Kaum baut China seinen dritten natriumgekühlten Reaktor mit schnellem Neutronenspektrum, kommen die einschlägigen „Atomkraftgegner“ wieder unter ihren Steinen hervorgekrochen und erzählen das Märchen von den „Bomben aus den schnellen Brütern“ neu. Diesmal in der Version China. Genau dieser Henry Sokolski hat schon 2010 seine steilen Thesen bei der Heirich Böll Stiftung (Die grüne politische Stiftung) unter dem Titel Wege aus dem nuklearen Dilemma verbreitet. Eigentlich nur neuer Wein aus alten Schläuchen. Gleichwohl Hauptgift der „Atomkraftgegner“ im doppelten Sinne: Erstens, der Mythos vom nicht wiederverwendbaren Atommüll und die „Endlagerfrage“ muß aufrecht erhalten bleiben und zweitens, es gibt keine Trennung zwischen friedlicher Nutzung der Kernenergie und „Atombomben“. Genau das, was schlichte Gemüter mit guten Herzen an die Wahlurnen oder auf Demos treiben soll. Es ist deshalb nötig, die Schleier der Propaganda etwas beiseite zu schieben.
Die Rolle Chinas
Da uns Claudia Kemfert und ihre Kumpane in unzähligen Auftritten im Staatsfernsehen erklärt haben, daß Wind und Sonne die einzig wahren Energieträger sind und „Atomkraft ganz, ganz unwirtschaftlich ist“, muß natürlich eine Begründung für den Ausbau der Kernenergie in China her: Was geht da besser, als „atomare“ Aufrüstung? Die Enthüllung ist, China baut gar keine Kern-Kraftwerke für die Stromerzeugung, sondern will nur Plutonium erzeugen, um daraus Bomben zu bauen oder wenigstens die Welt zu vergiften. Klingt alles – aber bestimmt nicht zufällig – nach Dr. Fu Manchu bzw. ist einfach nur schlechte Propaganda. Aber Vorsicht, langjährige Erfahrung mit dem Ökosozialismus zeigt, daß es denen egal ist, ob wahr oder falsch, Hauptsache die Spinnereien werden so lange in allen Medien wiederholt, bis jeder sie nachplappert und sie dadurch auf mystische Art wahr erscheinen.
Man mag ja über das kommunistische China denken was man will, aber China hat es gar nicht nötig, heimlich Kernwaffen zu produzieren. China ist seit 1964 „Atommacht“ – ganz im Gegenteil z. B. zum Iran. Inzwischen mit allem was dazu gehört, wie z. B. Raketen. Niemand dürfte daran zweifeln, daß China in der Lage wäre, weltweit einen „Atomschlag“ auszuführen. Aber will es das wirklich? Zweifellos hat China imperiale Gelüste, aber gerade deshalb wird es einen Atomkrieg vermeiden. Die blitzartige Einäscherung von Shanghai (ca. 26 Millionen Menschen) oder Peking (ca. 20 Millionen) würde China schneller in die Knie zwingen, als Hiroshima und Nagasaki das japanische Kaiserreich. China ist mit seiner Bevölkerungsstruktur längst nicht mehr in der Lage einen Atomkrieg zu führen. China kann auch nur auf Abschreckung setzen. Dafür reichen seine geschätzt 350 Sprengköpfe aus. Das mag gegenüber Russland (6375 Sprengköpfe) und USA (5800) gering erscheinen, ist aber in der Größenordnung von GB und Frankreich. Gerade für seine imperialen Züge im Pazifik – und nicht zuletzt für die latente Bedrohung von Taiwan – braucht es eine starke konventionelle Armee und Marine. Ein nukleares Wettrüsten frißt aber Unmengen Geld.
Selbst wenn China einen Ausbau seiner Nuklearstreitkräfte plant, kann es sogar auf Vorräte an für Waffen geeignetem Plutonium (geschätzt 2,5 bis 3,5 to) für weitere 480 Sprengköpfe zurückgreifen. Darüberhinaus noch auf hochangereichertes Uran (geschätzt 11 bis 17 to) für weitere etwa 1000 Sprengköpfe. Wenn das nicht reicht, kann man noch entsprechende Produktionsanlagen reaktivieren.
Plutonium ist nicht gleich Plutonium
An dieser Stelle ist noch ein bißchen Neutronenphysik nötig. Plutonium wird in jedem Reaktortyp aus U238 durch das Einfangen von Neutronen gebildet. Die Typen unterscheiden sich lediglich durch ihre Konversionsrate. Bei Leichtwasserreaktoren beträgt diese etwa 0,6. Das heißt statistisch betrachtet, wenn 10 Kerne gespalten wurden, haben sich 6 Plutoniumatome neu gebildet. Ist die Konversionsrate größer 1, spricht man von Brütern. Es werden also mehr Kerne – die zu Spontanspaltungen neigen, wie U235 und Pu239 – neu gebildet als verbraucht. Mit schnellen Neutronen kann man alle Kerne spalten, braucht aber eine höhere Anreicherung als bei langsamen (abgebremsten oder moderierten) Neutronen.
Wenn nun ein Neutron auf einen Kern Pu239 (Halbwertszeit 24 110 Jahre) trifft, wird er nicht zwingend gespalten, sondern es bildet sich (manchmal) Pu240 (Halbwertszeit 6 564 Jahre), aus diesem kann sich Pu241(Halbwertszeit 14,35 Jahre) bilden und daraus sogar Pu242 (Halbwertszeit 375 000 Jahre). Wichtig ist nur, daß man je nach Fahrweise und Betriebsdauer des Reaktors ein wildes Isotopengemisch erhält, welches man chemisch nicht trennen kann. Aus verschiedenen Gründen ist aber lediglich das Isotop Pu239 für eine Kernwaffe geeignet. Man unterscheidet deshalb zwischen Reaktor-Plutonium und Waffen-Plutonium. Letzteres muß mindestens eine Reinheit von 93% Pu239 haben. Es ist deshalb Unsinn – aber immer wieder gern von „Atomkraftgegnern“ gemacht – aus der Menge an anfallendem Reaktorplutonium aus Kernkraftwerken irgendwelche „Atombomben“ zusammen zu spekulieren. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Aus dem Reaktorplutonium üblicher Kernkraftwerke läßt sich nur eine „Atombombe“ bauen, mit der man nicht einmal Fensterscheiben zum wackeln bringen kann.
Gleichwohl ist es kein Problem, Waffen-Plutonium herzustellen, wenn man die Erzeugung verstanden hat. Aus U238 bildet sich U239, welches mit einer Halbwertszeit von 24 Minuten in Np239 zerfällt und dieses zerfällt wiederum mit einer Halbwertszeit von 2,4 Tagen in Pu239. Der wesentliche Trick ist also, man läßt die Brennstäbe nur kurz im Reaktor verweilen. Will man hochreines Waffen-Plutonium herstellen, hat man dafür immer spezielle Anlagen verwendet, in denen die entstandene Wärme einfach als Abfall an die Umgebung abgegeben wurde. Die Brennelemente waren nur so kurz „abgebrannt“, daß sie einfach in Wasserbecken fielen und früher sogar nur mit Zangen entnommen wurden. Da sie so schwach strahlen, ist die Wiederaufbereitung ebenfalls viel einfacher als bei Brennelementen aus Kernkraftwerken. Kurzum, es ist einfach idiotisch, „Atombomben“ mit Kernkraftwerken herstellen zu wollen. Ganz besonders dann, wenn man – wie China als anerkannte „Atommacht“ – Heimlichkeit gar nicht nötig hat.
Warum baut China nun Natriumgekühlte-Reaktoren?
China setzt voll auf Kernenergie. Man geht beim Ausbau langfristig und in klar definierten Schritten vor. Erst kauft und klaut man das gesamte weltweit vorhandene Wissen zusammen. Diese Phase ist bezüglich Reaktoren der dritten Generation abgeschlossen. Jetzt geht man in die Serienproduktion mit „Eigenentwicklungen“, für die man keine Lizenzgebühren mehr bezahlt und keine Einschränkungen mehr akzeptieren muß. Chinesische Druckwasserreaktoren haben inzwischen Bauzeiten von rund fünf Jahren und Baukosten auf dem Niveau modernster Kohlekraftwerke mit Rauchgaswäsche und höchsten Wirkungsgraden. Die Auslegungslebensdauer bewegt sich auf dem internationalen Standard von 60 Jahren und wird real 100 Jahre überschreiten. Die Reaktoren, die heute ans Netz gehen, werden die Jahrhundertwende noch überleben. Wie immer, wird nicht die Technik, sondern die individuelle Wirtschaftlichkeit über deren Ende entscheiden.
China hat aber von Anbeginn der Nutzung von Kernenergie ein Problem: Zumindest die wirtschaftlich förderbaren Uranvorkommen im eigenen Land sind sehr gering. Deshalb gilt schon heute die Dreierregel: Ein Drittel aus inländischer Förderung, ein Drittel durch Kauf am Weltmarkt und ein Drittel aus ausländischen, aber von China betriebenen, Minen. Man darf dabei nie aus den Augen verlieren, daß ein abgebranntes Brennelement immer noch rund 95% Energieträger enthält. Es baut sich also ein gewaltiger Schatz auf, den es (langfristig) zu heben gilt. Die einzig verfügbare erprobte Technik zur Spaltung von U238 kommt derzeit aus Russland in der Form des mit Natrium gekühlten und schnellem Neutronenspektrum betriebenen BN-600. Dieser Reaktor ist seit 1981 in Beloyarsk am Netz. Inzwischen haben umfangreiche Nachrüstungen (seit 2010) stattgefunden und drei neue Dampferzeuger sind in Vorbereitung, die die genehmigte Betriebsdauer auf 60 Jahre erhöhen. Auf der Basis dieses Typs (1500 MWth, 600 MWel) hat China zwei Reaktoren für das Kraftwerk Xiapu bestellt. Sie sind seit 2018 in Bau und sollen 2023 bzw. 2026 den kommerziellen Betrieb aufnehmen. Sie können mit Uranoxid (Anreicherung 17 bis 26%) oder Mischoxid (100 GWd/t Abbrand) bestückt werden. Später ist sogar eine Beladung mit metallischem Brennstoff (100–120 GWd/t) vorgesehen. Dies würde auch ganz neue Wege bezüglich der Wiederaufbereitung ermöglichen. Der Brennstoff für die ersten sieben Jahre kommt von TCEL aus Russland. China geht auch hier wieder extrem konservativ vor.
Eine grobe Abschätzung ergibt für diese Reaktoren bei einer Erstbeladung mit Mischoxid einen Bedarf von etwa 10 to pro Reaktor. Dabei ist ein Verhältnis von (abgereichertem) Uran und Plutonium von etwa 8:2 erforderlich. Jedes Jahr dürfte eine Nachladung von rund 5 to MOX-Brennelementen pro Reaktor nötig sein. Die tatsächlichen Werte hängen stark von der jährlichen Auslastung und dem erzielten Abbrand (Werkstoffproblematik) ab. Die Energiedichte von natriumgekühlten Reaktoren ist sehr hoch: Der Reaktorkern eines BN-600 ist nur etwa 1m hoch, bei einem Durchmesser von etwa 2m (369 Brennelemente mit je 127 Brennstäben).
Die Wiederaufbereitung
Parallel läuft ein Programm zur Wiederaufbereitung. Aufbauend auf die umfangreiche Erfahrung aus der Waffenproduktion wurde bis 2005 eine Pilotanlage zur Aufbereitung ziviler Brennelemente gebaut. Ab 2010 begann der heiße Testbetrieb. Zahlreiche Verzögerungen ergaben aber erst 2017 einen halbwegs zufrieden stellenden Betrieb. Im Jahre 2011 wurde der Bau einer Anlage mit einer Kapazität von 200 toSM/a in Jinta beschlossen. Sie sollte 2020 in Betrieb gehen. Neben dieser Anlage wird auch eine Fertigung für MOX-Brennelemente mit einer Kapazität von 20 t/a errichtet. Diese Anlagen reichen für einen BN-600 Reaktor aus. Parallel ziehen sich seit Jahren Verhandlungen mit Frankreich über eine Wiederaufbereitungsanlage mit 800 t/a für Brennelemente aus Druckwasserreaktoren hin. Bisher scheiterten die Verhandlungen an den Preisvorstellungen der EDF.
Bezüglich der Wiederaufbereitung steht China nicht unter Zeitdruck: (Noch) sind die Weltmarktpreise für Uran niedrig, China verfügt bereits über große Kapazitäten zur Anreicherung und zur Produktion von Brennelementen für Druckwasserreaktoren. Die zeitlich nahezu unbefristete Lagerung von abgebrannten Brennelementen ist kein Problem – schon gar nicht für China mit seinen Wüsten. Es ist also folgerichtig, sich auf den Zubau der konventionellen Reaktorflotte (Generation III) zu konzentrieren. Jedes neue Kernkraftwerk am Netz kann potentiell alte umweltverschmutzende Kohlekraftwerke ersetzen. Der derzeitige Einstieg in die Reaktoren mit Natriumkühlung ist vergleichbar mit dem Einstieg in die Druckwasserreaktoren in den 1980er Jahren. Auch diesmal wird weniger auf Exotik als auf erprobte Technik gesetzt – nur verengt sich hier der Weltmarkt derzeit auf Russland.
Zusammenfassung
China setzt konsequent auf den Ausbau der Kernenergie:
- Am Ende von 2019 verfügte China über eine installierte Leistung von 50 GWel. Geplant war eine Leistung von 58 GWel. Die kleine Delle kam durch die Reaktion auf das Unglück von Fukushima. Im laufenden Fünfjahrplan (2021 – 2025) ist eine Leistung von 70 GWel geplant. Beauftragt sind vier Reaktoren vom Typ CAP1000, vier vom russischen Typ VVER- V491, ein SMR vom Typ ACP100 und ein Hualong One. Alles Druckwasserreaktoren der III. Generation.
- Seit 2011 ist der Chinese Experimental Fast Reactor (CEFR) mit einer Leistung von 65 MWth / 20 MWel in Betrieb. Er wird mit auf 64% angereichertem Uran betrieben. Reaktor und Brennstoff kommen aus Russland.
- Seit 2017 bzw. 2020 befinden sich zwei schnelle Reaktoren mit Natriumkühlung in Xiapu in Bau. Die beiden russischen Reaktoren mit 1500 MWth / 600 MWel sollen 2023 bzw. 2026 ans Netz gehen. Die Brennstoffversorgung für sieben Jahre erfolgt aus einer neuen Fabrik in Russland. Beide Länder erzielen dadurch für ihre Programme mit schnellen Reaktoren einen bedeutenden Kostenvorteil. Beide Länder bevorzugen zusammen eine evolutionäre Strategie in Richtung 1000 MWel. (Russland verfügt bereits über einen BN-800 in Beloyarsk).
- Bereits 1983 hat China einen geschlossenen Brennstoffkreislauf beschlossen. Seit 2015 gibt es eine Testanlage für die Aufbereitung ziviler Brennelemente in Jinta. Sie soll eine Kapazität von 50 to/a haben. Ihr Bau und Betrieb war mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden.
- In Jiuquan ist eine 200 to/a Demonstrationsanlage in Bau. Die Bauarbeiten sind fertig und letztes Jahr hat die Montage der Verfahrenstechnik begonnen. Geplante Inbetriebnahme ist 2025. Inzwischen ist ein baugleicher zweiter Strang in Arbeit, der noch vor 2030 fertiggestellt sein soll.
- Seit 2018 sind neben den zwei Wiederaufbereitungsanlagen auch zwei Brennelementefabriken für Mischoxid mit einer Kapazität von je 20 to/a in Bau. In ihnen kann das aus der Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennelementen aus den Druckwasserreaktoren zurückgewonnene Uran und Plutonium zu neuen Brennelementen verarbeitet werden.
- In Beishan laufen seit Jahren die vorbereitenden Untersuchungen und Baumaßnahmen für ein geologisches Endlager für die hochaktiven Reststoffe. Geplant ist eine Inbetriebnahme bis 2050.