– Publico –
Politik, Gesellschaft & Übergänge

Einser haben die besten Chancen

Original post is here eklausmeier.goip.de/wendt/2017/12-einser-haben-die-besten-chancen.


Kippte das Karlsruhe gerade den Numerus Clausus für das Medizinstudium? Nein, sagt Gastautorin Marisa Kurz. Und das ist auch gut so. Sie hat sich das Urteil genauer angesehen

Von Redaktion / / politik-gesellschaft / 17 min Lesezeit

stdsize
Von Marisa Kurz

Das Bundesverfassungsgericht hat an diesem Dienstag verkündet, dass die Studienplatzvergabe für Medizin in Teilen verfassungswidrig ist. Bis Ende 2019 müssen Bund und Länder neue Regelungen schaffen.

Das höchste Gericht hatte sich mit der Frage beschäftigt, ob das Grundrecht auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte durch die strengen Zulassungsbeschränkungen zum Medizinstudium eingeschränkt wird. Geklagt hatten zwei abgelehnter Bewerber; das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen reichte den Fall nach Karlsruhe weiter.

Was ist nun der Kern des Grundsatzurteils? Erstens: Die Studienplatzvergabe unter Einserabiturienten wird gerechter. Zweitens: für den Rest wird der Zugang zum Studium unter Umständen erschwert, vor allem für diejenigen, die auf einen Studienplatz warten. Denn die Wartezeit soll jetzt begrenzt werden. Drittens: Darüber hinaus wird sich kaum etwas am Zulassungsverfahren zum Medizinstudium ändern.

Viele Zeitungen hatten getitelt, das Gericht hätte den Numerus Clausus gekippt. Tatsächlich bekennt sich das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil klar zur Vergabe der Studienplätze an Einserabiturienten. Durch kleine Änderungen soll die Aufteilung der Studienplätze unter den Besten neu geregelt werden. Gerade Abiturienten mit „schlechten“ Einserschnitten, die den Einzug ins Studium nur knapp verpassen, dürften davon profitieren.

Für Bewerber mit Noten ohne eine eins vor dem Komma wird sich aller Voraussicht nach wenig ändern. Zwar müssen in Zukunft alle Hochschulen zusätzlich zur Abiturnote mindestens ein weiteres Eignungskriterium prüfen. Eine Gewichtung der Kriterien gibt das Verfassungsgericht allerdings nicht vor. In der Praxis werden im Auswahlverfahren der Hochschulen schon verschiedene Auswahlkriterien berücksichtigt. Da allerdings die Abiturnote bei allen Auswahlverfahren eine große Rolle spielt und eine schlechte Note kaum durch andere Leistungen ausgeglichen werden kann, besitzen Einserabiturienten in aller Regel die besten Chancen auf einen Studienplatz. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Neu ist: Wer zu lange keinen Medizinstudienplatz bekommen hat oder zu lange kein Medizinstudium angetreten ist, der muss in Zukunft sogar ganz um einen Studienplatz fürchten. Die Garantie, dass jeder, der nur lange genug wartet, irgendwann einen Platz bekommt, wird mit der Einführung einer maximalen Wartezeit verfallen. Je nachdem auf welche Wartezeit sich die Gesetzgeber einigen werden, werden davon mehr oder weniger Bewerber betroffen sein. Studienplatzanwärter, die aktuell schon seit einigen Jahren warten, müssen nun hoffen, dass sie zum Zeitpunkt der Einführung einer maximalen Wartezeit nicht schon zu viele Semester angesammelt haben. Für Spätberufene wird der Einstieg ins Medizinstudium unter Umständen unmöglich.

Warum ist das Urteil über den Numerus Clausus wichtig? Auf einen Medizinstudienplatz kommen in Deutschland ungefähr fünf Bewerber. Zwanzig Prozent der etwa 9.000 Medizinstudienplätze werden bisher an die Bewerber mit der besten Abiturnote vergeben. Der erforderliche Notenschnitt ergibt sich aus den Noten der Mitbewerber aus dem jeweiligen Bundesland (Landesquote). Zum Wintersemester 2017/18 lag dieser sogenannte numerus clausus (NC) in fast allen Bundesländern bei 1,0, nur in zwei Bundesländern bei 1,1. In diesem Verfahren sieht das Bundesverfassungsgericht keine Verletzung des Grundgesetzes. Allerdings ist es nach dem Spruch aus Karlsruhe verfassungswidrig, dass Studienanwärter bei ihrer Bewerbung sechs Studienortspräferenzen angeben müssen, weil dadurch ihre Chancen auf einen Studienplatz in erster Linie vom Ortswunsch (also von der Zahl der dort vorhandenen Studienplätze und der Zahl der dortigen Mitbewerber) abhängt und nicht von ihrer Eignung für das Studium.

Dass sich das Bundesverfassungsgericht im Großen und Ganzen hinter den NC stellt, ist pragmatisch. Tatsächlich ist die Abiturnote ein guter Prädikator für den Erfolg im Medizinstudium. Wer schon in der Schule fleißig war, wird auch im lernintensiven Medizinstudium zurechtkommen. Statistisch gesehen sind Studenten, die über Wartezeit einen Medizinstudienplatz bekommen, im Studium tatsächlich weniger erfolgreich. Vor dem Hintergrund, dass ein Medizinstudienplatz den Steuerzahler etwa 200 000 Euro – und damit mehr als alle anderen Studienplätze – kostet, erscheint es nicht abwegig, Studienplätze an diejenigen Bewerber zu vergeben, die das Studium mit hoher Wahrscheinlichkeit auch erfolgreich beenden.

Für eine kleine Gruppe von Bewerbern auf einen Medizinstudienplatz bleibt alles unverändert. Nämlich für die bis zu drei Prozent, die bereits ein Studium an einer deutschen Hochschule abgeschlossen haben. Ich selbst studiere gerade im dritten Jahr Humanmedizin. Erst nach einem Studienabschluss in Biochemie und Philosophie ist mir klargeworden, dass ich Ärztin werden will. Als Hochschulabsolventin konnte ich mich für einen Zweitstudienplatz bewerben. Mit einem Abi von 2,3 hätte ich ansonsten keinen Platz bekommen. Wartesemester musste ich nicht einschieben, da ich die ganze Zeit seit meinem Abitur studiert hatte. Viele meiner Kommilitonen sind Späteinsteiger. Sie haben die Wartezeit entweder gezielt für eine Ausbildung im medizinischen Bereich genutzt – oder kommen aus ganz anderen Berufen und wollten sich mit Mitte 20, 30, 40 oder sogar 50 noch einen Lebenstraum erfüllen.

Ich muss zugeben, dass die jungen Einserabiturienten beeindruckende Leistungen bringen und sich straight durchs Studium bewegen, während wir Älteren nebenbei arbeiten und mit einem zusätzlichen Semester das Studium entzerren. Letztlich kommen die meisten von uns aber gut durch.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts für eine maximale Wartezeit führt nur zu einem Ende der unbegrenzten Chancen auf einen Medizinstudienplatz. Es wird in Zukunft nicht mehr funktionieren, einfach nur lange genug in der Schlange gestanden zu haben.