Michael Shellenberger bezeichnet sich selbst als „Umweltaktivist“ der sich für „CO2 freie Energie“ zur „Klimarettung“ einsetzt. Er sagt von sich selbst, daß er ursprünglich ein Anhänger von „Atomkraft-Nein-Danke“ war und heute aktiv für die Erhaltung von Kernkraftwerken kämpft — vom Saulus zum Paulus sozusagen. Gerade deswegen genießt er hohes Ansehen unter Aktivisten für die Kernenergienutzung.
Nun hat er sich mit dem Artikel Wer sind wir, daß wir schwachen Nationen Kernwaffen vorenthalten, die sie für ihre Selbstverteidigung benötigen? und einer noch dolleren Fortsetzung Für Nationen die Kernenergie anstreben ist der Bau von Kernwaffen eine Fähigkeit und kein Fehler im Forbes-Magazin auf sehr abschüssiges Gelände begeben. In Anbetracht der großen Auflage und dem Bekanntheitsgrad des Autors kann man seine Thesen nicht unkommentiert lassen. Dafür wird einfach zu viel durcheinander gerührt. Der geübte Erzähler beginnt seinen Artikel mit der Schilderung einer Szene aus einem Hollywoodfilm, in der die SS brutal eine jüdische Familie im besetzten Frankreich abschlachtet. Er läßt seine Schilderung mit der selbst beantworteten Frage enden, warum sich die französische Familie überhaupt im Keller verstecken mußte: Sie hatten keine Abschreckung. Er spannt den erzählerischen Bogen weiter über den July 1942, in dem die kollaborierende französische Polizei fast 13000 Juden in einem Stadion zusammenpferchte und anschließend nach Deutschland deportieren ließ. Es folgt die Feststellung, daß von den fast 76000 französischen Juden die Gaskammern von Ausschwitz nur 2000 überlebt haben. Dramaturgisch geschickt, aber äußerst geschmacklos — wenn man erst einmal die spätere Gleichsetzung von Israel und Iran gelesen hat — kommt er zu seiner ersten These:
Die Atombombe als Waffe der Schwachen.
Wie hätte ein schwacher Staat wie Frankreich der 1930er Jahre die Ungleichheit gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland aufheben können? Durch den Besitz einer Waffe, mit der er ihre größten Städte hätte ausradieren können. Wow! Mal abgesehen, daß solche historischen Betrachtungen genauso sinnvoll sind, wie die Fragestellung, was wäre aus der Welt geworden, wenn die Saurier schon Konserven gehabt hätten, ist dies schon der erste Widerspruch in seiner gesamten Argumentation. Shellenberger hat die Nukleare-Abschreckung, wie sie z. B. im Kalten-Krieg vorlag, gar nicht verstanden: Sie funktioniert nur, wenn jeder genug Waffen hat, den Gegner auch dann sicher auszulöschen, wenn dieser bereits sein ganzes Arsenal abgefeuert hat (Zweitschlagfähigkeit). Nur in der Märchenwelt verfügt ausschließlich der Edle und Schwache über Schwert und Rüstung — was ihn automatisch nicht mehr schwach sein läßt. Solange also nicht jeder Staat über das Potential verfügt, die ganze Welt zu vernichten, gibt es keine funktionierende Abschreckung. Wer ist ernsthaft für solch einen Irrsinn?
Das ganze Vorspiel mit Frankreich bekommt plötzlich Sinn, wenn man die Überleitung mit Charles de Gaulle über die nukleare Bewaffnung von Frankreich liest. Shellenberger sieht sie als logische Konsequenz des Überfalls von Frankreich durch Deutschland. Aus dieser Position leitet er die vermeintlich unmoralische Haltung der USA 1962 ab: Das französische Ansinnen sei „töricht oder teuflisch — oder beides“ (frei nach Kennedy). Warum konnten die USA Frankreich den Wunsch absprechen, sich selbst zu verteidigen? Eine moralisch triefende rhetorische Frage, die er für seine weitere Argumentation braucht. Er blendet einfach die historischen Tatsachen aus: Die Panzer der Sowjetunion standen an der Elbe — also unmittelbar vor den Toren Frankreichs. Charles de Gaulle sprach in diesem Zusammenhang bewußt von Lyon und Hamburg. Er wollte das Europa der Vaterländer — zusammen mit dem „Erbfeind“ Deutschland — als Bollwerk gegen weitere innereuropäische Kriege und die äußere Bedrohung durch den Kommunismus. Demgegenüber stand die nordatlantische Wertegemeinschaft mit dem atomaren Schutzschirm der USA als Alternative.
Der nukleare Schutzschirm
Damit kommen wir zu seiner zweiten These, mit der er Kernwaffen für jeden Staat begründet: Kein Staat würde einen „Atomkrieg“ riskieren, wenn einer seiner Verbündeten durch einen anderen Staat mit Atomwaffen angegriffen würde. Ausgerechnet den deutschen Professor Christian Hacke führt er hierfür als Zeuge an. Ein Typ, die schon mal gerne Donald Trump in einem Interview mit dem Deutschlandfunk (Wo auch sonst, als im GEZ-Funk?) als „Kotzbrocken, der für die Unterseite der amerikanischen Zivilisation steht“ bezeichnet. Schlimmer noch, diese Lichtgestalt eines deutschen Politologen verbreitet seine kruschen Thesen auch noch international:
Germany is, for the first time since 1949, without nuclear protection provided by the United States, and thus defenseless in an extreme crisis. As such, Germany has no alternative but to rely on itself. A nuclear-armed Germany would be for deterrence only. A nuclear Germany would stabilize NATO and the security of the Western World, but if we cannot persuade our allies then Germany should go it alone.
Kurz und knapp: Wegen der neuerdings unzuverlässigen USA — die staatliche Propaganda des GEZ-Rundfunks zeigt zumindest bei diesem Herrn Früchte — braucht Deutschland eigene Kernwaffen!
Die Politik der USA hat sich bisher nicht verändert: Es sind zahlreiche US-Truppen in Deutschland stationiert. Zusätzlich wurde der Schutzschirm noch bis in die baltischen Staaten ausgedehnt. Dies ist der „_Pearl-Harbor-Knop_f“ der USA! Putin-Versteher bezeichnen das als Bedrohung Russlands durch die „Nato-Ost-Erweiterung“. Zum Glück ist Putin als KGB-Offizier in der dritten Generation nicht ein solcher Einfaltspinsel. Gleichwohl ist das Säen von Zwietracht ein ewiges Bemühen dieser Organisation und ihrer Helfer im Westen. Wer sich dafür interessiert, dem sei z. B. ein Studium des „NATO-Doppelbeschlusses“ empfohlen. Noch heute kämpft die SED-Nachfolgepartei gegen die Lagerung von US-Atombomben auf deutschem Grund. Sie sollten nach Freigabe durch die USA von Bundeswehrflugzeugen gegen die Sowjetarmee eingesetzt werden können. Nichts weiter, als ein deutliches Argument, daß das Spiel „New York gegen Berlin“ nicht funktioniert. Nukleare Abschreckung ist halt etwas komplexer als mancher Politologe glaubt zu wissen.
Alle Staaten sollen gleich sein
Staaten sind nicht gleich gefährlich. Es ist wie mit Messern, Schusswaffen und allem anderen auch: Es ist z. B. ein Unterschied, ob ein Pfadfinder ein Messer bei sich hat oder ein „männlicher unbegleiteter Migrant“ auf einem Volksfest. Insofern ist es bestenfalls naiv, alle Staaten in einen Topf zu werfen.
Man mag ja noch verstehen, daß in Nord Korea die Kernwaffen letztendlich nur zur Ausbeutung und Unterdrückung des eigenen Volkes durch seinen Diktator dienen sollen: Wenn ihr mir mein Volk wegnehmen wollt, beschmeiß ich euch mit Atombomben. Aber Iran und Israel in einen Topf zu schmeißen, ist schon nicht mehr unverständlich: Israel ist eine Demokratie — Iran ein antisemitisches Mullah-Regime, das immer wieder mit der Auslöschung Israels droht; Israel hat bisher ausschließlich unter großen Opfern lokale Verteidigungskriege führen müssen — Iran führt aus religiösem Antrieb Krieg in Jemen, Irak und Syrien und unterstützt aktiv Terroristen. Man hätte wirklich kein dämlicheres Beispiel für die Befriedung durch frei verfügbare Kernwaffen finden können. Iran ist erst durch sein Streben nach Kernwaffen zum Problem geworden. Mit Rationalität im Zusammenhang mit gläubigen Schiiten sollte man auch nicht zu erwartungsvoll sein: Was soll ein Gleichgewicht des Schreckens jemandem sagen, der davon überzeugt ist, 72 Jungfrauen zu bekommen, wenn er sich selbst in die Luft sprengt?
Libyen, Irak und die Ukraine sind ebenfalls schlechte Beispiele zur Untermauerung der These von „Frieden schaffen durch Kernwaffen“. Libyen und Irak hätten es aus eigener Kraft gar nicht geschafft Kernwaffenstaat zu werden. Dafür haben ihre technischen und finanziellen Möglichkeiten nicht ausgereicht. Die Ukraine hat lediglich die sowjetischen Kernwaffen, die auf ihrem Territorium stationiert waren, an den Nachfolgestaat Rußland zurück gegeben. Der Unterhalt hätte sie nur finanziell aufgefressen. Putin hätte sich von einer Destabilisierung auch durch ein paar olle Raketen nicht abhalten lassen. Auf Grund seiner praktischen Erfahrung als KGB-Offizier in der DDR, kann er einfach kein freies und wirtschaftlich erfolgreiches Land als Leuchtfeuer in seiner Nähe dulden.
Warum uns Kernwaffen friedlich machen sollen
„Atomwaffen dienen nicht zur Verteidigung sondern als Strafe“. Wieder so ein markanter Irrtum. „Friedensbewegte“ würden lieber von der drohenden atomaren Apokalypse sprechen. Wieso eigentlich? Hiroshima und Nagasaki sind schon lange wieder belebte Städte. Einzig und allein die Fähigkeit einen Gegner mit Sicherheit auch im Zweitschlag zu vernichten, kann eine Abschreckung auslösen. Aber kann Korea die USA auslöschen oder China Indien? Für eine nukleare Strafaktion wäre es wohl viel zu spät. China und Pakistan haben daher ständig Grenzscharmützel, nur wird hier darüber kaum berichtet. Frieden jedenfalls, sieht anders aus.
Ferner sind Kernwaffen nicht alles. Da ist z. B. eine funktionierende Raketenabwehr, über die im Moment praktisch nur die USA und Israel verfügen. Glaubt jemand ernsthaft daran, daß es (zumindest heute und in naher Zukunft) Korea gelingen würde, eine Interkontinentalrakete zum amerikanischen Festland durchzubringen?
Selbst eine so simple Eigenschaft wie die Fläche eine Landes spielt eine Rolle: Für Breschnew war Deutschland stets ein Problem von drei Wasserstoffbomben. Israel könnte wohl kaum eine aushalten. Dem großen Führer von Nord Korea wäre es wohl egal, ob sein Land in einen Parkplatz umgewandelt würde, solange er in irgendeinem Bunker überleben könnte. Iran ist zwar ziemlich groß, aber seine Führungsclique erstrebt ohnehin einen Platz im eingebildeten Paradies.
Kernkraftwerke und die Bombe
Die abgedroschene Behauptung der Verknüpfung von Kernkraftwerken und nuklearer Aufrüstung ist schlicht weg Unsinn. Der einzige Fall einer Verknüpfung (über die Nutzung von Schwerwasserreaktoren zur Produktion von waffengrädigem Plutonium) war und ist Indien. Die Welt hat daraus gelernt (z. B. „123-Abkommen“ mit den Vereinigten Emiraten). Selbst Korea, Iran und vormals Süd-Afrika haben ein eigenes Waffenprogramm unterhalten. Eher das Gegenteil ist der Fall: Ein paralleles Programm zum Aufbau von friedlicher und militärischer Nutzung ist für die meisten Länder der Welt schlicht zu kostspielig. Auch Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi und Assad konnten nur an der Bombe basteln. Wie wichtig Geld ist, zeigt das Beispiel Vietnam, dort mußte man von dem geplanten Bau von Kernkraftwerken auf Kohlekraftwerke umschwenken. Wären die Theorien von Shellenberger zutreffend, hätte Vietnam alles daran setzen müssen Kernkraftwerke zu bauen, befindet es sich doch in einem latenten Kriegszustand mit China.
Der Brennstoffkreislauf
In der Tat ist der Aufbau eines Brennstoffkreislaufes wesentlich sensibler. Dies betrifft sowohl die Anreicherung von Uran auf Waffenfähigkeit (Pakistan) wie auch die Wiederaufbereitung (Indien). Sowohl die USA (Vereinigte Emirate), wie auch Rußland (Türkei, Ägypten) achten beim Verkauf von Kernkraftwerken durch die Lieferung und Rücknahme des benötigten Brennstoffs auf eine Einschränkung des Kreises.
Umgekehrt kann man nicht den Schluß ziehen, daß jedes Land mit einem Brennstoffkreislauf auch Kernwaffen anstrebt. Paradebeispiel dafür war gerade Deutschland. Wie unverantwortlich und dämlich daher beispielsweise das Politologengeschwafel eines Christian Hacke ist, zeigt bereits Shellenbergers Artikel: Er listet nur drei Staaten (Polen, Ungarn und Finnland) auf, denen er kein Streben nach Kernwaffen unterstellt.
Ebenso sollte man eigentlich denken, daß die Gleichsetzung von Plutonium und Kernwaffen langsam aus der Welt ist. Sehr ungerecht ist in diesem Zusammenhang gerade die Erwähnung von Japan. Japan hat sich für einen geschlossenen Brennstoffkreislauf entschieden. Hat aber bisher seine abgebrannten Brennelemente in Frankreich und GB aufarbeiten lassen. Diese beiden Länder sind die Garanten, daß es sich bei den zitierten 6000 to ausschließlich um Reaktorplutonium und keinesfalls um waffengrädiges Plutonium handelt.
Nachwort
Kernwaffen sind Massenvernichtungswaffen, deren militärischer Nutzen ohnehin eingeschränkt ist — Friedensstifter sind sie keineswegs. Sie gehören genauso geächtet wie Chemiewaffen. Da aber die reale Welt ist wie sie ist, können nur beharrliche Abrüstungsverhandlungen zum Ziel führen. Bis dahin ist konsequent die Weiterverbreitung zu verhindern oder wenigstens zu behindern. Es ist zumindest ein Zeitgewinn.
Was Michael Shellenberger anbetrifft: Man kann ja gerne glauben, daß CO2 zur „Klimakatastrophe“ führt. Es ist auch ein lobenswerter Entwicklungsschritt, wenn man zur Erkenntnis gekommen ist, daß man nicht mit Wind und Sonne die Welt mit ausreichend Energie versorgen kann. Insofern sei sein jahrelanger Einsatz für die Nutzung der Kernenergie keinen Millimeter geschmälert. Es ist aber schlichtweg nicht zulässig, wenn man zur „Klimarettung“ Kernwaffen als Friedensstifter glorifiziert.