Nicht mehr ihr Land
Original post is here eklausmeier.goip.de/wendt/2017/11-nicht-mehr-ihr-land.
Die Zeit nach Merkel hat schon begonnen. Zuerst müssen die Trümmer beiseite geräumt werden
Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 12 min Lesezeit
Auf dem Höhepunkt ihrer Machtvollkommenheit im Herbst drohte Angela Merkel ihrer Partei und mehr oder weniger auch den Bürgern mit Rücktritt, sollte sich Widerstand gegen die von ihr durchgesetzte Grenzöffnung erheben: «Dann ist das nicht mehr mein Land.» Es war tatsächlich ihr Land, nicht im Sinn einer tatsächlichen Bindung, sondern eben dieser Negativformel: im Bundestag keine Oppositionspartei, vom Versuch der CSU einmal abgesehen, Regierungspartei zu bleiben und irgendwie noch die Leerstelle des Widerparts auszufüllen. Praktisch keine Kritik in den Medien.
Dazu ein ganz breiter Unterbau von staatsgeldberieselten Organisationen, Gewerkschaften, Klerus und progressiven Künstlern, die daran arbeiteten, das Terrain rechts von der Kanzlerin mit einem antifaschistischen Schutzwall abzuschirmen. Selbst wer ganz bürgerlich nur nach der rechtlichen Grundlage fragte, auf der Merkel gerade das Land nach ihrem Bild umformte, geriet in ihr Sperrfeuer. Er war ein «Salonhetzer» (SPIEGEL-Autor Cordt Schnibben), dessen Worte «das Land anzünden» (SPIEGEL-Chef Klaus Brinkbäumer), er war ein «wunderlicher Nichtneger» (die Süddeutsche Zeitung).
Und plötzlich ist das Land ein anderes. Dazu genügte es erst einmal, dass der 38jährige Vorsitzende der FDP sich weigerte, alles für eine weitere Laufzeitverlängerung von Merkel IV zu tun beziehungsweise hinzubiegen.
Merkel hat das Land in zwölf Jahren geformt wie eine Eisplatte den Boden. Ihre Spuren und Endmoränen werden noch lange bleiben. Unter ihr haben sich weite Teile der Medien in Affirmationsmaschinen verwandelt, die politische Sprache zu einem Schaumteppich und Verfassungsfragen zum Spleen von uneinsichtigen Staatsrechtlern, die dem «Rad der Geschichte» (ja, Merkel benutzte diese Formel wirklich) in die Speichen zu greifen versuchten. Den Parlamentarismus hatte sie weit hinter das Kaiserreich zurückgeworfen. Seinerzeit, 1910, hatte der erzkonservative Abgeordnete Elard von Oldenburg-Januschau dekretiert: «Der deutsche Kaiser muss jeden Moment imstande sein, zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag.» Januschau musste sich dafür tagelang vor wütenden Berliner Bürgern verstecken.
Merkel entkernte die parlamentarischen Debatten ganz ohne Leutnant: Mit Disziplinierung durch Dauererpressung, durch Verlagerung in informelle Zirkel, durch Brüsseler Nachtrunden und – bei Atomausstieg und Grenzöffnung – autokratischen Entscheidungen an Verfassung und Legislative vorbei.
Seit September gibt es eine grundsätzlich oppositionelle Fraktion im Bundestag. Selbst wenn sie schlecht arbeitet, ist das Parlament mit ihr immer noch besser dran als vorher. Die meisten alten Medien ändern sich wahrscheinlich kaum. Aber es wachsen von unten neue nach. Möglicherweise wird es bald auch wieder politische Debatten geben, in denen Kritiker der EU, der grenzenlosen Migration, der kulturellen Homogenisierung nicht sofort mit Hypermoral überschüttet werden. Was für kühne Aussichten: Deutschland wird ein normales Land.
20 Kommentare
Original: Nicht mehr ihr Land
Liebe Leser von Publico: Dieses Onlinemagazin erfüllt wie eine Reihe von anderen Medien, die in den letzten Jahren entstanden sind, eine zentrale und früher auch allgemein selbstverständliche publizistische Aufgabe:
Es konzentriert sich auf Regierungs- und Gesellschaftskritik.
Offensichtlich besteht ein großes Interesse an Essays und Recherchen, die diesen Anspruch erfüllen.
Das jedenfalls zeigen die steigenden Zugriffszahlen.
Kritik und Streit gehören zur Essenz einer offenen Gesellschaft.
Für einen zivilisierten Streit braucht es gut begründete Argumente und Meinungen, Informationen und Dokumentationen von Fakten.
Publico versucht das mit seinen sehr bescheidenen Mitteln Woche für Woche aufs Neue zu bieten.
Dafür erhält dieses Magazin selbstverständlich kein Steuergeld aus dem Medienförderungstopf der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, kein Geld aus dem Fonds der Bundeszentrale für politische Bildung (obwohl Publico zur politischen Bildung beiträgt) und auch keine Überweisungen von Stiftungen, hinter denen wohlmeinende Milliardäre stehen.
Ganz im Vertrauen: Publico möchte dieses Geld auch nicht.
Die einzige Verbindung zu diesen staatlichen Fördergeldern besteht darin, dass der Gründer des Magazins genauso wie seine Autoren mit seinen Steuern dazu beiträgt, dass ganz bestimmte Anbieter auf dem Medien- und Meinungsmarkt keine Geldsorgen kennen.
Es gibt nur eine Instanz, von der Publico Unterstützung annimmt, und der dieses Medium überhaupt seine Existenz verdankt: die Leserschaft.
Alle Leser von Publico, die uns mit ihren Beiträgen unterstützen, machen es uns möglich, immer wieder ausführliche Recherchen, Dossiers und Widerlegungen von Falschbehauptungen anzubieten, Reportagen und Rezensionen.
Außerdem noch den montäglichen Cartoon von Bernd Zeller. Und das alles ohne Bezahlschranke und Abo-Modell. Wer unterstützt, sorgt also auch für die (wachsende) Reichweite dieses Mediums.
Publico kann dadurch seinen Autoren Honorare zahlen, die sich nicht wesentlich von denen großer Konzernmedien unterscheiden (und wir würden gern noch besser zahlen, wenn wir könnten, auch der unersetzlichen Redakteurin, die Titelgrafiken entwirft, Fehler ausmerzt, Leserzuschriften durchsieht und vieles mehr).
Jeder Beitrag hilft.
Sie sind vermutlich weder Claudia Roth noch Milliardär.
Trotzdem können Sie die Medienlandschaft in Deutschland beeinflussen.
Und das schon mit kleinem Einsatz.
Der Betrag Ihrer Wahl findet seinen Weg via PayPal – oder per Überweisung auf das Konto
(Achtung, neue Bankverbindung!)
A. Wendt/Publico
DE88 7004 0045 0890 5366 00,
BIC: COBADEFFXXX
Dafür herzlichen Dank.
Die Redaktion
Frank Röder
20. November, 2017Ich bin gespannt, wann die ersten CDU/CSU – Politiker auch öffentlich auf die Idee kommen, daß ohne Merkel und Kumpane eine Koalition von CDU/CSU, AfD und FDP nicht nur eine stabile Mehrheit, sondern auch gemeinsame Ziele hätte.
Herbert Garbe
22. November, 2017Natürlich, dies war mein erster Gedanke, warum keiner dieser rührigen Politiker der Altparteien gesagt haben, wir reden wieder zusammen, aber ohne Merkel, die muss erst weg, dann sind alle möglichen Wege frei und wir finden einen guten Kompromis, eine funktionsfähige Regierung zu finden, auch ohne den Langweiler BP Steinmeier, aber unter Beizug aller Parteien im Bundestag…
Susi Sorgenvoll
22. November, 2017Haben Sie heute den Shitstorm der «Demokraten» im Bundestag einschliesslich CSU und FDP gegen die AFD wegen ihres Antrages «Rückkehr der Syrer in ihr Land erleichtern» verfolgt? Deshalb: das kann noch sehr sehr sehr lange dauern.
oldman
20. November, 2017Treffend bemerkt :» das Terrain rechts von der Kanzlerin mit einem antifaschistischen Schutzwall abzuschirmen.»
Und noch sind die Qualitätsmedien in Hochform – fragt sich bloß wie lange. Die Aktion der FDP hat offenbar nicht nur mich (mich überaus positiv) überrascht.
Hajo Blaschke
20. November, 2017Ich glaube, die meisten Deutschen müssen erst mal verinnerlichen, dass es ohne Merkel geht. Das wird in der nächsten Zeit passieren. Und dann wird es so sein, als wäre Merkel nie dagewesen. Bis auf die von ihr hinterlassenen Spuren.
Winfried Sautter
22. November, 2017Die Merkel-Jahre waren eine «bleierne Zeit». Weg in den Castor.
rainer
12. Dezember, 2017Ein Castor ist ein Behältnis für eine längerfristige Zwischenlagerung. Wozu zwischenlagern? Um sie irgendwann herauszuholen und zu recyclen? – Nein danke!
webermax
20. November, 2017Die Qualitätsmedien haben fertig, sobald eine kritische Masse sich weigert als «Wähler», «Steuerzahler», als Teil der «Zivilgesellschaft» oder als «Abgehängte» etc. hochnehmen zu lassen und der polit-medialen Klasse den Bürger selbstbewusst entgegenstellt.
Harald Hein
20. November, 2017Mein Wunsch ging in diese Richtung: Die FDP hat mit Frau Merkel noch eine Rechnung offen. Das Herr Lindner meinen Wunsch wahr gemacht hat, chapeau chapeau!
Peter Stoppenberg
20. November, 2017Hervorragender Artikel und eine tolle Formulierungskunst. Machen Sie so weiter, dann hat die Plattform glänzende Aussichten.
Luise L.
21. November, 2017Dem schließe ich mich komplett an. Und: ♥lichen Dank, lieber Alexander Wendt. Wir brauchen so viele kritische Geister wie nur irgend möglich, die es auch noch schaffen, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Ich jedenfalls werde mich dem Irrsinn und dem Linksfaschismus in unserem Land nicht unterwerfen.
Und das sagt eine (ehemalige) Linke und Feministin.
Liebe Grüße
Luise
E.Thum
22. November, 2017Sehe ich auch so.
Holger Kremer
21. November, 2017Sehr geehrter Herr Wendt, ich bin durch andere «noch normal kritisch denkene Foren» auf Ihre Seite aufmerksam geworden und hoffe, es werden noch viel, viel mehr, denn es schlummert noch ein großer Teil der «schon länger hier Lebenden» Wähler von AM schlaftrunken gemacht. Täglich lese ich eine Reihe kritischer, Deutschland wohlwollender Meinungen, die mir trotz allem Ängste schüren, weil ich keine Lösung, keine Veränderung kommen sehe. Da kommen Sie daher und schreiben voller Optimismus «die Zeit nach Merkel hat schon begonnen»! Wenn ich meine Enkeltochter aus Köln abhole, fragt sie schon auf der Leverkusener Brücke: «Wann sind wir da?» – Herr Wendt: «Wann ist sie weg und wir sind wieder da?» Aber: noch im Sommer ’89 habe ich nach meiner Flucht aus der DDR ’88 Stein und Bein geschworen, daß dieses System ewig besteht, nachdem mir Personen , die internationalen Diplomaten nahe standen, versicherten, dass DDR-System «sei am Ende». Ich habe ihn für verrückt gehalten. Da hat es nur noch Monate gedauert bis November – darf ich auch jetzt hoffen? Mit besten Grüßen Holger Kremer
Gabrielle Franz
22. November, 2017Bravo, Herr Lindner – endlich ein Politiker, der der Dampfwalze Merkel die Stirn bietet und den unertraeglichen Klageweibern der Gruenen samt ihrem aufgeblasenen Wichtigtuer Oezdemir.
Peinlich die Bussiszenen zwischen Roth und CDU «Granden»; das erinnert an Schmierentheater.
Auf nach Oesterreich!
J.Spork
22. November, 2017Am Ende ist der sprechende Hosenanzug noch lange nicht.Hinter den kulissen wird eifrig dran gearbeitet die pöstchen zu erhalten,und zu vermehren.Mein Tip:Wiederauflage der GROKO.Dann können dich Kleber und Konsorten wieder in den warmen,mit Zwangsabgabe bezahlten Sessel zurücklehnen,und ihrer Kanzlerin (nicht meiner)zujubeln.Wären sich die Gutmenschen in den Rotweingürteln der BRD die Welt schön trinken,muß der sogenannte kleine Mann die Politik ihrer Kanzlerin bezahlen und aushalten.
bin mal gespannt,wie lange das noch klappt?aber man hat ja schon vorgesorgt,mit Refugien im Ausland!
Friedhelm Wegener
22. November, 2017Leider bin ich mir gar nicht so sicher, ob wir das merkelsche Zeitalter bereits hinter uns haben
Karl-Richard Krüger
22. November, 2017Eine unterdurchschnittliche Entourage in der Politik und ein harmoniebedürftiger Wähler, der (zu Recht) angst hat vor Verunglimpfung, sind das Kennzeichen der jetzigen Demokratie. Die Kneipentour des Journalismus ist bald vorbei, hoffentlich mit dem dementsprechenden Kater.
Habe Mut, Deinen eigenen Verstand zu benutzen.
Zitat: Kant.
Toni Rudolf
22. November, 2017Ausgezeichnet, Herr Wendt, ich bin so froh, mich als DDR sozialisierter Bürger, politisch in Ihrem Block wieder zu finden. Gut zu wissen, dass es noch Denker gibt, die den Wahnsinn der letzten Jahre der Merkelära so punktgenau zu analysieren in der Lage sind. Es kommt auch sicher nicht von ungefähr, dass der Gegenwind für Merkel besonders scharf aus dem Osten weht. Unsere Erfahrungen mit einer Diktatur und der dazugehörigen Nomenklatura machen uns besonders sensibel. Keine Frage habe ich allerdings bisher darauf gefunden, warum z.B. ich das erst so spät erkannt habe.
B.Rilling
22. November, 2017Seit Montag habe ich wieder Hoffnung, dass ausgerechnet Herr Lindner sie mir beschert, hätte ich nicht gedacht. Ich war politisch mal relativ links verortet. Nein, nicht ganz links! Dass ich jetzt meine politischen Hoffnungen für dieses Land auch eher mitteliberale Parteien stütze, das ist wirklich sehr ulkig. Frau Merkel hat es möglich gemacht. Ihre Liebelei mit den Grünen macht sie für mich völlig unwählbar! Denn die utopischen Weltsichten der Grünen sind noch verheerender für unser Land, als die Ansichten der Linken. Als nervendes Gewissen in der Opposition kann ich sie noch tolerieren, als Regierungspartei? Niemals!
Simon Adler
24. November, 2017Wenn ich meine innere Verfassheit ergründe, so stelle ich fest: es ist Verwirrung und es nicht glauben können, welche Haltung die meisten Menschen vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich zu den politischen Entwicklungen der vergangenen beiden Jahren seit dem Zuwanderungstsunami einnehmen. Offensichtlich haben die CDU-Wähler und viele andere die politische Kastration der CDU bis zur thematischen Beliebigkeit durch die eigene Parteichefin und die vermeitliche Alternativlosigkeit als Chefin der Partei, ja sogar als Kanzlerin verinnerlicht. Warum haben Menschen mit einer politisch konservativen Haltung offensichtlich ein so geringes Selbstbewusssein, dass sie sich so still verhalten und alles geschehen lassen, was Merkel und die stützenden wichtigsten Medien wollen? Ist es wirklich nur die Angst davor, dass man bei einem deutlichen Aufbegehren geächtet werden und den braunen Mantel umgehängt bekommen könnte? Oder führen die meisten schon ein so gut abgesichertes, wohliges Leben, dass sie durch aufmüpfiges Verhalten nicht aufs Spiel setzen wollen? Letzteres scheint mir für die CDU-Abgeordeneten sehr wahrscheinlich. Aber die konservativen Menschen und Wähler? Nun ja, ich bin jedenfalls sehr erleichtert über den Ausgang der österreichischen Nationalratswahlen und die aus den hiesigen Sondierungsgespächen von Schwarz und Blau zu erwartenden Richtungsänderungen. Ich hoffe sehr, dass es auch den eher konservativ denkenden Menschen im Nachbarland gelingen wird, die Fesseln zu sprengen. Denn eine Neuausrichtung deutscher Politik und Rückbesinnung auf einmal mit Augenmaß abgeschlossener EU-Verträge würde auch zur Rettung der EU und des europäischen Abendlandes beitragen. Gelingt diese Rückkehr zur vormals maßvollen Politik Deutschlands nicht, sehe ich ein Ende des inneren und äußeren Frieden dieses Kontinents kommen.