Wochenrückblick: Publikumsüberlastungstag
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Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 14 min Lesezeit
In die vergangene Woche fiel der so genannte Publikumsüberlastungstag. Es handelt sich um einen Tag, an dem die Geduld sehr vieler Mediennutzer in Deutschland für das laufende Jahr endgültig aufgebraucht ist. Trotzdem – wir schreiben ja erst August – geht der Raubbau an der nicht ohne weiteres erneuerbaren Ressource noch bis Silvester weiter.
Jedes Jahr verschiebt sich der Publikumsüberlastungstag weiter Richtung Jahresanfang. So sehen die erschreckenden Fakten nun mal aus.
Den größten Überlastungsschritt übernahm eine Fernsehfigur namens Joko Winterscheidt, nach eigenen Angaben Entertainer, der sich mit Fridays-for-Future-Kindern traf und sie sanft mahnte: weshalb sie denn immer nur demonstrieren würden? „Warum“, fragte er, „legt man nicht mal – steile These – das ganze lahm?“
Nun könnte man einerseits sagen: Krankenschwestern und -Pfleger, Handwerker, Supermarktangestellte, Produktionsarbeiter, Lokführer und Müllfahrer sind in aller Regel nicht sonderlich interessiert an Greta Thunberg und dem Landlahmlegen für die Zukunft.
Auf der anderen Seite, wenn FF-Schüler, Irgendwasmitmedienmacher, NGO-Mitarbeiter, Kulturschaffkes und EKD-Bischöfe jeden Freitag landesweit streiken – im besten Fall würde das niemand mitkriegen. Und dann stellt sich noch die Frage, ob eine Sabotage der Betriebsabläufe etwa in Berlin zwischen S-Bahn-Ausfall, Verkehrsstillstand auf der Leipziger Straße und BER-Ruhe von den Berlinern eigentlich als Lahmlegung for Future wahrgenommen würde.
Derlei Einwände sind allerdings, wie man in früheren vorrevolutionären Zeiten sagte, Nebenwidersprüche, wenn man einen Blick darauf wirft, welchen Klima- beziehungsweise CO2-Abdruck Herr Winterscheidt zusammen mit seinem Kompagnon Klaas Heufer-Umlauf hinterlässt. Ich kenne deren Sendung „Duell um die Welt“ nicht, ich sehe aus gesundheitlichen Gründen nicht fern. Das macht nichts, die Fotos aus der TV-Produktion beziehungsweise der Sendung verteilen die beiden sehr großzügig auf Social-Media-Kanälen.
Und das sieht dann so aus:
Gott, Karel, sang einmal: „Einmal um die ganze Welt/und die Taschen voller Geld“, und für ganz Begriffsstutzige merke ich an, dass ich Winterscheidt/Umlauf nichts davon neide. Ich wünsche noch nicht einmal, dass ihre Show lahmgelegt wird. Mich belästigt sie ja nicht.
Es ist nur interessant, dass Klimaradikalität und Fußabdruck wichtiger und wichtigster Persönlichkeiten sich offenbar proportional zueinander verhalten. Auch die grüne FF-Parteibeauftragte Luisa Neubauer hatte bekanntlich versäumt, vor ihrer neuen Rolle ihren Instagram-Account aufzuräumen. Auf den CO2-Ausstoß ihrer jungen Jahre kommt eine Kleinfamilie mit jährlichem Mallorca-Urlaub wahrscheinlich das ganze Leben lang nicht.
Unsere aller Ermahnerin Margot Käßmann – „Jesus wäre bei den Klimaschutzdemonstrationen dabei“ – reiste als Luther-Botschafterin der EKD im Januar 2017 auf die Chatham-Inseln im Südpazifik, um dort den Sonnenaufgang zu feiern und damit, wie es hieß, das Lutherjahr einzuläuten. Die Distanz von zweimal 20 000 Kilometern überwand sie vermutlich nicht per Liegerad und Segelboot. Ganz nebenbei, wann genau hat die EKD eigentlich vom christlichen Glauben auf Sonnenkult umgestellt?
Jedenfalls, Vorsicht vor dem Symbol! Vorher, also nach ihrer Phaeton- und vor ihrer Südpazifik-Phase – ging die Bischöfin der Herzen 2015 als Alleinunterhalterin auf der MS „Hamburg“ auf große Lutherfahrt resp. „ökumenischen Seereise“ gen Malmö, Oslo, Harwich und, Gott sei’s geklagt, retour.
„Beziehen Sie Ihre Wunschkabine, erleben Sie ein reichhaltiges Vortrags- und Ausflugsprogramm, und lassen sie einige Tage lang ‚die Seele baumeln’“, empfahl seinerzeit eine Anzeige. Kabinen gab es von 1 295 bis 4 195 Euro.
Was die Inanspruchnahme von Jesus betrifft: dazu sollte Käßmann, wenn es ihr enger Terminplan erlaubt, einmal die Bibelstelle mit den Wechslern und dem Tempel studieren.
Kreuzfahrten sind lustig und schön, vor allem, wenn sie zu den Einnahmen einer sehr klimabesorgten Qualitätszeitung („Klimawandel: es ist schlimmer als befürchtet“) beitragen.
Um mit Luther zu sprechen: Weil ich weiß, dass morgen die Welt untergeht, werde ich heute noch eine ZEIT-Schiffsreise buchen und mir Denkanstöße erteilen lassen.
Der innere Zusammenhang zwischen Klimaberichterstattung und Lebensstil bleibt offenbar auch Anzeigenabteilungen und Algorithmen nicht vorborgen. Dafür spricht die Anzeige, die gleich neben der Berichterstattung über die Schüler-Klima-Bewegung erscheint (und zwar als nichtpersonalisierte Anzeige, sie wird auch Lesern angezeigt, die weder Auto fahren noch nach einem Offroadpanzer gegoogelt haben).
Fast zeitgleich mit Joko Generalstreik Winterscheidt redet in der vergangenen Woche der ARD-Mahner Lorenz Beckhardt im Tagesthemen-Kommentar zum Erdüberlastungstag dem überaus geduldigen Volk ins Gewissen.
Er flagellierte sich erste einmal, er sei Autofahrer, Fleischesser und tauche gern in Korallenriffen, um dann die Politiker zu bitten, ihn von diesen Übeln endlich zu erlösen:
«Macht Fleisch, Auto fahren und fliegen so verdammt teuer, dass wir davon runter kommen. Bitte! Schnell! Dann wählen wir auch Euch alle!»
Jedenfalls so verdammt teuer, dass der GEZ-Normalkunde ohne ARD-Gehalt dumm aus der Wäsche schaut.
Da weiter oben das Stichwort Geduld fiel: Fliegen muss nicht extra teuer gemacht werden. Es würde schon ausreichen, kollektiv und in Eigeninitiative den Rundfunkbeitrag auf Null zu senken. Das reduziert dann die Tauchurlaube wie die ganz allgemeine Klimabelastung durch den nunmehr Nichtjournalisten und viele Schicksalsgenossen ruckzuck.
Gewiss, alle Klimabesorgten der S-Klasse betonen, dass sie selbstverständlich für jeden Flug Tetzel-Zertifikate erwerben. Wenn die Atmosfair-Papiere das Problem für sie lösen, dann würde das doch für alle gelten, oder? Winterscheidt, Käßmann und andere bräuchten dann nur je nach Möglichkeit für zehn bis 50 Malle-Urlauber Zertifikate zu kaufen, also Klimagerechtigkeit durch Umfairteilung schaffen.
Wenn es zu der finalen Engelsgeduldsüberlastung kommt, dann könnte es vielleicht sogar in Deutschland geschehen, dass die oben genannten Müllkutscher, Lokführer, Handwerker, Essenlieferanten und Fluglotsen einmal zeigen, wie man ein Land an einem Freitag wirklich stillstehen lässt.
Manche träfe das wenig, andere hart. Wie ich Herrn Winterscheidt einschätze, gehört er zu den Leuten, die – steile These – nie etwas anderes als Sekt und ein Glas hartes Nutella im Kühlschrank haben.
13 Kommentare
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Ronny
5. August, 2019Ist doch in Ordnung. Bis in 5 Jahren gibts dann Klimaprozesse, bei denen für jeden fein säuberlich der bisherige CO2-Abdruck ermittelt wird und danach bekommt man die Rationen entsprechend zugeordnet. Ich als Radfahrer ohne Auto, Smartphone, Flugsucht oder zu vielen Kindern sehe dem sehr entspannt entgegen.
The Angry Ossel
5. August, 2019Ohne Ihre und Herrn Paetow‘s Artikel würde man den ganzen Wahnsinn viel schwerer ertragen. So kann man dem ganzen Affentheater wenigstens noch etwas Galgenhumor abgewinnen.
P.Gross
6. August, 2019Guten Morgen Herr Wendt. Ja, Ihre Spurensuche bezüglich der reisenden AB+C-Prominenz war sicherlich eine der leichteren Aufgabenstellungen, bezogen auf das fest verpackte und verschnürte Gesamtpaket FfF. Die CgrossesOzwei «Footprints» der possierlich bis schmierig daherkommenden Kampfturtles gegen unser aller Verglühen im All sind ja weder in Tiefe noch Breite zu übersehen. Im Gegensatz zu meiner Schmalspur – oder der Ihrigen. Apropos: hier auf dem Lande ist jetzt das Getreide vom Acker – nun schwimmt tonnenweise die Jauche aus den Tiermastanstalten schimmernd auf der Krume. Da könnte der lustige lahmleger, der Herr FfFJoko, ja mal sein gepudertes Näschen reinstupsen. Nur mal so.
Hellmut Meyer-Sande
6. August, 2019In dem Irrsinn der jetzigen Tage braucht man Sarkasmus zum Überleben!
Vielen Dank dafür.
Fantomas
6. August, 2019Köstlich! «Jesus würde mitmarschieren». Einer Ihrer besten Artikel, Herr Wendt. Apropos TV: Sie schauen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fern, ich fühle mich noch gesund – damit das noch lange so bleibt, gucke ich nur noch ganz selten diese Gehirnwäsche von Kleber und Co. Alternative ist Radio. Reine Nachrichten. B5 aktuell. DLF geht nicht mehr. Die unterlassen ja Meldungen aus D, weil sie «nur regionale Bedeutung» haben. Komischerweise muss ich dann NYT oder WP in Englisch lesen, auf Seite 1, um zu wissen, was z.B. in Stuttgart (das liegt in D) so läuft.
Klaus Weber
6. August, 2019B5 aktuell sind reine Nachrichten und schädigen nicht die Gesundheit? Die filtern ja sogar die Staumeldung, wenn die Autobahn nach Sachsen führt.
Dr. Wolfgang Hintze
6. August, 2019Die Heuchelei ist dem Menschen irgendwie eigen, und manchen Menschen ganz besonders …
Apropos Tetzel-Briefe: damals führte der Kampf gegen diese bekanntlich zu erheblichen Umbrüchen in der gesamten Gesellschaft Europas. Warum soll es diesmal anders sein?
karl kaiser
6. August, 2019«…ich sehe aus gesundheitlichen Gründen nicht fern.»
Ein genialer Satz.
Umfassender kann man den derzeitigen Zustand der deutschen Medien nicht beschreiben.
Rizzo C.
6. August, 2019Jesus würde auf die die Chatham-Inseln jetten, um den Sonnenaufgang zu feiern. Ganz sicher. Und danach nach Malle auf einen Sangria mit anderen Sonnenanbetern.
Jens Richter
7. August, 2019«Ich kenne die Weise, ich kenne den Text.
Ich kenn’ auch die Herren Verfasser.
Ich weiß, sie trinken heimlich Wein
Und predigen öffentlich Wasser. » (Heine)
War aktuell, ist aktuell. Und je penetranter die Forderungen der heuchelnden Wasserprediger, desto abstoßender die Verfasser*innen. Die sollten sich vorsehen, denn das Volk, «der große Lümmel», mag das nicht. Das «mit gutem Beispiel vorangehen» ist tief in die deutsche Seele einbeschrieben. Das muss nicht immer gut sein, denn man folgt auch gerne Geistesgestörten, wenn sie Vorbild sind und ihren Irrsinn selbst leben.
Chris Groll
7. August, 2019Ein sehr guter Artikel, der die ganze Heuchelei und viele der Heuchler bloßstellt. ÖR Sender sehe ich auch schon seit einiger Zeit nicht mehr. Sie haben Recht, es ist besser für die Gesundheit.
Dreggsagg
7. August, 2019Wir wußten es seit langem;
die Klimahysteriker saufen Wein und predigen Wasser!
Die Engelsgeduld jener, die nicht zum Sonnenaufgang in die Südsee reisen können, ist noch lange nicht zuende. Sonst wäre man den Schwätzern von Amtskirche und Lückenpresse sowie GEZ-verwöhnten Labertaschen schon vor längerem aufs Dach gestiegen.
Horst Scharn
7. August, 2019Was die Frau Käßmann sagt, muss man sich nur versuchen bildlich vorzustellen: Jesus Christus, ein Pappschild hochhaltend in der blökenden Menge. Seine letzte Frage am Kreuz, gerichtet an seinen Vater, warum der ihn verlassen hat, würde für uns im nachhinein einen ganz neuen Sinn bekommen. Nein, diese Frau Käßmann meint das ernst. Und damit übertrifft sie Monty Python.