Leserbrief des Monats
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Von Redaktion / / spreu-weizen / 8 min Lesezeit
Lieber Alexander Wendt,
Ihren Text «Rausch und Reinheit» habe ich heute auf der Achse des Guten gelesen, und ich verdanke Ihnen die Lösung eines Rätsels. Ich bin Schriftstellerin, Jahrgang 42, DDR-Gewächs und als solches schon vor 1989 unrühmlich aufgefallen. Vor zwei drei Monaten klickte ich in meinem Wikipedia-Eintrag aus Zufall auf «Diskussion» und fand dort den Eintrag, daß ich zu den Unterzeichnern der Erklärung 2018 gehöre. Große Verwunderung, was das soll. Jetzt weiß ich, was das soll und wundere mich auch nicht mehr über die «Zurückhaltung» der Leute im Literaturgeschäft, seien es Verlage oder Buchhandlungen.
Was Sie über «rechte Bücher» in Buchhandlungen schreiben, trifft auch auf Bibliotheken zu, so in Potsdam 2017. Dazu schrieb ich einen Leserbrief, den die Potsdamer Neuesten Nachrichten auch veröffentlichten:
Leserbrief
«Ich habe den Bericht „Umstrittene Bücher in der Bibliothek“ (PNN, 27. 12.) mehrmals gelesen, weil ich nicht glauben wollte, was da stand. Es war wie ein déjà vu – Erlebnis. In welchem Land, in welcher Stadt, in welcher Zeit lebe ich eigentlich, fragte ich mich verwundert. Mein Mann, gelernter Bibliothekar, hat die Verbreitung des Braunbuchs über den Reichstagsbrand 1933 mit vier Jahren Zuchthaus, anschließend KZ und Strafbataillon bezahlt. In der DDR wurde er wegen seines Einsatzes für Meinungsfreiheit mehrmals schwer gemaßregelt und starb schließlich nach seinem letzten Parteiverfahren wegen der Einfuhr von Büchern wie Solshenizyns „Archipel Gulag“ und Rosa Luxemburgs „Die russische Revolution“ an einem Herzinfarkt. Als Studentin der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Uni scheiterte ich regelmäßig an dem „Giftschrank“ der Staatsbibliothek, wenn ich Bücher wie Egon Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ oder Titel von Arnold Toynbee entleihen wollte. Weder der Nationalsozialismus noch der Sozialismus gewährten die Freiheit der Gedanken, der Rede, der Presse. „Freiheit des Andersdenkenden“ war eine Hauptforderung der Bürgerbewegung in den achtziger Jahren, die wir mit dem Mauerfall endlich, endlich erreicht zu haben glaubten. Und jetzt kommen wieder wie einst sich als Volkserzieher aufspielende Ideologen daher, die uns diesmal im Namen von Toleranz und Demokratie das Denken abgewöhnen und uns vor dem „Bösen“ bewahren wollen. Bücher, die ihrer beschränkten Weltsicht widersprechen, werden einfach als rechtsextrem verteufelt. Von dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone (1900-1978) stammt das Wort: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‘Ich bin der Faschismus.’ Nein, er wird sagen: ‘Ich bin der Antifaschismus.´»
Sigrid Grabner»
Lieber Herr Wendt, ich hätte mir 1990 nicht träumen lassen, wohin die Reise im vereinigten Deutschland geht. Die Demokratie im Würgegriff wahnsinnig gewordener Ideologen. Ich bin inzwischen alt, und wenn ich nicht mehr gedruckt und zu Lesungen eingeladen werde, kann ich damit leben. Die noch verbleibende Spanne ist überschaubar. Sie aber sind noch jung. Bleiben Sie standhaft, machen Sie weiter. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen Kraft.
Ihnen herzlich verbunden
Sigrid Grabner
7 Kommentare
Original: Leserbrief des Monats
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Es konzentriert sich auf Regierungs- und Gesellschaftskritik.
Offensichtlich besteht ein großes Interesse an Essays und Recherchen, die diesen Anspruch erfüllen.
Das jedenfalls zeigen die steigenden Zugriffszahlen.
Kritik und Streit gehören zur Essenz einer offenen Gesellschaft.
Für einen zivilisierten Streit braucht es gut begründete Argumente und Meinungen, Informationen und Dokumentationen von Fakten.
Publico versucht das mit seinen sehr bescheidenen Mitteln Woche für Woche aufs Neue zu bieten.
Dafür erhält dieses Magazin selbstverständlich kein Steuergeld aus dem Medienförderungstopf der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, kein Geld aus dem Fonds der Bundeszentrale für politische Bildung (obwohl Publico zur politischen Bildung beiträgt) und auch keine Überweisungen von Stiftungen, hinter denen wohlmeinende Milliardäre stehen.
Ganz im Vertrauen: Publico möchte dieses Geld auch nicht.
Die einzige Verbindung zu diesen staatlichen Fördergeldern besteht darin, dass der Gründer des Magazins genauso wie seine Autoren mit seinen Steuern dazu beiträgt, dass ganz bestimmte Anbieter auf dem Medien- und Meinungsmarkt keine Geldsorgen kennen.
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Die Redaktion
H. Berndt
30. November, 2018Das mit den déjà vu – Erlebnissen geht mir auch so, egal ob Nachrichtensendungen oder Presse, alles DDR-reloaded! Für viele die, 1989 bewusst und begeistert erlebt haben, eine völlig unverstandene Richtung, in die dieses Land geht (siehe auch die gestrige Abstimmung zum GCM im Bundestag!) Für viele jüngere ist das betreute Denken leider zur Normalität geworden. Ich wünsche Ihnen Herr Wendt alles Gute und bleiben Sie standhaft!
Stephan
30. November, 2018Zu den Kultbüchern meiner (west)deutschen Sozialisation zählten die Werke von Wilhelm Reich, in denen er vor allem den Zusammenhang von Sexualunterdrückung und Faschismus thematisierte. Dabei spielte auch die Rolle des Christentums eine wichtige Rolle in seiner Kritik. Liest man die Bücher heute, glaubt man eine Kritik an den repressiven Vorstellungen im orthodoxen Islam vor sich zu haben. Schon die Möglichkeit eines Analogieschlusses müsste die Zensoren auf den Plan rufen. Auch ein Durchmustern der legendären «blauen Bände MEW» führt zu Lesefrüchten, die die echauffierte Zensurlinke nicht mehr so einfach durchgehen lassen dürfte. Die Erfahrungen mit Linken in meinem Bekanntenkreis zeigen, dass das Leseverhalten nicht gerade als intensiv betrachtet werden kann (gilt auch und gerader für Pädagogen). Insofern wäre eine Kennzeichnungspflicht ungelesener, als «Rechts» vermuteter Werke für diesen Personenkreis sinnvoll – würde man die Werke vorher lesen lassen, bestünde die Gefahr eines Erkenntnisgewinns und vor allem einer Einstellungsänderung. Wo kämen wir da hin! Rote Punkte wie in der DDR sollten vermieden werden. Braun wäre die Farbe der Wahl – proisraelische Bücher wie die von Broder könnten zusätzlich einen gelben Fleck erhalten. Es ist allerdings mit Karl Kraus zu vermuten: «Bücher, die der Zensor versteht, werden zu recht verboten.» Wie verhindern wir das Durchschlüpfen kranken Buchwerks? Kant, Popper, Arendt? Hier hat deutsche Gründlichkeit noch Arbeit vor sich. Sarkasmus beiseite: Frau Grabner vielen Dank für den «Leserbrief des Monats» – mittlerweile gehört schon eine Menge Mut dazu. Was für Zeiten und was für ein Land!
Werner Bläser
30. November, 2018Politische Bücher, die nicht links sind, müssen nun einmal möglichst unter der Decke gehalten werden. Das erfordert einfach die Vielfalt, die die Linken so anstreben. Das müssen wir doch einsehen. Die Linken waren in ihrem Denken eben immer schon kohärent, logisch und konsequent. Beispiele:
Die Linke ist anti-antisemitisch (so ein paar kleine Lapsus wie kürzlich bei der englischen Labour Party oder bei Anti-Israel-Boykotten fallen nicht ins Gewicht), und lässt hunderttausende von Antisemiten hinein.
Die Linke ist feministisch und lässt hunderttausende patriarchalisch geprägte Machos hinein.
Die Linke ist friedlich-pazifistisch (besonders die Chorknaben der Antifa) und lässt hunderttausende gewaltgewöhnte, adrenalingesteuerte Jungmännerhorden hinein.
Die Linke ist anti-kapitalistisch, und verbündet sich mit Globalisten vom Schlage eines Soros.
Warum ist das logisch? Nun, natürlich damit die Linke ihre volkspädagogischen Instinkte ausleben kann und ausgiebig Pazifismus, Feminismus und Antisemitismus… predigen kann.
Ich gebe zu, sie predigen das zwar nicht vorwiegend ihren Schäfchen, die sie da hereinlassen, sondern uns Schon-länger-hier-Lebenden. Aber man kann ja nicht von ihnen erwarten, dass sie sich für ihre gutgemeinten Lehren aufs Maul hauen lassen… Also müssen sie sich wohl an uns wenden. Logisch.
Lock
30. November, 2018Ein starker, Mut machender Leserbrief. Ich habe mich mangels eigener entsprechender Lebenserfahrung bisher nicht getraut, diese Vergleiche wirklich zu ziehen, obwohl ich die Parallelen vermutet habe. Meinen tief empfundenen Dank, Frau Grabner!
Publico veröffentlicht immer wieder Erkenntnisse, welche man in Zeitungen und Rundfunk vermisst. Recherche und kritischer Journalismus der klassischen Art erscheinen dort fast ausgestorben. Interviews mit Politikern dienen oft nur noch der Stichwortgabe, nicht mehr dem kritischen Hinterfragen. Bleiben Sie online, Herr Wendt!
Alex Müller
30. November, 2018In den USA sind sie schon weiter. Nur noch eine Minderheit amerikanischer Studenten findet Redefreiheit wichtiger als «Inklusion und Diversität». Bei weiblichen Studenten bevorzugt nur noch ein gutes Drittel die Redefreiheit.
https://www.brookings.edu/blog/fixgov/2017/09/18/views-among-coll…tudents-regarding-the-first-amendment-results-from-a-new-survey/
https://www.nationalreview.com/2018/03/college-free-speech-poll-female-students-favor-diversity-inclusion/
Günter Schaumburg
1. Dezember, 2018Ich war in der DDR Im Widerstand (Ausreiseantrag). Diesen Schritt als Olympiateilnehmer, Doper und Dopingtrainer – diese Tätigkeit habe ich 1979 aus politisch-moralischen Gründen beendet – war kein einfacher. Ich wusste, dass die Staatsmacht gegen mich und meine Familie die harte Gangart einlegen würde. Nach 6 Jahren war das Drama beendet, kurz vor Mauerfall durften wir ohne jegliche Habe, dafür körperlich geschwächt oder krank, die DDR verlassen. Endlich Freiheit, endlich Demokratie!
Deutschland hat sich seit 1989 gewaltig verändert. Nicht nur im Straßenbild, in der Berichterstattung der Medien, nein, auch die Demokratie. Das Volk herrscht nicht mehr, es wird von Polit-Managern beherrscht. Für die meisten Ostdeutschen ist die Bruder-und-Schwester-Freiheit-Seifenblase geplatzt. Es herrschen in hohem Grade wieder DDR-Zustände.
Zur Arroganz vieler Westdeutscher kam die Unfähigkeit, politische Zusammenhänge zu erfassen und danach zu handeln und zu wählen.
Es wird mitgeschwommen, weil das Portemonnaie noch prall gefüllt ist. 12 Jahre habe ich ostdeutschen Boden nicht mehr betreten, heute fahre ich aller 4 Wochen ‘nüber’, wegen der Menschen und – weil es meine Heimat ist.
Landgrebe Stephan
1. Dezember, 2018Eine wichtige Erkenntnis habe ich durch den auch ansonsten wie gewöhnlich brillanten Artikel hinzu gewonnen: Es ist eigentlich nicht zu verstehen, warum die antikapitalistische Linke einem Kapitalisten wie Soros hinterher läuft. Wie ebenfalls das Hofieren muslimischer, gewaltbereiter «Migranten» eben auch das Ende des Gender-Unsinns bedeutet, wie auch der Emanzipation der Frauen, der Religions-und Meinungsfreiheit, der Ehe für Alle und sonstigen Auswüchsen dekadenten Unsinns. Ob Unsinn oder nicht, die feindliche Übernahme durch den Islam bedeutet auf jeden Fall das Ende linker Vorstellungen.