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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Meint ihr, ihr habt es uns nicht gut genug erklärt?

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Wolfram Ackner, Autor und Schweißer aus Leipzig, über Jamaika, die Insel der progressiven Großstädter

Von Wolfram Ackner / / politik-gesellschaft / 8 min Lesezeit

Eine WELT-Online-Schlagzeile vom 03.11.17 lautete: „CDU will Jamaika mit Identitätsverweigerung retten“. CDU-Identität – was soll das sein? Ich kann schon lange nicht mehr etwas Derartiges entdecken. Die einzigen Werte, für welche die CDU noch zu brennen scheint, sind offensichtlich die der „die offene Gesellschaft“ und „mehr Europa“. Aber darin ist sie sich ja prinzipiell mit allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD einig.

Aber all das, was für mich als konservativen Arbeiter einmal den Markenkern der CDU ausmachte, was sie unterscheidbar von ihren Mitbewerbern machte (Stichworte: Wehrpflicht; die Kernenergie als wichtiger Grundpfeiler einer sauberen, preiswerten Stromerzeugung; der wehrhafte Rechtsstaat; Schutz der traditionellen Familie als Keimzelle der Gesellschaft; soziale Marktwirtschaft; ein Staat, der sich gegenüber seinen Bürgern zurücknimmt und nicht jeden Tag eine neue Propagandasau durchs Dorf treibt; das Urvertrauen, das man als Bürger auf die Einhaltung von Verträgen und Gesetzen haben durfte), wurde von Angela Merkel abgeräumt. Für mich ist die CDU ein Sinnbild der kompletten Beliebigkeit. Eine Partei, die zu jeder Verrenkung bereit ist, die jeden Preis zahlen würde, solange Angela Merkel weiterregieren darf. Solange Deutschland bunter und vielfältiger wird und irgendwann in den ‘Vereinigten Staaten von Europa’ aufgehen darf. Die heutige CDU ist ein Chamäleon, das innerhalb von Sekunden seine politische Farbe ins Gelbe, ins Grüne, ins Schwarze, selbst ins Rote und wieder zurück ändern könnte. Kein schwarzer VW Käfer mehr wie früher, sondern ein Polo Harlekin.

Käme Jamaika zustande, dann wäre es eine linksradikale Mitte-Rechts-Koalition. Um mit Bill Clinton zu sprechen: „It’s either or, stupid!“

Auf der einen Seite CSU und FDP, die für mich letzten etablierten Parteien, die noch Interesse erkennen lassen, auch die Interessen von kleinen, selbständig ihr Geld verdienenden Leuten wahrzunehmen, und die im Gegensatz zur CDU noch Restskrupel erkennen lassen, alle ordnungspolitischen Grundsätze über Bord zu werfen, solange es um Eurorettung und die „Verteidigung der liberalen Gesellschaft“ geht – die sich allerdings längst in eine pseudoliberale, elitäre Ständegesellschaft verwandelt hat.

Einem Großteil der Bevölkerungsgruppe, der ich mich zugehörig fühle – hart arbeitende kleine, bodenständige Leute, die in unspektakulären Jobs schuften und sich oft genug gerade so über Wasser halten können, während sie tagtäglich in den Medien hören & lesen können, “wie unfassbar gut es uns doch geht“ – wurde von Hillary Clinton die Bezeichnung ‘deplorables’ verpasst. Genau so werden wir auch hier in den Medien und Talkshows pathologisiert – als bedauernswerte, minderwertige Gestalten, zerfressen von Hass und Abstiegsängsten, die an Fake News glauben und in bösartiger Borniertheit die (selbsternannten) kosmopolitischen, humanistischen, gebildeten Schichten verachten. Nun ist es natürlich eine sehr menschliche Eigenschaft, sich unerklärliche Dinge so zurechtzulegen, dass man dabei gut weg kommt. Für Journalisten ist es zweifellos bitter, wenn man unisono Monat für Monat jeden einzelnen gottverdammten Tag in den schlimmsten Farben den braunen Teufel an die Wand malt. Und am Ende wird bei uns in Sachsen die AfD stärkste Partei.

Wenn ihr meint, ihr habt es uns einfach nicht gut genug erklärt und dass ihr noch eine Schippe drauflegen müsst, bitteschön, dann glaubt das. Ich möchte dazu nur kurz anmerken, dass Leute wie ich keineswegs Eliten hassen. Wir verstehen darunter nur etwas anderes als das momentane Spitzenpersonal in Medien, Kultur und Politik. Deren Mitglieder sollten vielleicht schon im Eigeninteresse erkennen, dass die Gelder, welche sie verteilen möchten, immer noch mit unseren rauchenden Industrie-Schloten verdient werden. Und nicht, indem wir uns gegenseitig bezahlte Vorträge über Antifaschismus, Critical Whiteness und Gender Studies halten.

In einer Jamaika-Koalition wäre viel Phantasie vonnöten, damit CSU und FDP nicht ihre Wahlkampfversprechen zur Zuwanderungsbegrenzung und Ablehnung einer europäischen Schuldenunion brechen müssten. Ich fürchte, die Blaupause für diese benötigte „Mutter aller Kompromisse“ lieferte die SPD im Jahre 2005.
Angela Merkel zog damals mit der Forderung einer Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozent in den Wahlkampf, worauf die Spitzen der Sozialdemokratie von allen Wahlkampfbühnen dieses Landes herab verkündeten, dass „es mit der SPD keine Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 18 Prozent geben wird“. Dann zwang der Wähler die SPD in eine große Koalition unter Merkels Führung, und die SPD fand mit der CDU einen Kompromiss, mit dem sie nicht Wortbrecherin dastand. Man einigte sich auf 19 Prozent Mehrwertsteuererhöhung.
Genau diese Sorte Kompromisse erwarte ich von einer Jamaika-Koalition.

8 Kommentare
  • Wutbürger
    9. November, 2017

    Bravo.

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  • Bärbel Schneider
    9. November, 2017

    Ich habe schon anderswo kommentiert, dass die Merkel-CDU /auch laut Aussage von Schulz in der Elefantenrunde) eine Gesinnungshure ist, die alles mit jedem macht, wenn nur Merkel Kanzlerin bleiben darf. Jetzt hat Merkel FDP und CSU zum politischen Selbstmord aufgefordert und ihnen dafür eine Frist gesetzt. Mal sehen, ob sie dem Befehl nachkommen werden. – Ich freue mich übrigens – auch als gebürtige Leipzigerin – über die (Ex-)Ossi-Connection Ackner-Wendt-Klonovsky, deren Beiträge immer besonders lesenswert sind. Wie Herrn Wendts Empfehlungen anderer Blogs zeient, sind sie auch tolerant genug, Autoren anderer Herkunft wie Don Alphonso nicht auszugrenzen. Das ist Buntheit, wie ich sie mir wünsche.

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  • B.Große
    9. November, 2017

    So ist es. Deshalb kann ich ja auch nicht mehr CDU wählen.

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  • Wutmaier
    9. November, 2017

    Sehr geehrter Herr Ackner,

    ich habe Sie bei Achgut schon vermisst….. endlich wieder etwas von Ihnen zu lessen. Und mal wieder gleich «voll auf die Zwölf». Ist das schön, wenn mal jemand so knackig schreibt, was ich mir immer nur denke und nicht fomulieren kann.

    Und ganz allgemein: endlich Herr Wendt nicht nur auf – dem von mir nicht genutzten – facebook zu lesen. Klonovsky sei Dank habe ich den Start dieser Seite nicht verpasst. Ich freue mich auf mehr.

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  • AW
    10. November, 2017

    Sehr treffende und gute Analyse unserer gegenwärtigen politischen Landschaft.

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  • Ich
    11. November, 2017

    Die Parteien waren schon vor 40 Jahren beliebig austauschbar und ohne Rückgrat. Warum soll das ausgerechnet jetzt anders sein??? Damals hatte man noch ein einheitliches Feindbild, so dass dieser Sachverhalt nur nicht so aufgefallen ist. Warum wird das heute so thematisiert, wo sich doch nichts ändert?

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  • deplorable affair
    12. November, 2017

    Es wurde im Gegenteil so viel (Unnützes) erklärt, als wäre Bevölkerung ein minderbemittelter Depp. Wer genau will sich noch z.B. Herrn Maas Erklärungen zu Fake News und dem Zensurgesetz aussetzen oder auch Frau Schwesig im erklärenden Kampf gegen rechts. Die 100 Mio. dafür sind bereits über die Wupper, um es salopp zu formulieren, dafür gilt die moralisch und politisch korrekte Kampfdiskriminierungsansage: jeder muss mitmachen.
    Interessant daran: im demokratischen Diskurs wird das Recht auf „dürfen“ stets als höchstes Banner getragen. Insofern ist korrekt: jeder darf mitmachen. Das „Muss“ ist eine auferlegte, befohlene Abwandlung der demokratischen Grundlage, ist bislang aber im politisch schwergewichtigen Alltag noch keinem aufgefallen. Kompromisslos.
    Und immer lande ich bei Herrn Broder, der in einem Interview sagte: Demokratie ist, wenn eben nicht jeder mitmacht.
    Das genau ist der Punkt: Demokratie lebt davon, dass in definierten Grenzen die freiheitliche Wahl gilt, für oder gegen etwas zu sein. Im Zweifelsfall ist es dem jeweiligen Menschen „wurscht“ und sogar das darf sein.
    Die aktuelle Lage beschert aber, dass so viel erklärt wurde, dass gezwungener Maßen jeder mitmacht, ob er will oder nicht. Denn: macht jemand nicht mit, ist er Minimum annoying und schon ist er dabei (den englischen Begriff habe ich aus Gründen gewählt, um auch den exaltiertesten Gender-Hippster textlich mitzunehmen. Wir haben gelernt, nie und keiner darf jemals auch nur nicht bedacht, mitgenommen, verstanden, erwähnt, unterstützt etc. werden).
    Aus politischer Perspektive haben nun bedauerlicher Weise doch mehr mitgemacht als wünschenswert war bzw. auch noch die Falschen; weswegen man nicht nur Jamaika hat, sondern auch die AfD im Bundestag.
    Und das obwohl Herr Altmeier extra noch darauf hingewiesen hat, man solle doch überhaupt nicht wählen gehen, bevor jemand sein Kreuz bei der AfD macht. Allein dieser Satz hätte Herrn Altmeier aus allen Sondierungen und Verhandlungen selbstredend ausschließen müssen.

    Passt Erwartungen und Jamaika überhaupt in einen ernsthaften Satz? Besten Dank für Ihren Artikel, ich erwarte ebenfalls sortenvielfältige, wachsweiche, vom Wahlversprechen losgelöste, alternativlose Kompromissüberraschungen.

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  • Ralf Droben
    14. November, 2017

    Bravo Herr Ackner,
    dieses «Wir müssen unsere Politik zukünftig einfach nur besser erklären» ist für mich eine der größten Wählerbeschimpfungen gewesen. Wenn jede abweichende Meinung als «postfaktisch», «rassistisch» oder einfach «nur zu doof um die bisherigen Erklärungen zu verstehen», abgewürgt wird, hat der gesellschaftliche Dialog zur Lösung der dringenden Probleme aufgehört. Dann geht es nur noch um schiere Durchsetzung der Meinungshoheit/Macht. Bitte machen Sie weiter und werfen den etablierten Parteien ihre infamen Phrasen zurück.

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Original: Meint ihr, ihr habt es uns nicht gut genug erklärt?

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