirk das entsprechende Gerät, um Passfälschungen zu erkennen. Alle anderer Bezirke/Ausländerämter lehnen den Kauf dieses Gerätes mit den fadenscheinigsten Begründungen ab!!! Betrug muss erwünscht sein! Im Namen der «richtigen» Gesinnung!
Bernhard Kaiser
27. September, 2019Wenn ich mir das Kurz-Video anschaue und die Reaktion vom Innensenator und von dem Polizisten anschaue, fällt mir nur noch eines ein: STASI-Methoden …
Dr. Kunz
27. September, 2019Solche Zustände sind Normalität überall im Land. In Jena gibt es z.B. ein Stadtoberhaupt, das die Aufarbeitung einer mutmaßlichen Stasi-Vergangenheit eines führenden städtischen Beamten beharrlich verhindert. Überdies gibt er noch dem Beamten die privaten Daten des SED-Opfers und Fragestellers weiter, damit dieser den mit Unterlassungs- und Beleidigungsklagen überziehen kann. Ist doch prima! Nach 30 Jahren darf der gleiche Täter das gleiche Opfer wieder «bearbeiten». Schöne neue Zeit.
pantau
30. September, 2019Kahane steht offenbar Modell. Der Hebel ist ja sogar verlängert worden, an dem sie wieder sitzt.
Grand Nix
27. September, 2019Der Innensenator liebt es bunt, bis es ihm zu bunt wird.
Und wenn das Phrasen-Schwein auf Phrasendrescher trifft,
wird uns themengewichtete Propaganda aufgetischt.
Apostasia a fide (also das vollständige und freiwillige Aufgeben des christlichen Glaubens) ist ja bereits erkennbar fortgeschritten, in diesem unseren Lande, in dem wir ach so gerne leben.
Folgt nun auch das vollständige und freiwillige Aufgeben vom Grundgesetz, der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit?
In Berlin ist der Bär los, in der Tat. Doch hat dieser Satz heute definitiv eine ganz andere Bedeutung.
Stefan Stulle
27. September, 2019Formal hat er tatsächlich den Notruf missbraucht. Und dass der Typ eher ein Mister der Selbstdarstellung ist, macht ihn nicht sympathischer.
Die wenig souveräne Reaktion von Geisel jedoch steht auf einem anderen Blatt. Der Mann ist wie seine Vorgänger eine Fehlbesetzung im Amt, hätte mal Stadtentwicklungssenator bleiben sollen.
Wenn man ihm schreibt, was die zunehmende Vermüllung Berlins angeht, bekommt man die Antwort, dass der Senator bei seinen Limousinenfahrten das nicht feststellen kann. Er muss ja nicht mit Pennern in den ÖPNV zur Arbeit fahren.
Maxim
28. September, 2019Auch hier zeigt es sich auf welcher Seite die Polizei steht. Nicht auf der Seite des Volkes sowie des Rechts.
Der Polizist weiß ganz genau das das Filmen erlaubt ist und doch handelt er wie ihm befohlen.
https://www.youtube.com/watch?v=CGz0E0w_0ik
Dreggsagg
1. Oktober, 2019Bei den Sozis ist, offenbar seit einiger Zeit schon, Panik ausgebrochen. Die SPD sackt immer mehr in den Keller und die Apparatschicks fürchten um ihre Posten und Pfründe.
Das bedeutet, daß sie sich dem Mainstream ergeben, der nun mal heißt: Antisemitismus wird nur noch lax gehandhabt, berechtigte Kritik dünnhäutig abgebürstet. Arabisch- islamische Antisemiten werden mit Samthandschuhen angefaßt und sogenannte Bands mit ekelerregenden Texten («Feine Sahne» …dingsbums) werden sogar vom Bundespräsidenten hofiert.
Irgendwas, nein fast alles, läuft in Deutschland entschieden schief!