Wochenrückblick: Das Ende der demiurgischen Dorfkönigin Angela
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Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 7 min Lesezeit
Bei der letzten Aufführung im staatlichen Ohnesorge-Theater geschahen merkwürdige Dinge. Ganz unmerklich, denn zunächst einmal lief das spielplangemäße Stück „Jetzt wird es bunt im besten Land“ von Juli Zeh mit Melodien von Peter Alexander und Campino.
Waldorfschullehrer Elmar hatte gerade seinen Monolog hinter sich gebracht, die drei Hauptpersonen des Stücks, der bärtige Buchhändler, der oberbayerische Oberförster und die demiurgische Dorfkönigin traten schon aus der Kulisse, um zum Aktschluss die Kollekte unter sich aufzuteilen und dazu „Tage wie diese“ zu tanzen, als sich – wie soll man sagen – eine Art Improvisation ergab. Der lustige Lebemann Sigmar nämlich, dessen Sprechrolle eigentlich schon zu Ende war, stürzte auf die Bühne und schrie den bärtigen Buchhändler an: „Du Verräter, du hast mir versprochen, dass ich mit meiner Weltreise weitermachen kann. Jetzt willst du selbst auf Weltreise!“ Kawusch, schon landete die gefrorene Eistorte aus Sigmars Händen quer im Mund des bärtigen Buchhändlers, ehe der seinen Paradesatz vorbringen konnte: „Das habe ich nie so gesagt.“
Die Torte noch intus, riss sich der Buchhändler die rote Blume vom Revers, das Zeichen für den Vorsitz im Dorfverein Für Schlechte Laune, warf sie in die Menge und versuchte sich an die Seite der demiurgischen Dorfkönigin zu retten. Allerdings, jemand mit Sinn für Dramaturgie hatte die Bühnenfalltür geöffnet, und der bärtige Buchhändler ging nach unten ab. Von dort – offenbar hatte er die Eistorte heraus- oder runterbekommen – drang noch sein Satz: „Ich stelle alle persönlichen Ambitionen zurück.“
Nun verwirrte sich die Handlung sehr zügig, vielmehr, sie spaltete sich auf. Horst, der oberbayerische Oberförster, legte sich auf die Bühne, schälte eine Mandarine und sagte, für beides bräuchte er keine Begründung, es fiel die Kulisse um und gab den Blick auf die zwei jungen Herren Vladimir und Estragon frei, die über die Dorfkönigin beratschlagten, der dreitagebärtige Herr meinte: „In Epoxidharz eingießen, Räder drunter und dann langsam rausrollen“; Fozzy Bear, der in diesem Stück eigentlich gar nichts zu suchen hatte, hampelte auf die Bühne und erzählte den schlechtesten Witz der Welt: „Wir haben einen sehr guten Koalitionsvertrag, mit dem sind auch alle in der CDU zufrieden. In der SPD übrigens auch.“
„Das ist Terrorismus“, schrie der erregte Elmar, und aus der Presseloge riefen die Qualitätskritiker, so etwas sei ja mit der Würde des Ohnesorge-Theaters nicht zu vereinbaren. Was denn das Publikum denken solle!
Das Publikum seinerseits fand das Stück seit ungefähr fünfzehn Minuten überhaupt zum ersten Mal interessant, erheiternd und lehrreich.
„Ich glaube, es ist gut, und das sage ich auch gerade in dem Dorf, in dem ich die Verantw- „, sagte die demiurgische Dorfkönigin. In dem Moment schloß sich die letzte Epoxidharzschicht um sie.
Apropos Theater: jetzt geht ja auch wieder die besonders jecke Zeit los. Dieses Mal ist allerdings alles anders, denn von der schäl Sick resp. Oberbürgermeisterin Henriette Reker schiebt sich eine Feststellung über den Kölschen Himmel wie ein Riesenufo in „Independence Day“: Karneval, das sei mittlerweile ein Massenbesäufnis, das mit „unserer Karnevalskultur“ (Reker) nichts mehr gemeinsam habe. Manche Leute glauben ja, so etwas wie eine spezifische Karnevalskultur sei jenseits des Massenbesäufnisses schlicht nicht identifizierbar. Aber gut: es wird auch diejenigen geben, die jetzt überrascht sind. Bis vor kurzem hätten ja offenbar auch viele nicht geglaubt, dass Sex und Macht im Filmgeschäft eine Rolle spielen.
Der in Köln lebende Autor Navid Kermani meldete sich zu der Debatte, die die Stadt offenbar so in Atem hält wie die #MeeToo-Debatte ganz Deutschland, und stellte fest:
«Ich glaube, jeder ältere Kölner wird bestätigen können, dass der Karneval kurz nach dem Krieg eine ganz andere Bedeutung hatte als jetzt, auch wenn damals viel weniger Alkohol getrunken und viel weniger Aufwand getrieben wurde.»
Ich für meinen Teil glaube sogar, dass kurz nach dem Krieg überall in Deutschland weniger Alkohol getrunken und weniger Aufwand in fast allem getrieben wurde als heute, ich glaube das, obwohl ich nur unwesentlich älter bin als der 1967 geborene Kermani. Ich will ihm nur sagen: Köln ganztags und ganzjährig, die Spiele des FC Köln, den Karneval – man sollte besser nicht versuchen, etwas davon nüchtern durchzustehen. Und auch das oben beschriebene Theaterstück sieht man mit dem zweiten Pinot besser.
Nach dem Theater kurz zum Film: Der Streifen „Martin Schulz – sein Jahr“ ist schon fertig. Wir bitten die in jeder Hinsicht mäßige Bildqualität zu entschuldigen:
8 Kommentare
Original: Wochenrückblick: Das Ende der demiurgischen Dorfkönigin Angela
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Max Mertens
11. Februar, 2018Seien Sie nicht zu streng mit den Waldorfschulen, Herr Wendt! Es möchte wohl sein, daß Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter auch einmal dorthin schicken möchten/müssen! 🙂
Clemens Bernhard Bartholdy
12. Februar, 2018Wenigstens konnte ich dann doch am Montagmorgen – allein das Wort lässt mein Gesicht stegnern – einmal schmunzeln.
Auf die Herren Wendt und Loriot ist eben Verlass. Danke.
Bernd Ackermann
12. Februar, 2018«Du weßt, Du bist in der Hölle wenn die Regierung italienisch, das Essen englisch und das Entertainment deutsch ist», sagte man früher. So wie es inzwischen aussieht haben wir den Italienern in Sachen Regierung das Zepter aus der Hand genommen und dabei gleichzeitig unseren Entertainment-Faktor verbessert. Da soll noch jemand sagen in diesem Land ginge nichts voran. Jetzt noch den regelmäßigen Veggie-Day, dann können die Engländer auch einpacken.
Kirchfahrter Archangelus
12. Februar, 2018Der Vergleich des politischen Geschehens in Deutschland mit einem (Illusions)Theater (https://kirchfahrter.wordpress.com/2017/06/26/theater-theater-der-vorhang-geht-auf/) drängt sich in der Tat auf. Wann stürmt das Publikum die Bühne, um im Bild zu bleiben?
Dekantiertrichter
12. Februar, 2018Die Entwicklung vom Gott-Kanzler ueber den Problem-Schulz zum Schad-Schulz innerhalb eines Jahres ist schon faszinierend. Wie schnell sich eine Partei doch zerlegen kann. Der CDU steht das noch bevor.
Charlotte H.
12. Februar, 2018Danke für den gelungenen Artikel. Gruselig das Bild der beiden, und nicht nur weil es an «Shining» erinnert. Auch weil sie am Rosenmontag das nahe Ende des Karnevals nicht erkennen. Aber irgendjemand muss es ihnen sagen?
Lichtenberg
12. Februar, 2018Ein Film mit Blondine und älterem, weißen Mann?? #meetoo-Alarm!!
Ostfale
12. Februar, 2018Das Doppelte Lotterchen oder reich mir die Hand mein Leben.